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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Cap. 2. Von dem Ehestande.
Titius stürbe, ehe die Ehe vollzogen wird,
und Tanaquilla bleibet bey ihrem vorigen
Sinne; so ist sie Sempronium zu heyrathen
nicht befugt. Gleicher gestalt in dem ande-
ren Falle kommt Cajus in einen fremden
Ort und giebet sich für einen andern aus,
der mit ihm einerley Nahmen hat. Septi-
mius
schreibet an den Ort und erkundiget
sich nach dem Zustande Caji. Er erhält
solche Nachricht, wie er sie verlanget. Und
in Ansehung dieser Nachricht verspricht ihm
Florentia, die Tochter Septimii, die Ehe.
Hier siehet man leicht, daß das Versprechen
unter dem Bedinge geschehen, wenn er in
dem Zustande sich befindet, den er von
dem andern Cajo erfahren. Derowegen
wenn Florentia erfähret, daß sie betrogen
worden, ist sie auch nicht eher schuldig ihr
Versprechen zu halten, als bis Cajus sich
in dem Zustande befindet, darinnen der an-
dere Cajus, vor den er sich ausgegeben
sich befindet. Da nun der Betrüger diese
Bedingung nicht erfüllen kan: so ist sie auch
ihn zu heyrathen nicht verbunden. Man sie-
het hieraus überhaupt, daß in dergleichen
Fällen, wo es den Schein von dem We-
sen schweer fället zu unterscheiden, die
Schwierigkeiten daher entstehen, wenn man
etwas davor ansiehet, was es doch in
der That nicht ist, und daher ihm einen un-
rechten Nahmen giebet.

§. 49
C 2

Cap. 2. Von dem Eheſtande.
Titius ſtuͤrbe, ehe die Ehe vollzogen wird,
und Tanaquilla bleibet bey ihrem vorigen
Sinne; ſo iſt ſie Sempronium zu heyrathen
nicht befugt. Gleicher geſtalt in dem ande-
ren Falle kommt Cajus in einen fremden
Ort und giebet ſich fuͤr einen andern aus,
der mit ihm einerley Nahmen hat. Septi-
mius
ſchreibet an den Ort und erkundiget
ſich nach dem Zuſtande Caji. Er erhaͤlt
ſolche Nachricht, wie er ſie verlanget. Und
in Anſehung dieſer Nachricht verſpricht ihm
Florentia, die Tochter Septimii, die Ehe.
Hier ſiehet man leicht, daß das Verſprechen
unter dem Bedinge geſchehen, wenn er in
dem Zuſtande ſich befindet, den er von
dem andern Cajo erfahren. Derowegen
wenn Florentia erfaͤhret, daß ſie betrogen
worden, iſt ſie auch nicht eher ſchuldig ihr
Verſprechen zu halten, als bis Cajus ſich
in dem Zuſtande befindet, darinnen der an-
dere Cajus, vor den er ſich ausgegeben
ſich befindet. Da nun der Betruͤger dieſe
Bedingung nicht erfuͤllen kan: ſo iſt ſie auch
ihn zu heyrathen nicht verbunden. Man ſie-
het hieraus uͤberhaupt, daß in dergleichen
Faͤllen, wo es den Schein von dem We-
ſen ſchweer faͤllet zu unterſcheiden, die
Schwierigkeiten daher entſtehen, wenn man
etwas davor anſiehet, was es doch in
der That nicht iſt, und daher ihm einen un-
rechten Nahmen giebet.

§. 49
C 2
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[35/0053] Cap. 2. Von dem Eheſtande. Titius ſtuͤrbe, ehe die Ehe vollzogen wird, und Tanaquilla bleibet bey ihrem vorigen Sinne; ſo iſt ſie Sempronium zu heyrathen nicht befugt. Gleicher geſtalt in dem ande- ren Falle kommt Cajus in einen fremden Ort und giebet ſich fuͤr einen andern aus, der mit ihm einerley Nahmen hat. Septi- mius ſchreibet an den Ort und erkundiget ſich nach dem Zuſtande Caji. Er erhaͤlt ſolche Nachricht, wie er ſie verlanget. Und in Anſehung dieſer Nachricht verſpricht ihm Florentia, die Tochter Septimii, die Ehe. Hier ſiehet man leicht, daß das Verſprechen unter dem Bedinge geſchehen, wenn er in dem Zuſtande ſich befindet, den er von dem andern Cajo erfahren. Derowegen wenn Florentia erfaͤhret, daß ſie betrogen worden, iſt ſie auch nicht eher ſchuldig ihr Verſprechen zu halten, als bis Cajus ſich in dem Zuſtande befindet, darinnen der an- dere Cajus, vor den er ſich ausgegeben ſich befindet. Da nun der Betruͤger dieſe Bedingung nicht erfuͤllen kan: ſo iſt ſie auch ihn zu heyrathen nicht verbunden. Man ſie- het hieraus uͤberhaupt, daß in dergleichen Faͤllen, wo es den Schein von dem We- ſen ſchweer faͤllet zu unterſcheiden, die Schwierigkeiten daher entſtehen, wenn man etwas davor anſiehet, was es doch in der That nicht iſt, und daher ihm einen un- rechten Nahmen giebet. §. 49 C 2

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/53>, abgerufen am 24.11.2024.