Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_259.001 Jst die Frage einmal so gestellt, dann ergiebt sich ohne weiteres, pwo_259.002 Auf der ersten Entwicklungsstufe, die geschichtlichem Blick erreichbar pwo_259.007 Die erste Erweiterung gewinnt die Poesie durch Ausbildung des pwo_259.014 Alsdann entfaltet sich das Subjekt des Dichters zu vollem Ausleben pwo_259.027 pwo_259.001 Jst die Frage einmal so gestellt, dann ergiebt sich ohne weiteres, pwo_259.002 Auf der ersten Entwicklungsstufe, die geschichtlichem Blick erreichbar pwo_259.007 Die erste Erweiterung gewinnt die Poesie durch Ausbildung des pwo_259.014 Alsdann entfaltet sich das Subjekt des Dichters zu vollem Ausleben pwo_259.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0273" n="259"/> <lb n="pwo_259.001"/> <p> Jst die Frage einmal so gestellt, dann ergiebt sich ohne weiteres, <lb n="pwo_259.002"/> daß unsere Untersuchung damit zu beginnen hat, das älteste Publikum, <lb n="pwo_259.003"/> welches nach unserer Kenntnis einem Dichterwerke lauschte, vor unsern <lb n="pwo_259.004"/> Blick zu zaubern: und das ist durchaus nicht so schwierig, wie man <lb n="pwo_259.005"/> zunächst voraussetzen mag.</p> <lb n="pwo_259.006"/> <p> Auf der ersten Entwicklungsstufe, die geschichtlichem Blick erreichbar <lb n="pwo_259.007"/> ist, finden wir die Poesie mit dem religiösen Opfer verbunden. <lb n="pwo_259.008"/> Der Priester ist der Sänger, die Gemeinde das Publikum. Die <lb n="pwo_259.009"/> Empfindungen beider Teile sind religiös wie der Jnhalt der Gesänge. <lb n="pwo_259.010"/> Der Priester-Sänger will die Herzen der Gemeinde zur Gottheit erheben; <lb n="pwo_259.011"/> und verfehlt er seine Wirkung nicht, so <hi rendition="#g">fühlen</hi> sich die Herzen <lb n="pwo_259.012"/> der Gemeinde <hi rendition="#g">zur Gottheit erhoben.</hi></p> <lb n="pwo_259.013"/> <p> Die erste Erweiterung gewinnt die Poesie durch Ausbildung des <lb n="pwo_259.014"/> Heroenkultus: nun will sie erzählen „der Vorzeit Geschichten aus <lb n="pwo_259.015"/> früh'ster Erinn'rung“ (wie es am Anfang der Edda heißt). Damit <lb n="pwo_259.016"/> gesellt der Dichter zu dem religiösen das nationale Element. Die <lb n="pwo_259.017"/> Stammväter des Stammes verherrlicht er, und der Stamm bildet <lb n="pwo_259.018"/> sein Publikum. Der Sänger prätendiert thatsächlich schon seit der <lb n="pwo_259.019"/> ersten Singularisierung der göttlichen Wunder, in vollem, ausschließlichen <lb n="pwo_259.020"/> Umfang nun mit Einkleidung der Sage in den nationalen Vers, <lb n="pwo_259.021"/> Geschichte zu bieten. So empfängt der Geist des Volkes aus der <lb n="pwo_259.022"/> Seele des Dichters zu der Religion auch die ersten <hi rendition="#g">geschichtlichen</hi> <lb n="pwo_259.023"/> Vorstellungen, d. h. der Mensch fühlt sich nun nicht allein als Wesen <lb n="pwo_259.024"/> im Raum mit der über ihm waltenden Macht, vielmehr auch als <lb n="pwo_259.025"/> Wesen in der Zeit mit den vor ihm dahingeschwundenen Wesen.</p> <lb n="pwo_259.026"/> <p> Alsdann entfaltet sich das Subjekt des Dichters zu vollem Ausleben <lb n="pwo_259.027"/> und ruft so die Subjektivität, in immer höherem Maße das <lb n="pwo_259.028"/> individuelle Gefühl des Publikums wach. Wenn er durch ein Liebes- <lb n="pwo_259.029"/> oder Naturlied seinem Gefühl für die Geliebte oder die Natur Ausdruck <lb n="pwo_259.030"/> giebt, so weckt er die gleiche Empfindung im Hörer bezw. Leser: <lb n="pwo_259.031"/> auch dieser wird sich jetzt <hi rendition="#g">seines Gefühls</hi> für die Lieblichkeit des <lb n="pwo_259.032"/> Weibes, für die Wonne des Lenzes <hi rendition="#g">bewußt,</hi> wird sich desselben <lb n="pwo_259.033"/> bewußt in den Worten des Dichters. Damit hört die Menschheit <lb n="pwo_259.034"/> auf, blos instinktiv und bewußtlos ein Traumleben der Gefühle zu <lb n="pwo_259.035"/> leben; ihrer selbst wird sie sich bewußt, ihr <hi rendition="#g">Selbstbewußtsein</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [259/0273]
pwo_259.001
Jst die Frage einmal so gestellt, dann ergiebt sich ohne weiteres, pwo_259.002
daß unsere Untersuchung damit zu beginnen hat, das älteste Publikum, pwo_259.003
welches nach unserer Kenntnis einem Dichterwerke lauschte, vor unsern pwo_259.004
Blick zu zaubern: und das ist durchaus nicht so schwierig, wie man pwo_259.005
zunächst voraussetzen mag.
pwo_259.006
Auf der ersten Entwicklungsstufe, die geschichtlichem Blick erreichbar pwo_259.007
ist, finden wir die Poesie mit dem religiösen Opfer verbunden. pwo_259.008
Der Priester ist der Sänger, die Gemeinde das Publikum. Die pwo_259.009
Empfindungen beider Teile sind religiös wie der Jnhalt der Gesänge. pwo_259.010
Der Priester-Sänger will die Herzen der Gemeinde zur Gottheit erheben; pwo_259.011
und verfehlt er seine Wirkung nicht, so fühlen sich die Herzen pwo_259.012
der Gemeinde zur Gottheit erhoben.
pwo_259.013
Die erste Erweiterung gewinnt die Poesie durch Ausbildung des pwo_259.014
Heroenkultus: nun will sie erzählen „der Vorzeit Geschichten aus pwo_259.015
früh'ster Erinn'rung“ (wie es am Anfang der Edda heißt). Damit pwo_259.016
gesellt der Dichter zu dem religiösen das nationale Element. Die pwo_259.017
Stammväter des Stammes verherrlicht er, und der Stamm bildet pwo_259.018
sein Publikum. Der Sänger prätendiert thatsächlich schon seit der pwo_259.019
ersten Singularisierung der göttlichen Wunder, in vollem, ausschließlichen pwo_259.020
Umfang nun mit Einkleidung der Sage in den nationalen Vers, pwo_259.021
Geschichte zu bieten. So empfängt der Geist des Volkes aus der pwo_259.022
Seele des Dichters zu der Religion auch die ersten geschichtlichen pwo_259.023
Vorstellungen, d. h. der Mensch fühlt sich nun nicht allein als Wesen pwo_259.024
im Raum mit der über ihm waltenden Macht, vielmehr auch als pwo_259.025
Wesen in der Zeit mit den vor ihm dahingeschwundenen Wesen.
pwo_259.026
Alsdann entfaltet sich das Subjekt des Dichters zu vollem Ausleben pwo_259.027
und ruft so die Subjektivität, in immer höherem Maße das pwo_259.028
individuelle Gefühl des Publikums wach. Wenn er durch ein Liebes- pwo_259.029
oder Naturlied seinem Gefühl für die Geliebte oder die Natur Ausdruck pwo_259.030
giebt, so weckt er die gleiche Empfindung im Hörer bezw. Leser: pwo_259.031
auch dieser wird sich jetzt seines Gefühls für die Lieblichkeit des pwo_259.032
Weibes, für die Wonne des Lenzes bewußt, wird sich desselben pwo_259.033
bewußt in den Worten des Dichters. Damit hört die Menschheit pwo_259.034
auf, blos instinktiv und bewußtlos ein Traumleben der Gefühle zu pwo_259.035
leben; ihrer selbst wird sie sich bewußt, ihr Selbstbewußtsein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |