Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723.der Thiere und des Menschen. zehlet hiervon ein gar merckwürdiges E-xempel. Eine schwangere Frau sahe einen Mörder rädern, und als sie das Kind zur Welt gebahr, war es an Händen und Füs- sen gleichfals gerädert. Und dieses Ubel war unheilbahr, in dem der arme Mensch die gantzer zwantzig Jahr über, die er gele- bet, in dem elenden Zustand verblieben. Er hat auch schon selbst diese sonderbahre Be- gebenheit aus eben dergleichen Gründen er- kläret, die ich angewiesen. Weil das Ge- blüte der Mutter sich in das Kind beweget; so leidet dasselbe in seinem Leibe eben solche Veränderungen als wie die Mutter. Nun ist bekandt, daß, wenn eine Person, die mittleidig ist, einen rädern siehet, dieselbe es selbst in ihrem Arme fühlet, wenn der Hencker mit dem Rade zuschlägt, und zwar an dem Orte, wo der arme Sünder geschla- gen wird. Weil der Schmertz durch eine Trennung des stetigen in unserem Leibe entstehet (§. 421. Met.); so kan es nicht wohl anders seyn, als daß z. E. die Fasern der Mäusleinen an dem Orte, wo man eini- gen Vorschmack eines Schmertzens hat, ausserordentlich gespannet werden: denn was zerspringen soll, muß vorher starck ge- spannet werden. Jn einem erwachsenen Menschen können die Knochen eine solche Spannung der Mäusleinen ausstehen, oh- ne Z z 3
der Thiere und des Menſchen. zehlet hiervon ein gar merckwuͤrdiges E-xempel. Eine ſchwangere Frau ſahe einen Moͤrder raͤdern, und als ſie das Kind zur Welt gebahr, war es an Haͤnden und Fuͤſ- ſen gleichfals geraͤdert. Und dieſes Ubel war unheilbahr, in dem der arme Menſch die gantzer zwantzig Jahr uͤber, die er gele- bet, in dem elenden Zuſtand verblieben. Er hat auch ſchon ſelbſt dieſe ſonderbahre Be- gebenheit aus eben dergleichen Gruͤnden er- klaͤret, die ich angewieſen. Weil das Ge- bluͤte der Mutter ſich in das Kind beweget; ſo leidet daſſelbe in ſeinem Leibe eben ſolche Veraͤnderungen als wie die Mutter. Nun iſt bekandt, daß, wenn eine Perſon, die mittleidig iſt, einen raͤdern ſiehet, dieſelbe es ſelbſt in ihrem Arme fuͤhlet, wenn der Hencker mit dem Rade zuſchlaͤgt, und zwar an dem Orte, wo der arme Suͤnder geſchla- gen wird. Weil der Schmertz durch eine Trennung des ſtetigen in unſerem Leibe entſtehet (§. 421. Met.); ſo kan es nicht wohl anders ſeyn, als daß z. E. die Faſern der Maͤusleinen an dem Orte, wo man eini- gen Vorſchmack eines Schmertzens hat, auſſerordentlich geſpannet werden: denn was zerſpringen ſoll, muß vorher ſtarck ge- ſpannet werden. Jn einem erwachſenen Menſchen koͤnnen die Knochen eine ſolche Spannung der Maͤusleinen ausſtehen, oh- ne Z z 3
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der Thiere und des Menſchen.
zehlet hiervon ein gar merckwuͤrdiges E-
xempel. Eine ſchwangere Frau ſahe einen
Moͤrder raͤdern, und als ſie das Kind zur
Welt gebahr, war es an Haͤnden und Fuͤſ-
ſen gleichfals geraͤdert. Und dieſes Ubel
war unheilbahr, in dem der arme Menſch
die gantzer zwantzig Jahr uͤber, die er gele-
bet, in dem elenden Zuſtand verblieben. Er
hat auch ſchon ſelbſt dieſe ſonderbahre Be-
gebenheit aus eben dergleichen Gruͤnden er-
klaͤret, die ich angewieſen. Weil das Ge-
bluͤte der Mutter ſich in das Kind beweget;
ſo leidet daſſelbe in ſeinem Leibe eben ſolche
Veraͤnderungen als wie die Mutter. Nun
iſt bekandt, daß, wenn eine Perſon, die
mittleidig iſt, einen raͤdern ſiehet, dieſelbe
es ſelbſt in ihrem Arme fuͤhlet, wenn der
Hencker mit dem Rade zuſchlaͤgt, und zwar
an dem Orte, wo der arme Suͤnder geſchla-
gen wird. Weil der Schmertz durch eine
Trennung des ſtetigen in unſerem Leibe
entſtehet (§. 421. Met.); ſo kan es nicht
wohl anders ſeyn, als daß z. E. die Faſern
der Maͤusleinen an dem Orte, wo man eini-
gen Vorſchmack eines Schmertzens hat,
auſſerordentlich geſpannet werden: denn
was zerſpringen ſoll, muß vorher ſtarck ge-
ſpannet werden. Jn einem erwachſenen
Menſchen koͤnnen die Knochen eine ſolche
Spannung der Maͤusleinen ausſtehen, oh-
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