Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_096.001 Während indes diese Sagen durch die Sorgfalt ritterlicher Dichter pwo_096.009 Verfolgen wir einige Heldengestalten in ihren litterarhistorischen pwo_096.018 pwo_096.001 Während indes diese Sagen durch die Sorgfalt ritterlicher Dichter pwo_096.009 Verfolgen wir einige Heldengestalten in ihren litterarhistorischen pwo_096.018 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0110" n="96"/><lb n="pwo_096.001"/> zauberhafte Züge ein. Drastisch äußert sich die Verquickung heterogener <lb n="pwo_096.002"/> Dinge, wenn in heidnische Elemente christliche Anschauungen <lb n="pwo_096.003"/> hineingetragen werden: so wenn ein weissagender Vogel ein Engel <lb n="pwo_096.004"/> Gottes genannt oder wenn nach der Schlacht auf dem Wülpensande <lb n="pwo_096.005"/> ein Kloster gebaut wird. Die nachträgliche, äußerlich gebliebene <lb n="pwo_096.006"/> Uebertragung christlicher Anschauungen auf den heidnischen Stoff bahnt <lb n="pwo_096.007"/> sich schon im Nibelungenlied an.</p> <lb n="pwo_096.008"/> <p> Während indes diese Sagen durch die Sorgfalt ritterlicher Dichter <lb n="pwo_096.009"/> eine würdige und im ganzen noch immer harmonische Gestalt gewinnen, <lb n="pwo_096.010"/> entarten andere besonders unter Spielmannseinfluß immer <lb n="pwo_096.011"/> weiter. Ja selbst diejenigen Sagengestalten, die in der Dichtung bereits <lb n="pwo_096.012"/> eine in ihrer Art klassische Form gefunden, sind später unwürdiger <lb n="pwo_096.013"/> Herabzerrung ausgesetzt. Anstelle des heiligen Ernstes, mit dem <lb n="pwo_096.014"/> der alte Sänger zu seinen Gestalten aufblickte, anstelle der Bewunderung <lb n="pwo_096.015"/> und Liebe, mit der sie noch der Dichter der Epopöe hegte, reißt <lb n="pwo_096.016"/> ein <hi rendition="#g">schwankhafter</hi> Ton, eine <hi rendition="#g">ironische</hi> Beleuchtung ein.</p> <lb n="pwo_096.017"/> <p> Verfolgen wir einige Heldengestalten in ihren litterarhistorischen <lb n="pwo_096.018"/> Schicksalen. Schon Theodorich und Hildebrand erliegen arger Herabdrückung. <lb n="pwo_096.019"/> Der große Theodorich wird zum jungen, fürwitzigen <lb n="pwo_096.020"/> Dietrich, dem gegenüber sein Waffenmeister Hildebrand das weise, <lb n="pwo_096.021"/> überlegene Alter repräsentiert, eine Art Vorsehung spielt. So soll <lb n="pwo_096.022"/> Dietrich im „Rosengarten“ des 13. Jahrhunderts mit Siegfried <lb n="pwo_096.023"/> kämpfen, scheut sich aber vor diesem Wagnis. Da versucht Hildebrand <lb n="pwo_096.024"/> ihn durch einen Faustschlag zur Wut zu reizen: mit einem Schwerthieb <lb n="pwo_096.025"/> rächt Dietrich den Schimpf und stürmt dann gegen Siegfried an. <lb n="pwo_096.026"/> Weil er indes lange den Gegner nicht zu besiegen vermag und schon <lb n="pwo_096.027"/> sein Ermatten zu befürchten ist, läßt Hildebrand ihm die Kunde zutragen, <lb n="pwo_096.028"/> der rächende Schwerthieb habe ihn, den Waffenmeister, getötet. <lb n="pwo_096.029"/> Nun flammt Dietrichs Zorn furchtbar auf, und Siegfried muß zu der <lb n="pwo_096.030"/> Kriemhild Füßen Schutz suchen. Da sprengt Hildebrand heran: „Du <lb n="pwo_096.031"/> hast gesiegt, nun bin ich wiedergeboren!“ – Hier sind alle Charaktere <lb n="pwo_096.032"/> – Dietrich und Hildebrand wie Siegfried – gleichmäßig ins <lb n="pwo_096.033"/> Schwankhafte gewendet. So kam es schließlich zu einer Art Travestie <lb n="pwo_096.034"/> des Hildebrandsliedes, zu einer neuen, nunmehr <hi rendition="#g">humoristischen</hi> <lb n="pwo_096.035"/> Behandlung des alten Stoffes. Dies jüngere Hildebrandslied des <lb n="pwo_096.036"/> 15. Jahrhunderts nimmt einen glücklichen Ausgang. Schließlich wird </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0110]
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zauberhafte Züge ein. Drastisch äußert sich die Verquickung heterogener pwo_096.002
Dinge, wenn in heidnische Elemente christliche Anschauungen pwo_096.003
hineingetragen werden: so wenn ein weissagender Vogel ein Engel pwo_096.004
Gottes genannt oder wenn nach der Schlacht auf dem Wülpensande pwo_096.005
ein Kloster gebaut wird. Die nachträgliche, äußerlich gebliebene pwo_096.006
Uebertragung christlicher Anschauungen auf den heidnischen Stoff bahnt pwo_096.007
sich schon im Nibelungenlied an.
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Während indes diese Sagen durch die Sorgfalt ritterlicher Dichter pwo_096.009
eine würdige und im ganzen noch immer harmonische Gestalt gewinnen, pwo_096.010
entarten andere besonders unter Spielmannseinfluß immer pwo_096.011
weiter. Ja selbst diejenigen Sagengestalten, die in der Dichtung bereits pwo_096.012
eine in ihrer Art klassische Form gefunden, sind später unwürdiger pwo_096.013
Herabzerrung ausgesetzt. Anstelle des heiligen Ernstes, mit dem pwo_096.014
der alte Sänger zu seinen Gestalten aufblickte, anstelle der Bewunderung pwo_096.015
und Liebe, mit der sie noch der Dichter der Epopöe hegte, reißt pwo_096.016
ein schwankhafter Ton, eine ironische Beleuchtung ein.
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Verfolgen wir einige Heldengestalten in ihren litterarhistorischen pwo_096.018
Schicksalen. Schon Theodorich und Hildebrand erliegen arger Herabdrückung. pwo_096.019
Der große Theodorich wird zum jungen, fürwitzigen pwo_096.020
Dietrich, dem gegenüber sein Waffenmeister Hildebrand das weise, pwo_096.021
überlegene Alter repräsentiert, eine Art Vorsehung spielt. So soll pwo_096.022
Dietrich im „Rosengarten“ des 13. Jahrhunderts mit Siegfried pwo_096.023
kämpfen, scheut sich aber vor diesem Wagnis. Da versucht Hildebrand pwo_096.024
ihn durch einen Faustschlag zur Wut zu reizen: mit einem Schwerthieb pwo_096.025
rächt Dietrich den Schimpf und stürmt dann gegen Siegfried an. pwo_096.026
Weil er indes lange den Gegner nicht zu besiegen vermag und schon pwo_096.027
sein Ermatten zu befürchten ist, läßt Hildebrand ihm die Kunde zutragen, pwo_096.028
der rächende Schwerthieb habe ihn, den Waffenmeister, getötet. pwo_096.029
Nun flammt Dietrichs Zorn furchtbar auf, und Siegfried muß zu der pwo_096.030
Kriemhild Füßen Schutz suchen. Da sprengt Hildebrand heran: „Du pwo_096.031
hast gesiegt, nun bin ich wiedergeboren!“ – Hier sind alle Charaktere pwo_096.032
– Dietrich und Hildebrand wie Siegfried – gleichmäßig ins pwo_096.033
Schwankhafte gewendet. So kam es schließlich zu einer Art Travestie pwo_096.034
des Hildebrandsliedes, zu einer neuen, nunmehr humoristischen pwo_096.035
Behandlung des alten Stoffes. Dies jüngere Hildebrandslied des pwo_096.036
15. Jahrhunderts nimmt einen glücklichen Ausgang. Schließlich wird
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