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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723.

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Cap. XII. Von Erzeugung
nöth ist. Denn wenn man solchergestalt
hindert, daß das Saamen Behältnis von
den Stengeln rings herumb keinen Staub
erhielte, so müsten die Saamen-Körnlein
ohne Pfläntzlein seyn. Es gienge auch noch
mit andern Blumen an. Man muß aber
nur sehen, daß man solche bekommet, die
Saamen bringen. Da dieses alles, was bis-
hero beygebracht worden, auch bey den
Blumen zu finden, die aus Zwiebeln wach-
sen und gleichwohl gewis ist, daß die Blät-
ter der Zwiebeln junge Zwiebeln, folgends
auch Pfläntzlein in sich haben (§. 406.), ja
über dieses ich aus vielfältiger zu dem Ende
mit Fleiß gesuchter Erfahrung gelernet, daß
aller Safft aus den Blättern in die Blume
steiget und die alte Zwiebel mit derselben
ausgehet; so siehet man leicht, daß die
jungen Pfläntzlein aus den Blättern kom-
men müssen. Weil sie nun daraus so leicht
mit dem Saffte in die Saamen-Körnlein
können gebracht werden, als in den Staub,
der sich oben in der Blume erzeuget; so zweif-
fele noch gar sehr, ob die Sache auch ihre
Richtigkeit hat und mit der Erfahrung ü-
bereinstimmen wird. Es entstehet aber nun
die Haupt-Frage, woher die kleinen Pfläntz-
lein in den Safft kommen. Weil sie nicht
bloß eine äusserliche Figur, sondern auch
eine innerliche Structur haben; so siehet
man nicht, wie sie entweder durch blosse

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Cap. XII. Von Erzeugung
noͤth iſt. Denn wenn man ſolchergeſtalt
hindert, daß das Saamen Behaͤltnis von
den Stengeln rings herumb keinen Staub
erhielte, ſo muͤſten die Saamen-Koͤrnlein
ohne Pflaͤntzlein ſeyn. Es gienge auch noch
mit andern Blumen an. Man muß aber
nur ſehen, daß man ſolche bekommet, die
Saamen bringen. Da dieſes alles, was bis-
hero beygebracht worden, auch bey den
Blumen zu finden, die aus Zwiebeln wach-
ſen und gleichwohl gewis iſt, daß die Blaͤt-
ter der Zwiebeln junge Zwiebeln, folgends
auch Pflaͤntzlein in ſich haben (§. 406.), ja
uͤber dieſes ich aus vielfaͤltiger zu dem Ende
mit Fleiß geſuchter Erfahrung gelernet, daß
aller Safft aus den Blaͤttern in die Blume
ſteiget und die alte Zwiebel mit derſelben
ausgehet; ſo ſiehet man leicht, daß die
jungen Pflaͤntzlein aus den Blaͤttern kom-
men muͤſſen. Weil ſie nun daraus ſo leicht
mit dem Saffte in die Saamen-Koͤrnlein
koͤnnen gebracht werden, als in den Staub,
der ſich oben in der Blume erzeuget; ſo zweif-
fele noch gar ſehr, ob die Sache auch ihre
Richtigkeit hat und mit der Erfahrung uͤ-
bereinſtimmen wird. Es entſtehet aber nun
die Haupt-Frage, woher die kleinen Pflaͤntz-
lein in den Safft kommen. Weil ſie nicht
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[642/0678] Cap. XII. Von Erzeugung noͤth iſt. Denn wenn man ſolchergeſtalt hindert, daß das Saamen Behaͤltnis von den Stengeln rings herumb keinen Staub erhielte, ſo muͤſten die Saamen-Koͤrnlein ohne Pflaͤntzlein ſeyn. Es gienge auch noch mit andern Blumen an. Man muß aber nur ſehen, daß man ſolche bekommet, die Saamen bringen. Da dieſes alles, was bis- hero beygebracht worden, auch bey den Blumen zu finden, die aus Zwiebeln wach- ſen und gleichwohl gewis iſt, daß die Blaͤt- ter der Zwiebeln junge Zwiebeln, folgends auch Pflaͤntzlein in ſich haben (§. 406.), ja uͤber dieſes ich aus vielfaͤltiger zu dem Ende mit Fleiß geſuchter Erfahrung gelernet, daß aller Safft aus den Blaͤttern in die Blume ſteiget und die alte Zwiebel mit derſelben ausgehet; ſo ſiehet man leicht, daß die jungen Pflaͤntzlein aus den Blaͤttern kom- men muͤſſen. Weil ſie nun daraus ſo leicht mit dem Saffte in die Saamen-Koͤrnlein koͤnnen gebracht werden, als in den Staub, der ſich oben in der Blume erzeuget; ſo zweif- fele noch gar ſehr, ob die Sache auch ihre Richtigkeit hat und mit der Erfahrung uͤ- bereinſtimmen wird. Es entſtehet aber nun die Haupt-Frage, woher die kleinen Pflaͤntz- lein in den Safft kommen. Weil ſie nicht bloß eine aͤuſſerliche Figur, ſondern auch eine innerliche Structur haben; ſo ſiehet man nicht, wie ſie entweder durch bloſſe in-

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_naturwuerckungen_1723/678>, abgerufen am 22.11.2024.