Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap 2. Von dem Ehestande. aus dem Beyschlaffe genossen wird, nur ei-nen Augenblick dauret und kürtzer ist als al- le übrige Lust der Sinnen. Auch ist dabey zu erwegen, daß, wie alle Lust der Sinnen, also auch diese empfindlicher ist, je unge- wohnter sie ist, hingegen sich gar sehr ver- geringert, je mehr man ihrer gewohnet (§. 470 Mor.): welches absonderlich diejenigen zu mercken haben, die allzu eifrig die Liebes- Wercke treiben. Was den Verdruß be- trifft, damit ein Geiler seine Lust bezahlen muß, so ist derselbe nach den verschiedenen Umständen unterschiedlich und öffters nicht geringe. Wer mit Liebes-Gedancken ein- genommen ist, wird dadurch ungeschickt auf andre Dinge zu gedencken, indem ihn die- selben im Nachdencken stöhren und, da sie die Brunst von neuem erwecken und das An- dencken der genossenen Lust erneuren (§. 238 Met.), das Gemüthe beunruhigen: wel- ches denn nicht eher sich lässet zu Frieden stellen, bis man seine Lust von neuem gebüs- set. Daher pfleget es gar offt zu geschehen, daß diejenigen, welche ihrer Geilheit ein Gnügen thun, von ihren ordentlichen Ver- richtungen gantz abgezogen werden, diesel- be verabsäumen und sich dadurch umb ihre gantze zeitliche Wohlfahrt bringen. Ein Ex- empel geben auf Academien diejenigen, wel- che darüber ihr Studiren versäumen, und, ohne was gelernet zu haben, wieder davon rei- B 3
Cap 2. Von dem Eheſtande. aus dem Beyſchlaffe genoſſen wird, nur ei-nen Augenblick dauret und kuͤrtzer iſt als al- le uͤbrige Luſt der Sinnen. Auch iſt dabey zu erwegen, daß, wie alle Luſt der Sinnen, alſo auch dieſe empfindlicher iſt, je unge- wohnter ſie iſt, hingegen ſich gar ſehr ver- geringert, je mehr man ihrer gewohnet (§. 470 Mor.): welches abſonderlich diejenigen zu mercken haben, die allzu eifrig die Liebes- Wercke treiben. Was den Verdruß be- trifft, damit ein Geiler ſeine Luſt bezahlen muß, ſo iſt derſelbe nach den verſchiedenen Umſtaͤnden unterſchiedlich und oͤffters nicht geringe. Wer mit Liebes-Gedancken ein- genommen iſt, wird dadurch ungeſchickt auf andre Dinge zu gedencken, indem ihn die- ſelben im Nachdencken ſtoͤhren und, da ſie die Brunſt von neuem erwecken und das An- dencken der genoſſenen Luſt erneuren (§. 238 Met.), das Gemuͤthe beunruhigen: wel- ches denn nicht eher ſich laͤſſet zu Frieden ſtellen, bis man ſeine Luſt von neuem gebuͤſ- ſet. Daher pfleget es gar offt zu geſchehen, daß diejenigen, welche ihrer Geilheit ein Gnuͤgen thun, von ihren ordentlichen Ver- richtungen gantz abgezogen werden, dieſel- be verabſaͤumen und ſich dadurch umb ihre gantze zeitliche Wohlfahrt bringen. Ein Ex- empel geben auf Academien diejenigen, wel- che daruͤber ihr Studiren verſaͤumen, und, ohne was gelernet zu haben, wieder davon rei- B 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0039" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap 2. Von dem Eheſtande.</hi></fw><lb/> aus dem Beyſchlaffe genoſſen wird, nur ei-<lb/> nen Augenblick dauret und kuͤrtzer iſt als al-<lb/> le uͤbrige Luſt der Sinnen. Auch iſt dabey<lb/> zu erwegen, daß, wie alle Luſt der Sinnen,<lb/> alſo auch dieſe empfindlicher iſt, je unge-<lb/> wohnter ſie iſt, hingegen ſich gar ſehr ver-<lb/> geringert, je mehr man ihrer gewohnet (§. 470<lb/><hi rendition="#aq">Mor.</hi>): welches abſonderlich diejenigen zu<lb/> mercken haben, die allzu eifrig die Liebes-<lb/> Wercke treiben. Was den Verdruß be-<lb/> trifft, damit ein Geiler ſeine Luſt bezahlen<lb/> muß, ſo iſt derſelbe nach den verſchiedenen<lb/> Umſtaͤnden unterſchiedlich und oͤffters nicht<lb/> geringe. Wer mit Liebes-Gedancken ein-<lb/> genommen iſt, wird dadurch ungeſchickt auf<lb/> andre Dinge zu gedencken, indem ihn die-<lb/> ſelben im Nachdencken ſtoͤhren und, da ſie<lb/> die Brunſt von neuem erwecken und das An-<lb/> dencken der genoſſenen Luſt erneuren (§. 238<lb/><hi rendition="#aq">Met.</hi>), das Gemuͤthe beunruhigen: wel-<lb/> ches denn nicht eher ſich laͤſſet zu Frieden<lb/> ſtellen, bis man ſeine Luſt von neuem gebuͤſ-<lb/> ſet. Daher pfleget es gar offt zu geſchehen,<lb/> daß diejenigen, welche ihrer Geilheit ein<lb/> Gnuͤgen thun, von ihren ordentlichen Ver-<lb/> richtungen gantz abgezogen werden, dieſel-<lb/> be verabſaͤumen und ſich dadurch umb ihre<lb/> gantze zeitliche Wohlfahrt bringen. Ein Ex-<lb/> empel geben auf Academien diejenigen, wel-<lb/> che daruͤber ihr Studiren verſaͤumen, und,<lb/> ohne was gelernet zu haben, wieder davon<lb/> <fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><fw place="bottom" type="catch">rei-</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0039]
Cap 2. Von dem Eheſtande.
aus dem Beyſchlaffe genoſſen wird, nur ei-
nen Augenblick dauret und kuͤrtzer iſt als al-
le uͤbrige Luſt der Sinnen. Auch iſt dabey
zu erwegen, daß, wie alle Luſt der Sinnen,
alſo auch dieſe empfindlicher iſt, je unge-
wohnter ſie iſt, hingegen ſich gar ſehr ver-
geringert, je mehr man ihrer gewohnet (§. 470
Mor.): welches abſonderlich diejenigen zu
mercken haben, die allzu eifrig die Liebes-
Wercke treiben. Was den Verdruß be-
trifft, damit ein Geiler ſeine Luſt bezahlen
muß, ſo iſt derſelbe nach den verſchiedenen
Umſtaͤnden unterſchiedlich und oͤffters nicht
geringe. Wer mit Liebes-Gedancken ein-
genommen iſt, wird dadurch ungeſchickt auf
andre Dinge zu gedencken, indem ihn die-
ſelben im Nachdencken ſtoͤhren und, da ſie
die Brunſt von neuem erwecken und das An-
dencken der genoſſenen Luſt erneuren (§. 238
Met.), das Gemuͤthe beunruhigen: wel-
ches denn nicht eher ſich laͤſſet zu Frieden
ſtellen, bis man ſeine Luſt von neuem gebuͤſ-
ſet. Daher pfleget es gar offt zu geſchehen,
daß diejenigen, welche ihrer Geilheit ein
Gnuͤgen thun, von ihren ordentlichen Ver-
richtungen gantz abgezogen werden, dieſel-
be verabſaͤumen und ſich dadurch umb ihre
gantze zeitliche Wohlfahrt bringen. Ein Ex-
empel geben auf Academien diejenigen, wel-
che daruͤber ihr Studiren verſaͤumen, und,
ohne was gelernet zu haben, wieder davon
rei-
B 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |