Vor allen Dingen erhielt die im Grundtrieb der Poesie liegende pwo_079.002 superlative Ausdrucksweise ihre vollendete Ausbildung und Ueberbietung pwo_079.003 in der wichtigthuenden Spielmannsdichtung: so reich wie dreißig pwo_079.004 Königinnen, ja wie keine sonst; wie konnte jemand kühner sein? oder pwo_079.005 ein kühnerer je geboren werden? nimmer begeht ein Held größere pwo_079.006 Missethat; nichts konnte lieber oder leider geschehen. Noch in der pwo_079.007 größeren Spielmannsaufzeichnung von König Rother lesen wir dicht pwo_079.008 bei einander:
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"Nu ne wart ich nee so ungezogin ..."
pwo_079.010
"... so nemachtu, kuninc, nimir mer bezzer tugint pwo_079.011 gewinnen." -
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Ein eigentlicher Sängerstand als Kaste wetteifernder und konkurrierender pwo_079.013 Zunftgenossen setzt bereits weiter ausgebildete Kulturzustände pwo_079.014 voraus, Zeiten friedlichen Ausbaus und wohligen Behagens pwo_079.015 nach Abschluß der politisch und wirtschaftlich umgestaltenden, gewaltigen pwo_079.016 Völkerkämpfe. So weiß Homer von Sängern zu melden, die pwo_079.017 nicht nur in den Versammlungen von Stammesgenossen, sondern auch pwo_079.018 beim fröhlichen Mahle ihre Lieder zum Preis der Helden ertönen pwo_079.019 lassen.
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Damit verlieren die Gesänge indes naturgemäß von ihrem ehrfurchtgebietenden, pwo_079.021 erhabenen, vorherrschend tragischen Ernst, um Gegenstand pwo_079.022 frohen Schmuckes und Glanzes zu werden, was den Stil noch pwo_079.023 weiter von seiner schlichten Kraft entfernt.
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Südöstlich wie nordwestlich steht gleichmäßig fest, daß diese pwo_079.025 Spielleute wandern, von Fürstenhof zu Fürstenhof, doch auch sonst pwo_079.026 im Lande umherziehen und an Herrensitzen Halt machen.
pwo_079.027
Teils um dem eigenen Gedächtnis nachzuhelfen und einen immer pwo_079.028 reicheren Liederbestand zu erwerben, teils um jüngeren Nachwuchs, pwo_079.029 zunächst die eigenen Kinder für den Sängerberuf zu erziehen, schließlich pwo_079.030 bisweilen schon auf Ersuchen ihrer fürstlichen Gönner legen die pwo_079.031 Spielleute Handbücher an, worin die Texte, nicht selten auch die pwo_079.032 Melodieen verzeichnet waren. Schon damit ist ein Schritt in die pwo_079.033 litterarische Epoche der Heldenerzählung angebahnt und die Möglichkeit pwo_079.034 zu litterarischer Zusammenfassung aller im Liede behandelten Teile pwo_079.035 eines Sagenkreises gegeben.
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Vor allen Dingen erhielt die im Grundtrieb der Poesie liegende pwo_079.002 superlative Ausdrucksweise ihre vollendete Ausbildung und Ueberbietung pwo_079.003 in der wichtigthuenden Spielmannsdichtung: so reich wie dreißig pwo_079.004 Königinnen, ja wie keine sonst; wie konnte jemand kühner sein? oder pwo_079.005 ein kühnerer je geboren werden? nimmer begeht ein Held größere pwo_079.006 Missethat; nichts konnte lieber oder leider geschehen. Noch in der pwo_079.007 größeren Spielmannsaufzeichnung von König Rother lesen wir dicht pwo_079.008 bei einander:
Ein eigentlicher Sängerstand als Kaste wetteifernder und konkurrierender pwo_079.013 Zunftgenossen setzt bereits weiter ausgebildete Kulturzustände pwo_079.014 voraus, Zeiten friedlichen Ausbaus und wohligen Behagens pwo_079.015 nach Abschluß der politisch und wirtschaftlich umgestaltenden, gewaltigen pwo_079.016 Völkerkämpfe. So weiß Homer von Sängern zu melden, die pwo_079.017 nicht nur in den Versammlungen von Stammesgenossen, sondern auch pwo_079.018 beim fröhlichen Mahle ihre Lieder zum Preis der Helden ertönen pwo_079.019 lassen.
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Damit verlieren die Gesänge indes naturgemäß von ihrem ehrfurchtgebietenden, pwo_079.021 erhabenen, vorherrschend tragischen Ernst, um Gegenstand pwo_079.022 frohen Schmuckes und Glanzes zu werden, was den Stil noch pwo_079.023 weiter von seiner schlichten Kraft entfernt.
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Südöstlich wie nordwestlich steht gleichmäßig fest, daß diese pwo_079.025 Spielleute wandern, von Fürstenhof zu Fürstenhof, doch auch sonst pwo_079.026 im Lande umherziehen und an Herrensitzen Halt machen.
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Teils um dem eigenen Gedächtnis nachzuhelfen und einen immer pwo_079.028 reicheren Liederbestand zu erwerben, teils um jüngeren Nachwuchs, pwo_079.029 zunächst die eigenen Kinder für den Sängerberuf zu erziehen, schließlich pwo_079.030 bisweilen schon auf Ersuchen ihrer fürstlichen Gönner legen die pwo_079.031 Spielleute Handbücher an, worin die Texte, nicht selten auch die pwo_079.032 Melodieen verzeichnet waren. Schon damit ist ein Schritt in die pwo_079.033 litterarische Epoche der Heldenerzählung angebahnt und die Möglichkeit pwo_079.034 zu litterarischer Zusammenfassung aller im Liede behandelten Teile pwo_079.035 eines Sagenkreises gegeben.
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Missethat; nichts konnte lieber oder leider geschehen. Noch in der pwo_079.007
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„Nu ne wart ich nee sô ungezogin ...“
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„... so nemachtu, kuninc, nimir mêr bezzer tugint pwo_079.011
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Ein eigentlicher Sängerstand als Kaste wetteifernder und konkurrierender pwo_079.013
Zunftgenossen setzt bereits weiter ausgebildete Kulturzustände pwo_079.014
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Völkerkämpfe. So weiß Homer von Sängern zu melden, die pwo_079.017
nicht nur in den Versammlungen von Stammesgenossen, sondern auch pwo_079.018
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Damit verlieren die Gesänge indes naturgemäß von ihrem ehrfurchtgebietenden, pwo_079.021
erhabenen, vorherrschend tragischen Ernst, um Gegenstand pwo_079.022
frohen Schmuckes und Glanzes zu werden, was den Stil noch pwo_079.023
weiter von seiner schlichten Kraft entfernt.
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Südöstlich wie nordwestlich steht gleichmäßig fest, daß diese pwo_079.025
Spielleute wandern, von Fürstenhof zu Fürstenhof, doch auch sonst pwo_079.026
im Lande umherziehen und an Herrensitzen Halt machen.
pwo_079.027
Teils um dem eigenen Gedächtnis nachzuhelfen und einen immer pwo_079.028
reicheren Liederbestand zu erwerben, teils um jüngeren Nachwuchs, pwo_079.029
zunächst die eigenen Kinder für den Sängerberuf zu erziehen, schließlich pwo_079.030
bisweilen schon auf Ersuchen ihrer fürstlichen Gönner legen die pwo_079.031
Spielleute Handbücher an, worin die Texte, nicht selten auch die pwo_079.032
Melodieen verzeichnet waren. Schon damit ist ein Schritt in die pwo_079.033
litterarische Epoche der Heldenerzählung angebahnt und die Möglichkeit pwo_079.034
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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/93>, abgerufen am 26.06.2024.
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