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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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kam darauf zu mir und sah sehr ernst und ergriffen, aber nicht wild aus. So wie Alles steht, sagte er mit erzwungener Fassung, bleibt uns Nichts übrig, als unsern Schmerz zu bekämpfen und Alles für Ludwig zu thun, was in unsern Kräften steht. Gewiß lieben Sie ihn genug, um sich bezwingen zu wollen. -- Von da an theilte er meine Sorge für meinen Bruder mit einer Hingebung, wovon die Erinnerung mich noch jetzt ergreift. Tage -- Nächtelang, saß er in einem Lehnsessel neben Ludwig's Bette, ohne ein Wort zu reden, ohne Bücher, da die tiefe Dämmerung des Krankenzimmers alles Lesen unmöglich machte. Nur in dem blitzenden Aufschlag des Auges verrieth sich der unruhig arbeitende Geist im Innern; äußerlich war er durchaus ruhig; sanft und leise in jeder Bewegung. Schweigend, vergehend in Jammer saß ich ihm gegenüber; wenn etwas zu holen, zu veranstalten war, deuteten wir es uns durch Zeichen, durch leise geflüsterte Worte an. Wir handelten im vollkommensten Einverständniß, ach! und dachten doch vielleicht nie weniger an einander, als in der tiefen Einsamkeit dieser schmerzlichen Stunden. Am Morgen vor Ludwig's Tode legte ich einen Strauß frischer Rosen auf sein Bett, er versuchte zu lächeln, aber auf die Blumen blickend, stieg eine Thräne in seinem Auge empor. Da überwältigte mich der lange bekämpfte Schmerz, ich sank an seinem Lager hin, legte den Kopf auf seine liebe Hand und weinte im bittersten, bittersten Jammer. R. war zugegen, aber

kam darauf zu mir und sah sehr ernst und ergriffen, aber nicht wild aus. So wie Alles steht, sagte er mit erzwungener Fassung, bleibt uns Nichts übrig, als unsern Schmerz zu bekämpfen und Alles für Ludwig zu thun, was in unsern Kräften steht. Gewiß lieben Sie ihn genug, um sich bezwingen zu wollen. — Von da an theilte er meine Sorge für meinen Bruder mit einer Hingebung, wovon die Erinnerung mich noch jetzt ergreift. Tage — Nächtelang, saß er in einem Lehnsessel neben Ludwig's Bette, ohne ein Wort zu reden, ohne Bücher, da die tiefe Dämmerung des Krankenzimmers alles Lesen unmöglich machte. Nur in dem blitzenden Aufschlag des Auges verrieth sich der unruhig arbeitende Geist im Innern; äußerlich war er durchaus ruhig; sanft und leise in jeder Bewegung. Schweigend, vergehend in Jammer saß ich ihm gegenüber; wenn etwas zu holen, zu veranstalten war, deuteten wir es uns durch Zeichen, durch leise geflüsterte Worte an. Wir handelten im vollkommensten Einverständniß, ach! und dachten doch vielleicht nie weniger an einander, als in der tiefen Einsamkeit dieser schmerzlichen Stunden. Am Morgen vor Ludwig's Tode legte ich einen Strauß frischer Rosen auf sein Bett, er versuchte zu lächeln, aber auf die Blumen blickend, stieg eine Thräne in seinem Auge empor. Da überwältigte mich der lange bekämpfte Schmerz, ich sank an seinem Lager hin, legte den Kopf auf seine liebe Hand und weinte im bittersten, bittersten Jammer. R. war zugegen, aber

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/34>, abgerufen am 23.11.2024.