Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_183.001 So betont verweisend Hermes im "Gefesselten Prometheus": pwo_183.002"Wohl denn; was ich jetzt euch sage, bedenkt! pwo_183.003 pwo_183.010Wenn der lärmenden Jagd ihr des Jammers erliegt, pwo_183.004 Klagt euer Geschick nicht an; sagt nie, pwo_183.005 Euch habe so Zeus unerwartet hinab pwo_183.006 Jns Verderben gestürzt; denn wissentlich seid, pwo_183.007 Nicht eilig verlockt, nicht heimlich umgarnt, pwo_183.008 Jns unendliche Netz des Verhängnisses jetzt pwo_183.009 Jhr verstrickt durch eure Verblendung!" Scheint auch dem Menschen sein Schicksal blind und unverdient, die pwo_183.011 Auch für die äußere Ausgestaltung der Tragödie war Aeschylos pwo_183.014 Dieser Kothurn ist zugleich charakteristisch für den Stil der pwo_183.021 Schon Sophokles bahnt den Weg vom Wild-Erhabenen zum pwo_183.027 "Freundlos, verlassen, muß ich Unglückselige pwo_183.035
Lebendig niedersteigen in der Toten Gruft. pwo_183.036 Und welch Gebot der Götter übertrat ich denn? pwo_183.037 Wie darf ich Arme noch den Blick nach ihren Höhn pwo_183.001 So betont verweisend Hermes im „Gefesselten Prometheus“: pwo_183.002„Wohl denn; was ich jetzt euch sage, bedenkt! pwo_183.003 pwo_183.010Wenn der lärmenden Jagd ihr des Jammers erliegt, pwo_183.004 Klagt euer Geschick nicht an; sagt nie, pwo_183.005 Euch habe so Zeus unerwartet hinab pwo_183.006 Jns Verderben gestürzt; denn wissentlich seid, pwo_183.007 Nicht eilig verlockt, nicht heimlich umgarnt, pwo_183.008 Jns unendliche Netz des Verhängnisses jetzt pwo_183.009 Jhr verstrickt durch eure Verblendung!“ Scheint auch dem Menschen sein Schicksal blind und unverdient, die pwo_183.011 Auch für die äußere Ausgestaltung der Tragödie war Aeschylos pwo_183.014 Dieser Kothurn ist zugleich charakteristisch für den Stil der pwo_183.021 Schon Sophokles bahnt den Weg vom Wild-Erhabenen zum pwo_183.027 „Freundlos, verlassen, muß ich Unglückselige pwo_183.035
Lebendig niedersteigen in der Toten Gruft. pwo_183.036 Und welch Gebot der Götter übertrat ich denn? pwo_183.037 Wie darf ich Arme noch den Blick nach ihren Höhn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0197" n="183"/> <lb n="pwo_183.001"/> <p>So betont verweisend Hermes im „Gefesselten Prometheus“:</p> <lb n="pwo_183.002"/> <lg> <l>„Wohl denn; was ich jetzt euch sage, bedenkt!</l> <lb n="pwo_183.003"/> <l>Wenn der lärmenden Jagd ihr des Jammers erliegt,</l> <lb n="pwo_183.004"/> <l>Klagt euer Geschick nicht an; sagt nie,</l> <lb n="pwo_183.005"/> <l>Euch habe so Zeus unerwartet hinab</l> <lb n="pwo_183.006"/> <l>Jns Verderben gestürzt; denn wissentlich seid,</l> <lb n="pwo_183.007"/> <l>Nicht eilig verlockt, nicht heimlich umgarnt,</l> <lb n="pwo_183.008"/> <l>Jns unendliche Netz des Verhängnisses jetzt</l> <lb n="pwo_183.009"/> <l>Jhr verstrickt durch eure Verblendung!“</l> </lg> <lb n="pwo_183.010"/> <p>Scheint auch dem Menschen sein Schicksal blind und unverdient, die <lb n="pwo_183.011"/> Götter und die Seher des göttlichen Willens erkennen einen Zusammenhang <lb n="pwo_183.012"/> zwischen der menschlichen Natur und ihrem Verhängnis.</p> <lb n="pwo_183.013"/> <p> Auch für die äußere Ausgestaltung der Tragödie war Aeschylos <lb n="pwo_183.014"/> thätig. Es wird von ihm berichtet, daß er die Bühne schmückte und <lb n="pwo_183.015"/> durch ihren Glanz, durch Gemälde und Maschinen, Altäre und Gräber, <lb n="pwo_183.016"/> Trompetensignale, Totenerscheinungen, Erinnyen die Augen der <lb n="pwo_183.017"/> Zuschauer in Erstaunen setzte; auch soll er die Schauspieler in lange <lb n="pwo_183.018"/> Aermel und das Schleppgewand gehüllt, sie durch Polsterung stärker <lb n="pwo_183.019"/> gemacht und durch die Stelzenschuhe, den Kothurn, emporgehoben haben.</p> <lb n="pwo_183.020"/> <p> Dieser Kothurn ist zugleich charakteristisch für den Stil der <lb n="pwo_183.021"/> griechischen Tragödie: der Zug ins Erhabene, die Heraushebung und <lb n="pwo_183.022"/> höchstmögliche Erhebung über das gewöhnlich menschliche Maß liegt <lb n="pwo_183.023"/> je ursprünglicher desto klarer in der Tendenz der tragischen Dichtung. <lb n="pwo_183.024"/> Gigantisch in den Gestalten, im Ausdruck feierlich, kühn, überschäumend <lb n="pwo_183.025"/> an Kraft, selbst phantastisch tritt denn auch Aeschylos hervor.</p> <lb n="pwo_183.026"/> <p> Schon <hi rendition="#g">Sophokles</hi> bahnt den Weg vom Wild-Erhabenen zum <lb n="pwo_183.027"/> Maßvoll-Schönen an. Durch Hinzufügung eines dritten Aktors verstärkte <lb n="pwo_183.028"/> er die dramatische Bewegung. Jndem er ferner von den übermenschlichen <lb n="pwo_183.029"/> Kolossalgemälden zu menschlicheren Normen übergeht, vertieft <lb n="pwo_183.030"/> er sowohl die psychologische Zeichnung wie den humanistischen <lb n="pwo_183.031"/> Gehalt. Freilich entfesselt Sophokles nicht mehr den titanischen Kampf <lb n="pwo_183.032"/> um das Recht oder Unrecht des Geschickes; Ergebung in das Unabänderliche, <lb n="pwo_183.033"/> schöne Entsagung bringt er zum Ausdruck:</p> <lb n="pwo_183.034"/> <lg> <l>„Freundlos, verlassen, muß ich Unglückselige</l> <lb n="pwo_183.035"/> <l>Lebendig niedersteigen in der Toten Gruft.</l> <lb n="pwo_183.036"/> <l>Und welch Gebot der Götter übertrat ich denn?</l> <lb n="pwo_183.037"/> <l>Wie darf ich Arme noch den Blick nach ihren Höhn</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [183/0197]
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So betont verweisend Hermes im „Gefesselten Prometheus“:
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Jhr verstrickt durch eure Verblendung!“
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Götter und die Seher des göttlichen Willens erkennen einen Zusammenhang pwo_183.012
zwischen der menschlichen Natur und ihrem Verhängnis.
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Auch für die äußere Ausgestaltung der Tragödie war Aeschylos pwo_183.014
thätig. Es wird von ihm berichtet, daß er die Bühne schmückte und pwo_183.015
durch ihren Glanz, durch Gemälde und Maschinen, Altäre und Gräber, pwo_183.016
Trompetensignale, Totenerscheinungen, Erinnyen die Augen der pwo_183.017
Zuschauer in Erstaunen setzte; auch soll er die Schauspieler in lange pwo_183.018
Aermel und das Schleppgewand gehüllt, sie durch Polsterung stärker pwo_183.019
gemacht und durch die Stelzenschuhe, den Kothurn, emporgehoben haben.
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Dieser Kothurn ist zugleich charakteristisch für den Stil der pwo_183.021
griechischen Tragödie: der Zug ins Erhabene, die Heraushebung und pwo_183.022
höchstmögliche Erhebung über das gewöhnlich menschliche Maß liegt pwo_183.023
je ursprünglicher desto klarer in der Tendenz der tragischen Dichtung. pwo_183.024
Gigantisch in den Gestalten, im Ausdruck feierlich, kühn, überschäumend pwo_183.025
an Kraft, selbst phantastisch tritt denn auch Aeschylos hervor.
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Schon Sophokles bahnt den Weg vom Wild-Erhabenen zum pwo_183.027
Maßvoll-Schönen an. Durch Hinzufügung eines dritten Aktors verstärkte pwo_183.028
er die dramatische Bewegung. Jndem er ferner von den übermenschlichen pwo_183.029
Kolossalgemälden zu menschlicheren Normen übergeht, vertieft pwo_183.030
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Gehalt. Freilich entfesselt Sophokles nicht mehr den titanischen Kampf pwo_183.032
um das Recht oder Unrecht des Geschickes; Ergebung in das Unabänderliche, pwo_183.033
schöne Entsagung bringt er zum Ausdruck:
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Und welch Gebot der Götter übertrat ich denn? pwo_183.037
Wie darf ich Arme noch den Blick nach ihren Höhn
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