Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_179.001 So kam die Entwicklung der griechischen Poesie den älteren pwo_179.006 1. Das griechische Drama ist religiösen Ursprungs. pwo_179.009 2. Das griechische Drama läßt sich in seiner Herauswickelung aus pwo_179.010 Der Dithyrambos des Dionysos-Kultus ist die Form, aus pwo_179.012 Jn dem erzählenden Kern des Dithyrambos nahm direkte Rede pwo_179.020 pwo_179.001 So kam die Entwicklung der griechischen Poesie den älteren pwo_179.006 1. Das griechische Drama ist religiösen Ursprungs. pwo_179.009 2. Das griechische Drama läßt sich in seiner Herauswickelung aus pwo_179.010 Der Dithyrambos des Dionysos-Kultus ist die Form, aus pwo_179.012 Jn dem erzählenden Kern des Dithyrambos nahm direkte Rede pwo_179.020 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0193" n="179"/><lb n="pwo_179.001"/> des Masseninstinktes und der Beschaulichkeit hielt die Fortbildung <lb n="pwo_179.002"/> des lyrischen Ueberschwangs zur Energie und geistigen Freiheit <lb n="pwo_179.003"/> der dramatischen Form lange hintenan, ja verhinderte ausdrücklich <lb n="pwo_179.004"/> die Durchführung einer konsequenten Tragödie.</p> <lb n="pwo_179.005"/> <p> So kam die Entwicklung der griechischen Poesie den älteren <lb n="pwo_179.006"/> Litteraturen zuvor. Hier sehen wir uns sofort vor eine Reihe bedeutsamer <lb n="pwo_179.007"/> Thatsachen gestellt:</p> <lb n="pwo_179.008"/> <p> 1. Das griechische Drama ist religiösen Ursprungs.</p> <lb n="pwo_179.009"/> <p> 2. Das griechische Drama läßt sich in seiner Herauswickelung aus <lb n="pwo_179.010"/> episch-lyrischer Voraussetzung klar verfolgen.</p> <lb n="pwo_179.011"/> <p> Der <hi rendition="#g">Dithyrambos</hi> des Dionysos-Kultus ist die Form, aus <lb n="pwo_179.012"/> welcher das griechische Drama erwachsen ist. Er verherrlichte den <lb n="pwo_179.013"/> Gott durch Wiedergabe von Mythen, die auf ihn bezugnehmen. Der <lb n="pwo_179.014"/> Vortrag geschah durch einen Chor, welcher als Schar von Satyrn, <lb n="pwo_179.015"/> wie sie den Gott begleiteten, in dem Festaufzug einherschritt. Damit <lb n="pwo_179.016"/> waren gewisse Voraussetzungen des Dramas gegeben: es brauchte nur <lb n="pwo_179.017"/> ein einzelner aus dem Chor mit diesem im Gesang zu wechseln, so <lb n="pwo_179.018"/> war eine neue Form angebahnt.</p> <lb n="pwo_179.019"/> <p> Jn dem erzählenden Kern des Dithyrambos nahm direkte Rede <lb n="pwo_179.020"/> einen weiten Raum ein; schon hierdurch war der Bethätigung des <lb n="pwo_179.021"/> Einzeldarstellers weiter Spielraum eröffnet. Jndes litt die Unmittelbarkeit <lb n="pwo_179.022"/> der Darstellung, so lange die Thaten des Gottes wie die Geschehnisse <lb n="pwo_179.023"/> überhaupt auf epische Weise als in der Vergangenheit liegend <lb n="pwo_179.024"/> erzählt wurden. Die äußerlich angesponnene Vergegenwärtigung <lb n="pwo_179.025"/> wurde innerlich erst vollkommen, sobald die Handlung als gegenwärtig <lb n="pwo_179.026"/> geschehend durch das <hi rendition="#aq">tempus praesens</hi> versinnbildlicht wurde. Diesen <lb n="pwo_179.027"/> Schritt that <hi rendition="#g">Thespis.</hi> Die Unterbrechung des Dithyrambos <lb n="pwo_179.028"/> durch Einzelvortrag scheint er schon als Jmprovisation vorgefunden zu <lb n="pwo_179.029"/> haben, er aber erst bildet sie zur Kunstform fort. Noch nehmen zunächst <lb n="pwo_179.030"/> die lyrischen Chorgesänge den breitesten Raum ein; die Einzelpartieen, <lb n="pwo_179.031"/> die vom Chormeister rezitiert werden, bleiben namentlich im <lb n="pwo_179.032"/> Prolog und den Botenberichten noch stark episch gefärbt. Zu eigentlichem <lb n="pwo_179.033"/> Dialog finden sich nur spärliche Ansätze. Doch mußte der <lb n="pwo_179.034"/> Chormeister nach einander die entscheidenden Personen der Handlung <lb n="pwo_179.035"/> darstellen; und schon von Thespis werden zu den lebhaften Gesten <lb n="pwo_179.036"/> typische Masken eingeführt. Das Stoffgebiet hatte bereits vom Dionysos-Kultus </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [179/0193]
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des Masseninstinktes und der Beschaulichkeit hielt die Fortbildung pwo_179.002
des lyrischen Ueberschwangs zur Energie und geistigen Freiheit pwo_179.003
der dramatischen Form lange hintenan, ja verhinderte ausdrücklich pwo_179.004
die Durchführung einer konsequenten Tragödie.
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So kam die Entwicklung der griechischen Poesie den älteren pwo_179.006
Litteraturen zuvor. Hier sehen wir uns sofort vor eine Reihe bedeutsamer pwo_179.007
Thatsachen gestellt:
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1. Das griechische Drama ist religiösen Ursprungs.
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2. Das griechische Drama läßt sich in seiner Herauswickelung aus pwo_179.010
episch-lyrischer Voraussetzung klar verfolgen.
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Der Dithyrambos des Dionysos-Kultus ist die Form, aus pwo_179.012
welcher das griechische Drama erwachsen ist. Er verherrlichte den pwo_179.013
Gott durch Wiedergabe von Mythen, die auf ihn bezugnehmen. Der pwo_179.014
Vortrag geschah durch einen Chor, welcher als Schar von Satyrn, pwo_179.015
wie sie den Gott begleiteten, in dem Festaufzug einherschritt. Damit pwo_179.016
waren gewisse Voraussetzungen des Dramas gegeben: es brauchte nur pwo_179.017
ein einzelner aus dem Chor mit diesem im Gesang zu wechseln, so pwo_179.018
war eine neue Form angebahnt.
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Jn dem erzählenden Kern des Dithyrambos nahm direkte Rede pwo_179.020
einen weiten Raum ein; schon hierdurch war der Bethätigung des pwo_179.021
Einzeldarstellers weiter Spielraum eröffnet. Jndes litt die Unmittelbarkeit pwo_179.022
der Darstellung, so lange die Thaten des Gottes wie die Geschehnisse pwo_179.023
überhaupt auf epische Weise als in der Vergangenheit liegend pwo_179.024
erzählt wurden. Die äußerlich angesponnene Vergegenwärtigung pwo_179.025
wurde innerlich erst vollkommen, sobald die Handlung als gegenwärtig pwo_179.026
geschehend durch das tempus praesens versinnbildlicht wurde. Diesen pwo_179.027
Schritt that Thespis. Die Unterbrechung des Dithyrambos pwo_179.028
durch Einzelvortrag scheint er schon als Jmprovisation vorgefunden zu pwo_179.029
haben, er aber erst bildet sie zur Kunstform fort. Noch nehmen zunächst pwo_179.030
die lyrischen Chorgesänge den breitesten Raum ein; die Einzelpartieen, pwo_179.031
die vom Chormeister rezitiert werden, bleiben namentlich im pwo_179.032
Prolog und den Botenberichten noch stark episch gefärbt. Zu eigentlichem pwo_179.033
Dialog finden sich nur spärliche Ansätze. Doch mußte der pwo_179.034
Chormeister nach einander die entscheidenden Personen der Handlung pwo_179.035
darstellen; und schon von Thespis werden zu den lebhaften Gesten pwo_179.036
typische Masken eingeführt. Das Stoffgebiet hatte bereits vom Dionysos-Kultus
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