dringenden und vorhin angeführten Ursa- chen erlaubet, daß man in einigen Fällen von dem Gesetze der Natur in etwas ab- weichen darf; keinesweges aber ist man gehalten solches zu thun. Es kan freylich wohl auch geschehen, daß bürgerliche Ge- setze befehlen, was dem Gesetze der Natur oder (wie man insgemein zu reden pfleget) der natürlichen Billigkeit zuwieder ist. Al- lein in diesem Falle sind es ungerechte Ge- setze. Wir reden hier nicht von dem, was geschiehet, sondern vielmehr davon, was geschehen soll.
§. 403.
Weil die Abweichung von demSorgfalt für die natürli- che Bil- ligkein. Gesetze der Natur durch die bürgerlichen Gesetze nur in gewissen Fällen zugelassen, keines weges aber befohlen wird (§. 402); so sollen auch diejenigen, welche anderen nach den Gesetzen Recht sprechen müssen, in solchen Fällen die Partheyen zur natür- lichen Billigkeit ermahnen, und sie durch alle mögliche Vorstellung dahin zu bringen sich angelegen seyn lassen, daß sie der natür- lichen Verbindlichkeit ein Gnügen thun. Wollen sie nun diesen Vorstellungen nicht Raum geben, so ist nichts anders übrig, als daß man geschehen lässet, was die Ge- setze erlauben, oder auch in einigen Fällen diejenigen, welche das Gesetze der Natur gantz übertreten wollen, nach den bürger- lichen Gesetzen lieber anhält, daß sie ihm
doch
Geſetzen.
dringenden und vorhin angefuͤhrten Urſa- chen erlaubet, daß man in einigen Faͤllen von dem Geſetze der Natur in etwas ab- weichen darf; keinesweges aber iſt man gehalten ſolches zu thun. Es kan freylich wohl auch geſchehen, daß buͤrgerliche Ge- ſetze befehlen, was dem Geſetze der Natur oder (wie man insgemein zu reden pfleget) der natuͤrlichen Billigkeit zuwieder iſt. Al- lein in dieſem Falle ſind es ungerechte Ge- ſetze. Wir reden hier nicht von dem, was geſchiehet, ſondern vielmehr davon, was geſchehen ſoll.
§. 403.
Weil die Abweichung von demSoꝛgfalt fuͤr die natuͤrli- che Bil- ligkein. Geſetze der Natur durch die buͤrgerlichen Geſetze nur in gewiſſen Faͤllen zugelaſſen, keines weges aber befohlen wird (§. 402); ſo ſollen auch diejenigen, welche anderen nach den Geſetzen Recht ſprechen muͤſſen, in ſolchen Faͤllen die Partheyen zur natuͤr- lichen Billigkeit ermahnen, und ſie durch alle moͤgliche Vorſtellung dahin zu bringen ſich angelegen ſeyn laſſen, daß ſie der natuͤr- lichen Verbindlichkeit ein Gnuͤgen thun. Wollen ſie nun dieſen Vorſtellungen nicht Raum geben, ſo iſt nichts anders uͤbrig, als daß man geſchehen laͤſſet, was die Ge- ſetze erlauben, oder auch in einigen Faͤllen diejenigen, welche das Geſetze der Natur gantz uͤbertreten wollen, nach den buͤrger- lichen Geſetzen lieber anhaͤlt, daß ſie ihm
doch
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Geſetzen.
dringenden und vorhin angefuͤhrten Urſa-
chen erlaubet, daß man in einigen Faͤllen
von dem Geſetze der Natur in etwas ab-
weichen darf; keinesweges aber iſt man
gehalten ſolches zu thun. Es kan freylich
wohl auch geſchehen, daß buͤrgerliche Ge-
ſetze befehlen, was dem Geſetze der Natur
oder (wie man insgemein zu reden pfleget)
der natuͤrlichen Billigkeit zuwieder iſt. Al-
lein in dieſem Falle ſind es ungerechte Ge-
ſetze. Wir reden hier nicht von dem, was
geſchiehet, ſondern vielmehr davon, was
geſchehen ſoll.
§. 403.Weil die Abweichung von dem
Geſetze der Natur durch die buͤrgerlichen
Geſetze nur in gewiſſen Faͤllen zugelaſſen,
keines weges aber befohlen wird (§. 402);
ſo ſollen auch diejenigen, welche anderen
nach den Geſetzen Recht ſprechen muͤſſen,
in ſolchen Faͤllen die Partheyen zur natuͤr-
lichen Billigkeit ermahnen, und ſie durch
alle moͤgliche Vorſtellung dahin zu bringen
ſich angelegen ſeyn laſſen, daß ſie der natuͤr-
lichen Verbindlichkeit ein Gnuͤgen thun.
Wollen ſie nun dieſen Vorſtellungen nicht
Raum geben, ſo iſt nichts anders uͤbrig,
als daß man geſchehen laͤſſet, was die Ge-
ſetze erlauben, oder auch in einigen Faͤllen
diejenigen, welche das Geſetze der Natur
gantz uͤbertreten wollen, nach den buͤrger-
lichen Geſetzen lieber anhaͤlt, daß ſie ihm
doch
Soꝛgfalt
fuͤr die
natuͤrli-
che Bil-
ligkein.
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/431>, abgerufen am 22.11.2024.
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