Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_212.001 "Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, pwo_212.009 pwo_212.018So sei es gleich um mich gethan! pwo_212.010 Kannst du mich schmeichelnd je belügen, pwo_212.011 Daß ich mir selbst gefallen mag, pwo_212.012 Kannst du mich mit Genuß betrügen: pwo_212.013 Das sei für mich der letzte Tag! ... pwo_212.014 Werd' ich zum Augenblicke sagen: pwo_212.015 Verweile doch! du bist so schön! pwo_212.016 Dann magst du mich in Fesseln schlagen, pwo_212.017 Dann will ich gern zugrunde gehn!" Dem entsprechend endet Fausts Lebenslauf mit dem ersten Geständnis pwo_212.019 "Völlig vollendet pwo_212.036 pwo_212.037Liegt der ruhende Greis, der Sterblichen herrliches Muster." Jn diesem Wort der "Achilleis" haben wir ein Bild des scheidenden pwo_212.001 „Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, pwo_212.009 pwo_212.018So sei es gleich um mich gethan! pwo_212.010 Kannst du mich schmeichelnd je belügen, pwo_212.011 Daß ich mir selbst gefallen mag, pwo_212.012 Kannst du mich mit Genuß betrügen: pwo_212.013 Das sei für mich der letzte Tag! ... pwo_212.014 Werd' ich zum Augenblicke sagen: pwo_212.015 Verweile doch! du bist so schön! pwo_212.016 Dann magst du mich in Fesseln schlagen, pwo_212.017 Dann will ich gern zugrunde gehn!“ Dem entsprechend endet Fausts Lebenslauf mit dem ersten Geständnis pwo_212.019 „Völlig vollendet pwo_212.036 pwo_212.037Liegt der ruhende Greis, der Sterblichen herrliches Muster.“ Jn diesem Wort der „Achilleïs“ haben wir ein Bild des scheidenden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0226" n="212"/><lb n="pwo_212.001"/> keiner Jllustrierung. Wie Faust gerade von dem dämonischen <lb n="pwo_212.002"/> Trieb erfüllt ist, all „der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen“, <lb n="pwo_212.003"/> vermißt er sich, nimmer in Genuß zu ersticken, immer unbefriedigt <lb n="pwo_212.004"/> vorwärtszustürmen. Ausschlaggebend für die Konsequenz, mit <lb n="pwo_212.005"/> welcher der Dichter Fausts Schicksal aus der Charakterentwicklung seines <lb n="pwo_212.006"/> Helden herleiten will, ist nun bereits der scharf auf die Bedingung <lb n="pwo_212.007"/> der Katastrophe zugespitzte Wortlaut der Wette:</p> <lb n="pwo_212.008"/> <lg> <l>„Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,</l> <lb n="pwo_212.009"/> <l>So sei es gleich um mich gethan!</l> <lb n="pwo_212.010"/> <l>Kannst du mich schmeichelnd je belügen,</l> <lb n="pwo_212.011"/> <l>Daß ich mir selbst gefallen mag,</l> <lb n="pwo_212.012"/> <l>Kannst du mich mit Genuß betrügen:</l> <lb n="pwo_212.013"/> <l>Das sei für mich der letzte Tag! ...</l> <lb n="pwo_212.014"/> <l>Werd' ich zum Augenblicke sagen:</l> <lb n="pwo_212.015"/> <l>Verweile doch! du bist so schön!</l> <lb n="pwo_212.016"/> <l>Dann magst du mich in Fesseln schlagen,</l> <lb n="pwo_212.017"/> <l> <hi rendition="#g">Dann will ich gern zugrunde gehn!“</hi> </l> </lg> <lb n="pwo_212.018"/> <p>Dem entsprechend endet Fausts Lebenslauf mit dem ersten Geständnis <lb n="pwo_212.019"/> seiner Selbstzufriedenheit, mit dem ersten Wunsche, in einem schönen <lb n="pwo_212.020"/> Moment zu verharren. Aber zu welcher sittlichen Höhe erhebt sich <lb n="pwo_212.021"/> gerade diese Katastrophe! Gewiß, der Mensch, der kein weiteres Ziel <lb n="pwo_212.022"/> vor Augen sieht, der im Genuß aufgehen will, lebt für die Menschheit <lb n="pwo_212.023"/> umsonst: so ist auch Fausts Wirken und damit seinem Leben eine <lb n="pwo_212.024"/> Grenze gesetzt, über die er nicht hinausstrebt, an der er sich zum <lb n="pwo_212.025"/> Verweilen eingeladen fühlt. Jndes, nicht Versumpfung in unthätiger <lb n="pwo_212.026"/> Genußsucht – wie sie bei der Wette d. h. der hypothetischen Hingabe <lb n="pwo_212.027"/> an die höllischen Mächte vorschwebte – wird das Los dieses Helden <lb n="pwo_212.028"/> männlicher Thatkraft. Worin er verharren will, ist die Entfesselung <lb n="pwo_212.029"/> aller wirtschaftlichen Thatkraft, ist der tägliche Kampf um die Bedingungen <lb n="pwo_212.030"/> des Lebens, ist das immer strebende Bemühen, das zur Erlösung <lb n="pwo_212.031"/> führt. So schafft sich Faust im Sinne des konsequenten, des <lb n="pwo_212.032"/> idealen Charakterdramas – sogar weiter als es der Realität entsprechen <lb n="pwo_212.033"/> dürfte – sein Schicksal, auch sein letztes, selbst: aber das <lb n="pwo_212.034"/> physische Ende zeigt den rechten Mann auf der Höhe der Vollendung:</p> <lb n="pwo_212.035"/> <lg> <l> „Völlig vollendet</l> <lb n="pwo_212.036"/> <l>Liegt der ruhende Greis, der Sterblichen herrliches Muster.“</l> </lg> <lb n="pwo_212.037"/> <p>Jn diesem Wort der „Achille<hi rendition="#aq">ï</hi>s“ haben wir ein Bild des scheidenden </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [212/0226]
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keiner Jllustrierung. Wie Faust gerade von dem dämonischen pwo_212.002
Trieb erfüllt ist, all „der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen“, pwo_212.003
vermißt er sich, nimmer in Genuß zu ersticken, immer unbefriedigt pwo_212.004
vorwärtszustürmen. Ausschlaggebend für die Konsequenz, mit pwo_212.005
welcher der Dichter Fausts Schicksal aus der Charakterentwicklung seines pwo_212.006
Helden herleiten will, ist nun bereits der scharf auf die Bedingung pwo_212.007
der Katastrophe zugespitzte Wortlaut der Wette:
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„Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, pwo_212.009
So sei es gleich um mich gethan! pwo_212.010
Kannst du mich schmeichelnd je belügen, pwo_212.011
Daß ich mir selbst gefallen mag, pwo_212.012
Kannst du mich mit Genuß betrügen: pwo_212.013
Das sei für mich der letzte Tag! ... pwo_212.014
Werd' ich zum Augenblicke sagen: pwo_212.015
Verweile doch! du bist so schön! pwo_212.016
Dann magst du mich in Fesseln schlagen, pwo_212.017
Dann will ich gern zugrunde gehn!“
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Dem entsprechend endet Fausts Lebenslauf mit dem ersten Geständnis pwo_212.019
seiner Selbstzufriedenheit, mit dem ersten Wunsche, in einem schönen pwo_212.020
Moment zu verharren. Aber zu welcher sittlichen Höhe erhebt sich pwo_212.021
gerade diese Katastrophe! Gewiß, der Mensch, der kein weiteres Ziel pwo_212.022
vor Augen sieht, der im Genuß aufgehen will, lebt für die Menschheit pwo_212.023
umsonst: so ist auch Fausts Wirken und damit seinem Leben eine pwo_212.024
Grenze gesetzt, über die er nicht hinausstrebt, an der er sich zum pwo_212.025
Verweilen eingeladen fühlt. Jndes, nicht Versumpfung in unthätiger pwo_212.026
Genußsucht – wie sie bei der Wette d. h. der hypothetischen Hingabe pwo_212.027
an die höllischen Mächte vorschwebte – wird das Los dieses Helden pwo_212.028
männlicher Thatkraft. Worin er verharren will, ist die Entfesselung pwo_212.029
aller wirtschaftlichen Thatkraft, ist der tägliche Kampf um die Bedingungen pwo_212.030
des Lebens, ist das immer strebende Bemühen, das zur Erlösung pwo_212.031
führt. So schafft sich Faust im Sinne des konsequenten, des pwo_212.032
idealen Charakterdramas – sogar weiter als es der Realität entsprechen pwo_212.033
dürfte – sein Schicksal, auch sein letztes, selbst: aber das pwo_212.034
physische Ende zeigt den rechten Mann auf der Höhe der Vollendung:
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Liegt der ruhende Greis, der Sterblichen herrliches Muster.“
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Jn diesem Wort der „Achilleïs“ haben wir ein Bild des scheidenden
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