F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Waldeinsamkeit, So morgen wie heut u. Ich höre, daß Sie den Phantasus gelesen haben, bemerkte R. Ludwig lächelte: meine Schwester müßte die Erste unter den Frauen sein, wenn sie ein Buch gelesen hätte und dieses nicht gelegentlich bemerkbar machte. Ich überhörte die Anwendung und sagte: Uebrigens möchte ich nur wissen, was an dem Märchen bewunderungswürdig ist? Ich finde nichts Schönes darin, daß ein ehrsamer Ritter eine Frau erheirathete, welche ihr Hab' und Gut dem Raube und dem Betrüge verdankt. -- Es giebt in der Wirklichkeit wenig Dinge, entgegnete R., welche eine ganz prosaische Analyse auszuhalten im Stande sind, und man sollte diese auf das goldene Märchen nun vollends nicht in Anwendung bringen wollen. Mich haben der blonde Eckbert, der kleine Stromian, ja selbst der Vogel immer unendlich angezogen. Dem Ganzen liegt eine liebenswürdige Phantasie zum Grunde, und die Einheit darin scheint mir bewunderungswürdig, gleichwie die Auflösung. Da es einmal ein Märchen ist, entgegnete ich, so hätte es auch der Wirklichkeit etwas mehr entrückt werden können; wozu war es nothwendig, daß Eckbert blondes, flach anliegendes Haar haben mußte, es stört alle Täuschung. Kaum waren diese Worte über meine Lippen, so stand mein Vetter Victor vor uns. Du kennst mein damaliges seltsames Verhältniß zu ihm; Waldeinsamkeit, So morgen wie heut u. Ich höre, daß Sie den Phantasus gelesen haben, bemerkte R. Ludwig lächelte: meine Schwester müßte die Erste unter den Frauen sein, wenn sie ein Buch gelesen hätte und dieses nicht gelegentlich bemerkbar machte. Ich überhörte die Anwendung und sagte: Uebrigens möchte ich nur wissen, was an dem Märchen bewunderungswürdig ist? Ich finde nichts Schönes darin, daß ein ehrsamer Ritter eine Frau erheirathete, welche ihr Hab' und Gut dem Raube und dem Betrüge verdankt. — Es giebt in der Wirklichkeit wenig Dinge, entgegnete R., welche eine ganz prosaische Analyse auszuhalten im Stande sind, und man sollte diese auf das goldene Märchen nun vollends nicht in Anwendung bringen wollen. Mich haben der blonde Eckbert, der kleine Stromian, ja selbst der Vogel immer unendlich angezogen. Dem Ganzen liegt eine liebenswürdige Phantasie zum Grunde, und die Einheit darin scheint mir bewunderungswürdig, gleichwie die Auflösung. Da es einmal ein Märchen ist, entgegnete ich, so hätte es auch der Wirklichkeit etwas mehr entrückt werden können; wozu war es nothwendig, daß Eckbert blondes, flach anliegendes Haar haben mußte, es stört alle Täuschung. Kaum waren diese Worte über meine Lippen, so stand mein Vetter Victor vor uns. Du kennst mein damaliges seltsames Verhältniß zu ihm; <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <pb facs="#f0026"/> <lg type="poem"> <l>Waldeinsamkeit,</l> <l>So morgen wie heut u.</l> </lg> <p>Ich höre, daß Sie den Phantasus gelesen haben, bemerkte R. Ludwig lächelte: meine Schwester müßte die Erste unter den Frauen sein, wenn sie ein Buch gelesen hätte und dieses nicht gelegentlich bemerkbar machte. Ich überhörte die Anwendung und sagte: Uebrigens möchte ich nur wissen, was an dem Märchen bewunderungswürdig ist? Ich finde nichts Schönes darin, daß ein ehrsamer Ritter eine Frau erheirathete, welche ihr Hab' und Gut dem Raube und dem Betrüge verdankt. — Es giebt in der Wirklichkeit wenig Dinge, entgegnete R., welche eine ganz prosaische Analyse auszuhalten im Stande sind, und man sollte diese auf das goldene Märchen nun vollends nicht in Anwendung bringen wollen. Mich haben der blonde Eckbert, der kleine Stromian, ja selbst der Vogel immer unendlich angezogen. Dem Ganzen liegt eine liebenswürdige Phantasie zum Grunde, und die Einheit darin scheint mir bewunderungswürdig, gleichwie die Auflösung.</p><lb/> <p>Da es einmal ein Märchen ist, entgegnete ich, so hätte es auch der Wirklichkeit etwas mehr entrückt werden können; wozu war es nothwendig, daß Eckbert blondes, flach anliegendes Haar haben mußte, es stört alle Täuschung. Kaum waren diese Worte über meine Lippen, so stand mein Vetter Victor vor uns. Du kennst mein damaliges seltsames Verhältniß zu ihm;<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
Waldeinsamkeit, So morgen wie heut u.
Ich höre, daß Sie den Phantasus gelesen haben, bemerkte R. Ludwig lächelte: meine Schwester müßte die Erste unter den Frauen sein, wenn sie ein Buch gelesen hätte und dieses nicht gelegentlich bemerkbar machte. Ich überhörte die Anwendung und sagte: Uebrigens möchte ich nur wissen, was an dem Märchen bewunderungswürdig ist? Ich finde nichts Schönes darin, daß ein ehrsamer Ritter eine Frau erheirathete, welche ihr Hab' und Gut dem Raube und dem Betrüge verdankt. — Es giebt in der Wirklichkeit wenig Dinge, entgegnete R., welche eine ganz prosaische Analyse auszuhalten im Stande sind, und man sollte diese auf das goldene Märchen nun vollends nicht in Anwendung bringen wollen. Mich haben der blonde Eckbert, der kleine Stromian, ja selbst der Vogel immer unendlich angezogen. Dem Ganzen liegt eine liebenswürdige Phantasie zum Grunde, und die Einheit darin scheint mir bewunderungswürdig, gleichwie die Auflösung.
Da es einmal ein Märchen ist, entgegnete ich, so hätte es auch der Wirklichkeit etwas mehr entrückt werden können; wozu war es nothwendig, daß Eckbert blondes, flach anliegendes Haar haben mußte, es stört alle Täuschung. Kaum waren diese Worte über meine Lippen, so stand mein Vetter Victor vor uns. Du kennst mein damaliges seltsames Verhältniß zu ihm;
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T13:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T13:52:17Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |