Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_109.001 Die mittelalterliche Litteratur der modernen Völker läßt den pwo_109.004 Jn Spanien zuerst auch trat zu dem Ritterroman, halb als pwo_109.016 Auf deutschem Boden bekundet sich der übermächtige Einfluß der pwo_109.035 pwo_109.001 Die mittelalterliche Litteratur der modernen Völker läßt den pwo_109.004 Jn Spanien zuerst auch trat zu dem Ritterroman, halb als pwo_109.016 Auf deutschem Boden bekundet sich der übermächtige Einfluß der pwo_109.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0123" n="109"/><lb n="pwo_109.001"/> in der Entwicklung der epischen Form erscheint die Prosaerzählung <lb n="pwo_109.002"/> zu psychologischem Eindringen, zur Seelenanalyse prädestiniert.</p> <lb n="pwo_109.003"/> <p> Die mittelalterliche Litteratur der modernen Völker läßt den <lb n="pwo_109.004"/> Uebergang vom Versepos zur Prosaerzählung noch genauer erkennen. <lb n="pwo_109.005"/> Die alten Ritterepen, deren abenteuerlicher Charakter immer mehr in <lb n="pwo_109.006"/> phantastische Episoden zerflatterte, wurden aus den erbärmlichen, nur <lb n="pwo_109.007"/> noch lose und wirr bindenden Versen, zu denen sie inzwischen verliedert <lb n="pwo_109.008"/> waren, vollends in Prosa aufgelöst. Prosaische Rittergeschichten <lb n="pwo_109.009"/> bezeichnen andererseits den Anfang des modernen <hi rendition="#g">Romans,</hi> so genannt, <lb n="pwo_109.010"/> weil er in der Litteratur der romanischen Völker entsprungen, <lb n="pwo_109.011"/> auch deren Volksgeist vor allem zum Ausdruck bringt. Spanien muß <lb n="pwo_109.012"/> als Urquell dieser Ritter- und Abenteurerromane gelten. Aus dem <lb n="pwo_109.013"/> Wege über Frankreich empfing auch unsere deutsche Dichtung die neue <lb n="pwo_109.014"/> zunächst romanische, bald internationale Gattung.</p> <lb n="pwo_109.015"/> <p> Jn Spanien zuerst auch trat zu dem <hi rendition="#g">Ritterroman,</hi> halb als <lb n="pwo_109.016"/> Gegen-, halb als Seitenstück, der <hi rendition="#g">Schelmenroman:</hi> dieser rückt <lb n="pwo_109.017"/> zwar nicht mehr ideale, zu verherrlichende Helden, sondern die unerschöpflichen <lb n="pwo_109.018"/> Listen und Abenteuer des durchtriebenen Galgenstricks in <lb n="pwo_109.019"/> den Mittelpunkt und bietet damit eine Art Parodie des episch-heroischen <lb n="pwo_109.020"/> Stils, gefällt sich doch aber prinzipiell in derselben Fülle von <lb n="pwo_109.021"/> lose aneinandergereihten Abenteuern bezw. Episoden, welcher die Rittergeschichte <lb n="pwo_109.022"/> anheimgefallen war. Bedeutsam erscheint vor allem der so <lb n="pwo_109.023"/> vollzogene Anschluß an das Alltagsleben mit seinen kleinen Verwicklungen, <lb n="pwo_109.024"/> aber auch seiner Fülle virtuos gezeichneter Wirklichkeitsmenschen. <lb n="pwo_109.025"/> Schließlich giebt auf spanischem Boden Cervantes in seinem <lb n="pwo_109.026"/> „Don Quixote“ eine direkte Travestie des Ritterromans, die <lb n="pwo_109.027"/> Geschichte eines Ritters, der infolge Versenkung in die phantastische <lb n="pwo_109.028"/> Welt jener Geschichten den Sinn für die wirkliche Welt verliert. Für <lb n="pwo_109.029"/> den Roman ist mit dieser Wendung der Entwicklungsgang bereits <lb n="pwo_109.030"/> prinzipiell bezeichnet, oder doch wenigstens auf das Ziel hingewiesen: <lb n="pwo_109.031"/> <hi rendition="#g">von der Phantastik des Ritterromans durch abenteuerlich-phantastische <lb n="pwo_109.032"/> Auffassung des bürgerlichen Lebens <lb n="pwo_109.033"/> hindurch zu vollem Anschluß an die Wirklichkeit.</hi></p> <lb n="pwo_109.034"/> <p> Auf deutschem Boden bekundet sich der übermächtige Einfluß der <lb n="pwo_109.035"/> romanischen Erzählungsform zunächst durch Uebersetzungen, alsdann <lb n="pwo_109.036"/> durch Ueberarbeitungen, schließlich durch Nachahmungen solcher abenteuerlichen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0123]
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in der Entwicklung der epischen Form erscheint die Prosaerzählung pwo_109.002
zu psychologischem Eindringen, zur Seelenanalyse prädestiniert.
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Die mittelalterliche Litteratur der modernen Völker läßt den pwo_109.004
Uebergang vom Versepos zur Prosaerzählung noch genauer erkennen. pwo_109.005
Die alten Ritterepen, deren abenteuerlicher Charakter immer mehr in pwo_109.006
phantastische Episoden zerflatterte, wurden aus den erbärmlichen, nur pwo_109.007
noch lose und wirr bindenden Versen, zu denen sie inzwischen verliedert pwo_109.008
waren, vollends in Prosa aufgelöst. Prosaische Rittergeschichten pwo_109.009
bezeichnen andererseits den Anfang des modernen Romans, so genannt, pwo_109.010
weil er in der Litteratur der romanischen Völker entsprungen, pwo_109.011
auch deren Volksgeist vor allem zum Ausdruck bringt. Spanien muß pwo_109.012
als Urquell dieser Ritter- und Abenteurerromane gelten. Aus dem pwo_109.013
Wege über Frankreich empfing auch unsere deutsche Dichtung die neue pwo_109.014
zunächst romanische, bald internationale Gattung.
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Jn Spanien zuerst auch trat zu dem Ritterroman, halb als pwo_109.016
Gegen-, halb als Seitenstück, der Schelmenroman: dieser rückt pwo_109.017
zwar nicht mehr ideale, zu verherrlichende Helden, sondern die unerschöpflichen pwo_109.018
Listen und Abenteuer des durchtriebenen Galgenstricks in pwo_109.019
den Mittelpunkt und bietet damit eine Art Parodie des episch-heroischen pwo_109.020
Stils, gefällt sich doch aber prinzipiell in derselben Fülle von pwo_109.021
lose aneinandergereihten Abenteuern bezw. Episoden, welcher die Rittergeschichte pwo_109.022
anheimgefallen war. Bedeutsam erscheint vor allem der so pwo_109.023
vollzogene Anschluß an das Alltagsleben mit seinen kleinen Verwicklungen, pwo_109.024
aber auch seiner Fülle virtuos gezeichneter Wirklichkeitsmenschen. pwo_109.025
Schließlich giebt auf spanischem Boden Cervantes in seinem pwo_109.026
„Don Quixote“ eine direkte Travestie des Ritterromans, die pwo_109.027
Geschichte eines Ritters, der infolge Versenkung in die phantastische pwo_109.028
Welt jener Geschichten den Sinn für die wirkliche Welt verliert. Für pwo_109.029
den Roman ist mit dieser Wendung der Entwicklungsgang bereits pwo_109.030
prinzipiell bezeichnet, oder doch wenigstens auf das Ziel hingewiesen: pwo_109.031
von der Phantastik des Ritterromans durch abenteuerlich-phantastische pwo_109.032
Auffassung des bürgerlichen Lebens pwo_109.033
hindurch zu vollem Anschluß an die Wirklichkeit.
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Auf deutschem Boden bekundet sich der übermächtige Einfluß der pwo_109.035
romanischen Erzählungsform zunächst durch Uebersetzungen, alsdann pwo_109.036
durch Ueberarbeitungen, schließlich durch Nachahmungen solcher abenteuerlichen
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