lich beyde nehmen Sinnen und Gemüthe ein; hingegen die Vorstellungen der Ver- nunfft, die man dawieder gebrauchet, sind gemeiniglich nur wie ein todtes Wesen da- gegen anzusehen (§. 503. Met.).
Wie man sich zur Keusch- heit ge- wöhnet.
§. 37.
Ob es nun aber gleich schweer her gehet sich in diesem Stücke aus der Sclave- rey in die Freyheit zu setzen; so müssen wir doch thun, was wir können. Jch halte demnach für nöthig, daß man die Lust wohl erweget, welche die Geilheit gewehret, und mit dem Verdrusse vergleichet, der daraus erwachsen kan (§. 378 Mor.). Was nun das erstere betrifft, so hat man hier für allen Dingen die Eitelkeiten verliebter Personen zu erwegen, die in vielen Dingen ein son- derbahres Vergnügen suchen, darinnen in der That keines zu finden, als well man sichs einbildet. Dergleichen ist die Berüh- rung einiger Theile des Leibes, darinnen in der That nichts vergnügliches zu finden, als in soweit dadurch die Brunst erreget, erhal- ten und vermehret, und das Andencken der aus dem Beyschlaffe genossenen, oder zu ge- niessen verlangten Lust erneuret wird. Daher wir auch finden, daß die Hottentotten, deren Weiber ihre Brüste bloß tragen, einen aus- lachen, der darnach greiffet, weil sienicht be- greiffen können, wie ein Mensch darinnen einiges Vergnügen suchen kan. Nächst die- sem ist auch zu überlegen, daß die Lust, so
aus
Cap. 2. Von dem Eheſtande.
lich beyde nehmen Sinnen und Gemuͤthe ein; hingegen die Vorſtellungen der Ver- nunfft, die man dawieder gebrauchet, ſind gemeiniglich nur wie ein todtes Weſen da- gegen anzuſehen (§. 503. Met.).
Wie man ſich zur Keuſch- heit ge- woͤhnet.
§. 37.
Ob es nun aber gleich ſchweer her gehet ſich in dieſem Stuͤcke aus der Sclave- rey in die Freyheit zu ſetzen; ſo muͤſſen wir doch thun, was wir koͤnnen. Jch halte demnach fuͤr noͤthig, daß man die Luſt wohl erweget, welche die Geilheit gewehret, und mit dem Verdruſſe vergleichet, der daraus erwachſen kan (§. 378 Mor.). Was nun das erſtere betrifft, ſo hat man hier fuͤr allen Dingen die Eitelkeiten verliebter Perſonen zu erwegen, die in vielen Dingen ein ſon- derbahres Vergnuͤgen ſuchen, darinnen in der That keines zu finden, als well man ſichs einbildet. Dergleichen iſt die Beruͤh- rung einiger Theile des Leibes, darinnen in der That nichts vergnuͤgliches zu finden, als in ſoweit dadurch die Brunſt erreget, erhal- ten und vermehret, und das Andencken der aus dem Beyſchlaffe genoſſenen, oder zu ge- nieſſen verlangten Luſt erneuret wird. Daher wir auch finden, daß die Hottentotten, deren Weiber ihre Bruͤſte bloß tragen, einen aus- lachen, der darnach greiffet, weil ſienicht be- greiffen koͤnnen, wie ein Menſch darinnen einiges Vergnuͤgen ſuchen kan. Naͤchſt die- ſem iſt auch zu uͤberlegen, daß die Luſt, ſo
aus
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0038"n="20"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Cap. 2. Von dem Eheſtande.</hi></fw><lb/>
lich beyde nehmen Sinnen und Gemuͤthe<lb/>
ein; hingegen die Vorſtellungen der Ver-<lb/>
nunfft, die man dawieder gebrauchet, ſind<lb/>
gemeiniglich nur wie ein todtes Weſen da-<lb/>
gegen anzuſehen (§. 503. <hirendition="#aq">Met.</hi>).</p><lb/><noteplace="left">Wie man<lb/>ſich zur<lb/>
Keuſch-<lb/>
heit ge-<lb/>
woͤhnet.</note></div><lb/><divn="4"><head>§. 37.</head><p>Ob es nun aber gleich ſchweer her<lb/>
gehet ſich in dieſem Stuͤcke aus der Sclave-<lb/>
rey in die Freyheit zu ſetzen; ſo muͤſſen wir<lb/>
doch thun, was wir koͤnnen. Jch halte<lb/>
demnach fuͤr noͤthig, daß man die Luſt wohl<lb/>
erweget, welche die Geilheit gewehret, und<lb/>
mit dem Verdruſſe vergleichet, der daraus<lb/>
erwachſen kan (§. 378 <hirendition="#aq">Mor.</hi>). Was nun<lb/>
das erſtere betrifft, ſo hat man hier fuͤr allen<lb/>
Dingen die Eitelkeiten verliebter Perſonen<lb/>
zu erwegen, die in vielen Dingen ein ſon-<lb/>
derbahres Vergnuͤgen ſuchen, darinnen in<lb/>
der That keines zu finden, als well man<lb/>ſichs einbildet. Dergleichen iſt die Beruͤh-<lb/>
rung einiger Theile des Leibes, darinnen in<lb/>
der That nichts vergnuͤgliches zu finden, als<lb/>
in ſoweit dadurch die Brunſt erreget, erhal-<lb/>
ten und vermehret, und das Andencken der<lb/>
aus dem Beyſchlaffe genoſſenen, oder zu ge-<lb/>
nieſſen verlangten Luſt erneuret wird. Daher<lb/>
wir auch finden, daß die Hottentotten, deren<lb/>
Weiber ihre Bruͤſte bloß tragen, einen aus-<lb/>
lachen, der darnach greiffet, weil ſienicht be-<lb/>
greiffen koͤnnen, wie ein Menſch darinnen<lb/>
einiges Vergnuͤgen ſuchen kan. Naͤchſt die-<lb/>ſem iſt auch zu uͤberlegen, daß die Luſt, ſo<lb/><fwplace="bottom"type="catch">aus</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[20/0038]
Cap. 2. Von dem Eheſtande.
lich beyde nehmen Sinnen und Gemuͤthe
ein; hingegen die Vorſtellungen der Ver-
nunfft, die man dawieder gebrauchet, ſind
gemeiniglich nur wie ein todtes Weſen da-
gegen anzuſehen (§. 503. Met.).
§. 37.Ob es nun aber gleich ſchweer her
gehet ſich in dieſem Stuͤcke aus der Sclave-
rey in die Freyheit zu ſetzen; ſo muͤſſen wir
doch thun, was wir koͤnnen. Jch halte
demnach fuͤr noͤthig, daß man die Luſt wohl
erweget, welche die Geilheit gewehret, und
mit dem Verdruſſe vergleichet, der daraus
erwachſen kan (§. 378 Mor.). Was nun
das erſtere betrifft, ſo hat man hier fuͤr allen
Dingen die Eitelkeiten verliebter Perſonen
zu erwegen, die in vielen Dingen ein ſon-
derbahres Vergnuͤgen ſuchen, darinnen in
der That keines zu finden, als well man
ſichs einbildet. Dergleichen iſt die Beruͤh-
rung einiger Theile des Leibes, darinnen in
der That nichts vergnuͤgliches zu finden, als
in ſoweit dadurch die Brunſt erreget, erhal-
ten und vermehret, und das Andencken der
aus dem Beyſchlaffe genoſſenen, oder zu ge-
nieſſen verlangten Luſt erneuret wird. Daher
wir auch finden, daß die Hottentotten, deren
Weiber ihre Bruͤſte bloß tragen, einen aus-
lachen, der darnach greiffet, weil ſienicht be-
greiffen koͤnnen, wie ein Menſch darinnen
einiges Vergnuͤgen ſuchen kan. Naͤchſt die-
ſem iſt auch zu uͤberlegen, daß die Luſt, ſo
aus
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/38>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.