Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.
pwo_032.001 Auf welche Weise nun auch die einzelnen Völker ihre Dichtergabe von pwo_032.004 Aehnlich sehen wir in geschichtlicher Zeit neue Ansätze zu poetischen pwo_032.007 pwo_032.012 § 26. pwo_032.013 pwo_032.014Die Erhabenheit der ältesten Poesie. Jn durchgehender Uebereinstimmung betont die älteste uns erreichbare pwo_032.015 Schon auf Grund dieser Betrachtung müssen Zweifel aufkommen, pwo_032.020
pwo_032.001 Auf welche Weise nun auch die einzelnen Völker ihre Dichtergabe von pwo_032.004 Aehnlich sehen wir in geschichtlicher Zeit neue Ansätze zu poetischen pwo_032.007 pwo_032.012 § 26. pwo_032.013 pwo_032.014Die Erhabenheit der ältesten Poesie. Jn durchgehender Uebereinstimmung betont die älteste uns erreichbare pwo_032.015 Schon auf Grund dieser Betrachtung müssen Zweifel aufkommen, pwo_032.020 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0046" n="32"/><lb n="pwo_032.001"/> so klug gewesen sei, daß er sie ihm habe abfragen <lb n="pwo_032.002"/> können.'“</hi> </p> <lb n="pwo_032.003"/> <p>Auf welche Weise nun auch die einzelnen Völker ihre Dichtergabe von <lb n="pwo_032.004"/> den Göttern herleiten, religiös-erhaben ist thatsächlich die älteste uns <lb n="pwo_032.005"/> erreichbare Poesie.</p> <lb n="pwo_032.006"/> <p> Aehnlich sehen wir in geschichtlicher Zeit neue Ansätze zu poetischen <lb n="pwo_032.007"/> Entwicklungen vorherrschend von dem Religiös-Erhabenen ausgehen. <lb n="pwo_032.008"/> Religiös ist überall der Ursprung des Dramas; im Zeitalter <lb n="pwo_032.009"/> der Kreuzzüge, im Zeitalter der Reformation, mit den Gesängen des <lb n="pwo_032.010"/> „Messias“ verjüngt sich unsere Dichtung dreimal; Goethe und Schiller <lb n="pwo_032.011"/> beginnen ihre schöpferische Thätigkeit mit einem „Joseph“ und „Moses“.</p> </div> <div n="3"> <lb n="pwo_032.012"/> <head> <hi rendition="#c">§ 26. <lb n="pwo_032.013"/> Die Erhabenheit der ältesten Poesie.</hi> </head> <lb n="pwo_032.014"/> <p> Jn durchgehender Uebereinstimmung betont die älteste uns erreichbare <lb n="pwo_032.015"/> Poesie ihren erhabenen Charakter, ihr Ziel zu den Göttern <lb n="pwo_032.016"/> zu erheben. Die Erhebung über das Jrdische, die Erhabenheit, tritt <lb n="pwo_032.017"/> auf dieser ersten Stufe als Wesenheit der Poesie auf. Von einer <lb n="pwo_032.018"/> Tendenz zur Schönheit ist dagegen noch nirgends die Rede.</p> <lb n="pwo_032.019"/> <p> Schon auf Grund dieser Betrachtung müssen Zweifel aufkommen, <lb n="pwo_032.020"/> ob die bloße ungeschichtliche Gegenüberstellung von Erhabenheit und <lb n="pwo_032.021"/> Schönheit haltbar ist. „Zwei Genien sind es,“ führt Schillers Abhandlung <lb n="pwo_032.022"/> „Ueber das Erhabene“ aus, „die uns die Natur zu Begleitern <lb n="pwo_032.023"/> durchs Leben gab. Der Eine, gesellig und hold, verkürzt <lb n="pwo_032.024"/> uns durch sein munteres Spiel die mühvolle Reise, macht uns die <lb n="pwo_032.025"/> Fesseln der Notwendigkeit leicht und führt uns unter Freude und <lb n="pwo_032.026"/> Scherz bis an die gefährlichen Stellen, wo wir als reine Geister <lb n="pwo_032.027"/> handeln und alles Körperliche ablegen müssen, bis zur Erkenntnis der <lb n="pwo_032.028"/> Wahrheit und zur Ausübung der Pflicht. Hier <hi rendition="#g">verläßt</hi> er uns, <lb n="pwo_032.029"/> denn nur die Sinnenwelt ist sein Gebiet, über diese hinaus kann ihn <lb n="pwo_032.030"/> sein irdischer Flügel nicht tragen. Aber jetzt <hi rendition="#g">tritt der andere <lb n="pwo_032.031"/> hinzu,</hi> ernst und schweigend, und mit starkem Arm trägt er uns <lb n="pwo_032.032"/> über die schwindligte Tiefe. Jn dem ersten dieser Genien erkennet <lb n="pwo_032.033"/> man das Gefühl des Schönen, in dem zweiten das Gefühl des Erhabenen.“ <lb n="pwo_032.034"/> Aehnlich faßt Wilhelm Wackernagel das Verhältnis in <lb n="pwo_032.035"/> seiner Poetik: „Die Einbildungskraft kann den Verstand vorübergehend </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [32/0046]
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so klug gewesen sei, daß er sie ihm habe abfragen pwo_032.002
können.'“
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Auf welche Weise nun auch die einzelnen Völker ihre Dichtergabe von pwo_032.004
den Göttern herleiten, religiös-erhaben ist thatsächlich die älteste uns pwo_032.005
erreichbare Poesie.
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Aehnlich sehen wir in geschichtlicher Zeit neue Ansätze zu poetischen pwo_032.007
Entwicklungen vorherrschend von dem Religiös-Erhabenen ausgehen. pwo_032.008
Religiös ist überall der Ursprung des Dramas; im Zeitalter pwo_032.009
der Kreuzzüge, im Zeitalter der Reformation, mit den Gesängen des pwo_032.010
„Messias“ verjüngt sich unsere Dichtung dreimal; Goethe und Schiller pwo_032.011
beginnen ihre schöpferische Thätigkeit mit einem „Joseph“ und „Moses“.
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Die Erhabenheit der ältesten Poesie. pwo_032.014
Jn durchgehender Uebereinstimmung betont die älteste uns erreichbare pwo_032.015
Poesie ihren erhabenen Charakter, ihr Ziel zu den Göttern pwo_032.016
zu erheben. Die Erhebung über das Jrdische, die Erhabenheit, tritt pwo_032.017
auf dieser ersten Stufe als Wesenheit der Poesie auf. Von einer pwo_032.018
Tendenz zur Schönheit ist dagegen noch nirgends die Rede.
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Schon auf Grund dieser Betrachtung müssen Zweifel aufkommen, pwo_032.020
ob die bloße ungeschichtliche Gegenüberstellung von Erhabenheit und pwo_032.021
Schönheit haltbar ist. „Zwei Genien sind es,“ führt Schillers Abhandlung pwo_032.022
„Ueber das Erhabene“ aus, „die uns die Natur zu Begleitern pwo_032.023
durchs Leben gab. Der Eine, gesellig und hold, verkürzt pwo_032.024
uns durch sein munteres Spiel die mühvolle Reise, macht uns die pwo_032.025
Fesseln der Notwendigkeit leicht und führt uns unter Freude und pwo_032.026
Scherz bis an die gefährlichen Stellen, wo wir als reine Geister pwo_032.027
handeln und alles Körperliche ablegen müssen, bis zur Erkenntnis der pwo_032.028
Wahrheit und zur Ausübung der Pflicht. Hier verläßt er uns, pwo_032.029
denn nur die Sinnenwelt ist sein Gebiet, über diese hinaus kann ihn pwo_032.030
sein irdischer Flügel nicht tragen. Aber jetzt tritt der andere pwo_032.031
hinzu, ernst und schweigend, und mit starkem Arm trägt er uns pwo_032.032
über die schwindligte Tiefe. Jn dem ersten dieser Genien erkennet pwo_032.033
man das Gefühl des Schönen, in dem zweiten das Gefühl des Erhabenen.“ pwo_032.034
Aehnlich faßt Wilhelm Wackernagel das Verhältnis in pwo_032.035
seiner Poetik: „Die Einbildungskraft kann den Verstand vorübergehend
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