Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.der hohen Landes-Obrigkeit. Exempel, daß bey ihm des Nachts einge-brochen und über zwey hundert Thaler werth gestohlen worden, auch wenn er Ti- tium wegen des Diebstahles verdächtig machet, einige Gründe seines Verdach- tes anzeigen, und nach diesem selbst unter- suchen, ob Titius derjenige sey, der des Nachts bey Maevio eingebrochen und den Diebstahl verübet. Weil nun ohne ein Gesetze weder in Civil-noch Criminal- Sachen ein Urtheil gefället werden kan; so müssen auch zu Richtern Rechtsgelehr- ten, das ist, solche Personen genommen werden, welche die Gesetze inne haben und wohl verstehen, damit sie ihnen in vorkom- menden Fällen einfallen (§. 253. Met.) und von ihnen auf gehörige Weise angebracht werden. Man siehet aber leicht, daß zu Entscheidung der Sachen nach den Gest- tzen nicht genung ist die Gesetze inne zu he- ben und zu verstehen, sondern der Richter auch den Willen haben muß nach den Ge- setzen zu sprechen, wie er sie verstehet nicht aber aus allerhand interessirten Absichten dieselben verdrehen. Da nun derjenige gerecht ist, der einem jeden das seine gie- bet, was ihm gebühret, ohne Ansehen der Person (§. 1023. Mor.); so müssen zu Rich- tern Personen genommen werden, die Ge- rechtigkeit lieben und ausüben. Und weil zur Gerechtigkeit Liebe und Weisheit er- for- K k 4
der hohen Landes-Obrigkeit. Exempel, daß bey ihm des Nachts einge-brochen und uͤber zwey hundert Thaler werth geſtohlen worden, auch wenn er Ti- tium wegen des Diebſtahles verdaͤchtig machet, einige Gruͤnde ſeines Verdach- tes anzeigen, und nach dieſem ſelbſt unter- ſuchen, ob Titius derjenige ſey, der des Nachts bey Mævio eingebrochen und den Diebſtahl veruͤbet. Weil nun ohne ein Geſetze weder in Civil-noch Criminal- Sachen ein Urtheil gefaͤllet werden kan; ſo muͤſſen auch zu Richtern Rechtsgelehr- ten, das iſt, ſolche Perſonen genommen werden, welche die Geſetze inne haben und wohl verſtehen, damit ſie ihnen in vorkom- menden Faͤllen einfallen (§. 253. Met.) und von ihnen auf gehoͤrige Weiſe angebracht werden. Man ſiehet aber leicht, daß zu Entſcheidung der Sachen nach den Geſt- tzen nicht genung iſt die Geſetze inne zu he- ben und zu verſtehen, ſondern der Richter auch den Willen haben muß nach den Ge- ſetzen zu ſprechen, wie er ſie verſtehet nicht aber aus allerhand intereſſirten Abſichten dieſelben verdrehen. Da nun derjenige gerecht iſt, der einem jeden das ſeine gie- bet, was ihm gebuͤhret, ohne Anſehen der Perſon (§. 1023. Mor.); ſo muͤſſen zu Rich- tern Perſonen genommen werden, die Ge- rechtigkeit lieben und ausuͤben. Und weil zur Gerechtigkeit Liebe und Weisheit er- for- K k 4
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der hohen Landes-Obrigkeit.
Exempel, daß bey ihm des Nachts einge-
brochen und uͤber zwey hundert Thaler
werth geſtohlen worden, auch wenn er Ti-
tium wegen des Diebſtahles verdaͤchtig
machet, einige Gruͤnde ſeines Verdach-
tes anzeigen, und nach dieſem ſelbſt unter-
ſuchen, ob Titius derjenige ſey, der des
Nachts bey Mævio eingebrochen und den
Diebſtahl veruͤbet. Weil nun ohne ein
Geſetze weder in Civil-noch Criminal-
Sachen ein Urtheil gefaͤllet werden kan;
ſo muͤſſen auch zu Richtern Rechtsgelehr-
ten, das iſt, ſolche Perſonen genommen
werden, welche die Geſetze inne haben und
wohl verſtehen, damit ſie ihnen in vorkom-
menden Faͤllen einfallen (§. 253. Met.) und
von ihnen auf gehoͤrige Weiſe angebracht
werden. Man ſiehet aber leicht, daß zu
Entſcheidung der Sachen nach den Geſt-
tzen nicht genung iſt die Geſetze inne zu he-
ben und zu verſtehen, ſondern der Richter
auch den Willen haben muß nach den Ge-
ſetzen zu ſprechen, wie er ſie verſtehet nicht
aber aus allerhand intereſſirten Abſichten
dieſelben verdrehen. Da nun derjenige
gerecht iſt, der einem jeden das ſeine gie-
bet, was ihm gebuͤhret, ohne Anſehen der
Perſon (§. 1023. Mor.); ſo muͤſſen zu Rich-
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