Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 6. Von der Regierung belthäter sowohl bey Untersuchung ihrerUbelthaten, als bey Ankündigung des Ur- theils bezeigen. Denn was die Untersu- chung betrifft, so muß auch dadurch das Verbrechen mit seinen wahren Umbstän- den herausgebracht werden. Derowegen da vorhin erwiesen worden, daß ein der- gleichen Bezeigen des Richters dazu nöthig sey: so kan man auch leicht erachten, daß ein Richter bey Untersuchung der Verbre- chen und Ubelthaten sich auf eine solche Weise zu bezeigen habe. Wolte man ein- wenden, die Ubelthat sey ein genungsa- mer Grund, warumb ein Richter sich ge- gen den Inquisiten hart in Worten und unfreundlich in Minen und Geberden be- zeige: so kan man gar viele Ursachen zei- gen, warumb man dieselbe für keinen ge- nungsamen Grund von dergleichen Bezei- gen erachten kan. Nemlich bey der Un- tersuchung ist noch nicht gewiß, ob der Inquisit das angeschuldigte Verbrechen würcklich begangen, oder nicht, und also kan man ihn noch nicht davor halten, daß er es begangen habe. Wenn auch gewis ist, daß er es begangen hat, indem er es in der inquisition gestehet: so bleibet es doch noch wie vorhin einem Richter unanstän- dig, wenn er sich auf eine wiedrige Wei- se gegen den Inquisiten geberdet. Denn Richter sollen eine aufrichtige Liebe gegen jeder-
Cap. 6. Von der Regierung belthaͤter ſowohl bey Unterſuchung ihrerUbelthaten, als bey Ankuͤndigung des Ur- theils bezeigen. Denn was die Unterſu- chung betrifft, ſo muß auch dadurch das Verbrechen mit ſeinen wahren Umbſtaͤn- den herausgebracht werden. Derowegen da vorhin erwieſen worden, daß ein der- gleichen Bezeigen des Richters dazu noͤthig ſey: ſo kan man auch leicht erachten, daß ein Richter bey Unterſuchung der Verbre- chen und Ubelthaten ſich auf eine ſolche Weiſe zu bezeigen habe. Wolte man ein- wenden, die Ubelthat ſey ein genungſa- mer Grund, warumb ein Richter ſich ge- gen den Inquiſiten hart in Worten und unfreundlich in Minen und Geberden be- zeige: ſo kan man gar viele Urſachen zei- gen, warumb man dieſelbe fuͤr keinen ge- nungſamen Grund von dergleichen Bezei- gen erachten kan. Nemlich bey der Un- terſuchung iſt noch nicht gewiß, ob der Inquiſit das angeſchuldigte Verbrechen wuͤrcklich begangen, oder nicht, und alſo kan man ihn noch nicht davor halten, daß er es begangen habe. Wenn auch gewis iſt, daß er es begangen hat, indem er es in der inquiſition geſtehet: ſo bleibet es doch noch wie vorhin einem Richter unanſtaͤn- dig, wenn er ſich auf eine wiedrige Wei- ſe gegen den Inquiſiten geberdet. Denn Richter ſollen eine aufrichtige Liebe gegen jeder-
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Cap. 6. Von der Regierung
belthaͤter ſowohl bey Unterſuchung ihrer
Ubelthaten, als bey Ankuͤndigung des Ur-
theils bezeigen. Denn was die Unterſu-
chung betrifft, ſo muß auch dadurch das
Verbrechen mit ſeinen wahren Umbſtaͤn-
den herausgebracht werden. Derowegen
da vorhin erwieſen worden, daß ein der-
gleichen Bezeigen des Richters dazu noͤthig
ſey: ſo kan man auch leicht erachten, daß
ein Richter bey Unterſuchung der Verbre-
chen und Ubelthaten ſich auf eine ſolche
Weiſe zu bezeigen habe. Wolte man ein-
wenden, die Ubelthat ſey ein genungſa-
mer Grund, warumb ein Richter ſich ge-
gen den Inquiſiten hart in Worten und
unfreundlich in Minen und Geberden be-
zeige: ſo kan man gar viele Urſachen zei-
gen, warumb man dieſelbe fuͤr keinen ge-
nungſamen Grund von dergleichen Bezei-
gen erachten kan. Nemlich bey der Un-
terſuchung iſt noch nicht gewiß, ob der
Inquiſit das angeſchuldigte Verbrechen
wuͤrcklich begangen, oder nicht, und alſo
kan man ihn noch nicht davor halten, daß
er es begangen habe. Wenn auch gewis
iſt, daß er es begangen hat, indem er es in
der inquiſition geſtehet: ſo bleibet es doch
noch wie vorhin einem Richter unanſtaͤn-
dig, wenn er ſich auf eine wiedrige Wei-
ſe gegen den Inquiſiten geberdet. Denn
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