Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.der hohen Landes-Obrigkeit. jedermann und solchergestalt auch gegendie Inquisiten haben (§. 470). Wer den andern aufrichtig liebet, der ist bereit aus seiner Glückseeligkeit Vergnügen zu schöpf- fen (§. 449. Met.) und betrübet sich über sein Unglück (§. 452. Met.), folgends hat er Mitleiden mit ihm (§. 461. Met.). De- rowegen muß auch ein Richter sich über dem Unglück des Inquisiten betrüben und mit ihm Mitleiden haben, daß er eine so schweere Straffe auf sich gezogen. Wer aber mit dem andern Mitleiden hat, der kan sich nicht in Worten, Minen und Geberden hart gegen ihn bezeigen. Und eben hieraus siehet man, daß ein Richter selhst bey Ankündigung des Urtheils eini- ges Mitleiden bezeigen muß, und daher solches nicht mit harten Worten und wie- drigen Affecten verrichten darf. Es erfor- dert auch dieses selbst die Absicht der Straf- fen. Denn die Straffen werden an den Verbrechern und Ubelthätern vollstrecket, damit sie nicht allein selbst sich nicht mehr künfftig auf dergleichen Unthaten betreten lassen, sondern auch und zwar hauptsäch- lich zu dem Ende, daß sich andere daran spiegeln (§. 346). Und also hat der Rich- ter, als der alles auf die gemeine Wohl- fahrt und Sicherheit richtet, kein Wohl- gefallen an der Straffe vor sich, sondern nur in soweit sie ein Mittel ist die gemei- ne
der hohen Landes-Obrigkeit. jedermann und ſolchergeſtalt auch gegendie Inquiſiten haben (§. 470). Wer den andern aufrichtig liebet, der iſt bereit aus ſeiner Gluͤckſeeligkeit Vergnuͤgen zu ſchoͤpf- fen (§. 449. Met.) und betruͤbet ſich uͤber ſein Ungluͤck (§. 452. Met.), folgends hat er Mitleiden mit ihm (§. 461. Met.). De- rowegen muß auch ein Richter ſich uͤber dem Ungluͤck des Inquiſiten betruͤben und mit ihm Mitleiden haben, daß er eine ſo ſchweere Straffe auf ſich gezogen. Wer aber mit dem andern Mitleiden hat, der kan ſich nicht in Worten, Minen und Geberden hart gegen ihn bezeigen. Und eben hieraus ſiehet man, daß ein Richter ſelhſt bey Ankuͤndigung des Urtheils eini- ges Mitleiden bezeigen muß, und daher ſolches nicht mit harten Worten und wie- drigen Affecten verrichten darf. Es erfor- dert auch dieſes ſelbſt die Abſicht der Straf- fen. Denn die Straffen werden an den Verbrechern und Ubelthaͤtern vollſtrecket, damit ſie nicht allein ſelbſt ſich nicht mehr kuͤnfftig auf dergleichen Unthaten betreten laſſen, ſondern auch und zwar hauptſaͤch- lich zu dem Ende, daß ſich andere daran ſpiegeln (§. 346). Und alſo hat der Rich- ter, als der alles auf die gemeine Wohl- fahrt und Sicherheit richtet, kein Wohl- gefallen an der Straffe vor ſich, ſondern nur in ſoweit ſie ein Mittel iſt die gemei- ne
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der hohen Landes-Obrigkeit.
jedermann und ſolchergeſtalt auch gegen
die Inquiſiten haben (§. 470). Wer den
andern aufrichtig liebet, der iſt bereit aus
ſeiner Gluͤckſeeligkeit Vergnuͤgen zu ſchoͤpf-
fen (§. 449. Met.) und betruͤbet ſich uͤber
ſein Ungluͤck (§. 452. Met.), folgends hat
er Mitleiden mit ihm (§. 461. Met.). De-
rowegen muß auch ein Richter ſich uͤber
dem Ungluͤck des Inquiſiten betruͤben und
mit ihm Mitleiden haben, daß er eine ſo
ſchweere Straffe auf ſich gezogen. Wer
aber mit dem andern Mitleiden hat, der
kan ſich nicht in Worten, Minen und
Geberden hart gegen ihn bezeigen. Und
eben hieraus ſiehet man, daß ein Richter
ſelhſt bey Ankuͤndigung des Urtheils eini-
ges Mitleiden bezeigen muß, und daher
ſolches nicht mit harten Worten und wie-
drigen Affecten verrichten darf. Es erfor-
dert auch dieſes ſelbſt die Abſicht der Straf-
fen. Denn die Straffen werden an den
Verbrechern und Ubelthaͤtern vollſtrecket,
damit ſie nicht allein ſelbſt ſich nicht mehr
kuͤnfftig auf dergleichen Unthaten betreten
laſſen, ſondern auch und zwar hauptſaͤch-
lich zu dem Ende, daß ſich andere daran
ſpiegeln (§. 346). Und alſo hat der Rich-
ter, als der alles auf die gemeine Wohl-
fahrt und Sicherheit richtet, kein Wohl-
gefallen an der Straffe vor ſich, ſondern
nur in ſoweit ſie ein Mittel iſt die gemei-
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