F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ließ es geschehen; ein leiser Seufzer, der sich Ludwig's Brust entrang, brachte mich zur Besinnung. Ich las an dem Tage in R.'s Blicken, daß er jede Hoffnung aufgegeben habe. Der Arzt gab mir die Bestätigung am Abend, denn er sagte im Fortgehen: Wenn der Kranke reden will, so hindern Sie ihn nicht daran, es kann ihm nicht mehr schaden. Während der Nacht sagte Ludwig, der anscheinend heftiges Fieber hatte: Jetzt schiffe ich mich ein nach jener schönen Insel, die jenseits liegt, o wie blühend ist Alles! Komm mit mir, Emmy. R. hatte sich vorgebeugt, eine Thräne aus seinem Auge fiel auf meine Stirn, ich -- wie gerne hätte ich mich mit eingeschifft, weit, weit von dieser Welt hinweg! -- Ganz erschöpft, ermattet, wie ich war, überwältigte mich einen Augenblick der Schlaf, da fühlte ich mich rasch emporgehoben, R. hielt mich in seinen Armen aufrecht; ich wußte sogleich, was mir bevorstand. -- Ludwig's schon verdunkelte Augen irrten suchend nach mir umher, er schien die Arme erheben zu wollen und sagte leise, aber vernehmlich: Meine Schwester, mein Engel! Ein Laut des Schmerzes entrang sich meiner Brust; er hörte ihn nicht mehr. -- In demselben Augenblick ward die Thür geöffnet, und Victor trat ein. -- Von dem was in den nächsten vierundzwanzig Stunden geschah, habe ich auch nicht die leiseste Erinnerung. Am darauf folgenden Morgen fand ich mich in meinem Zimmer; meine eigenen Thränen, die auf meine gefalteten Hände fielen, brachten mich zur Besinnung. Nach einiger ließ es geschehen; ein leiser Seufzer, der sich Ludwig's Brust entrang, brachte mich zur Besinnung. Ich las an dem Tage in R.'s Blicken, daß er jede Hoffnung aufgegeben habe. Der Arzt gab mir die Bestätigung am Abend, denn er sagte im Fortgehen: Wenn der Kranke reden will, so hindern Sie ihn nicht daran, es kann ihm nicht mehr schaden. Während der Nacht sagte Ludwig, der anscheinend heftiges Fieber hatte: Jetzt schiffe ich mich ein nach jener schönen Insel, die jenseits liegt, o wie blühend ist Alles! Komm mit mir, Emmy. R. hatte sich vorgebeugt, eine Thräne aus seinem Auge fiel auf meine Stirn, ich — wie gerne hätte ich mich mit eingeschifft, weit, weit von dieser Welt hinweg! — Ganz erschöpft, ermattet, wie ich war, überwältigte mich einen Augenblick der Schlaf, da fühlte ich mich rasch emporgehoben, R. hielt mich in seinen Armen aufrecht; ich wußte sogleich, was mir bevorstand. — Ludwig's schon verdunkelte Augen irrten suchend nach mir umher, er schien die Arme erheben zu wollen und sagte leise, aber vernehmlich: Meine Schwester, mein Engel! Ein Laut des Schmerzes entrang sich meiner Brust; er hörte ihn nicht mehr. — In demselben Augenblick ward die Thür geöffnet, und Victor trat ein. — Von dem was in den nächsten vierundzwanzig Stunden geschah, habe ich auch nicht die leiseste Erinnerung. Am darauf folgenden Morgen fand ich mich in meinem Zimmer; meine eigenen Thränen, die auf meine gefalteten Hände fielen, brachten mich zur Besinnung. Nach einiger <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0035"/> ließ es geschehen; ein leiser Seufzer, der sich Ludwig's Brust entrang, brachte mich zur Besinnung. Ich las an dem Tage in R.'s Blicken, daß er jede Hoffnung aufgegeben habe. Der Arzt gab mir die Bestätigung am Abend, denn er sagte im Fortgehen: Wenn der Kranke reden will, so hindern Sie ihn nicht daran, es kann ihm nicht mehr schaden. Während der Nacht sagte Ludwig, der anscheinend heftiges Fieber hatte: Jetzt schiffe ich mich ein nach jener schönen Insel, die jenseits liegt, o wie blühend ist Alles! Komm mit mir, Emmy. R. hatte sich vorgebeugt, eine Thräne aus seinem Auge fiel auf meine Stirn, ich — wie gerne hätte ich mich mit eingeschifft, weit, weit von dieser Welt hinweg! — Ganz erschöpft, ermattet, wie ich war, überwältigte mich einen Augenblick der Schlaf, da fühlte ich mich rasch emporgehoben, R. hielt mich in seinen Armen aufrecht; ich wußte sogleich, was mir bevorstand. — Ludwig's schon verdunkelte Augen irrten suchend nach mir umher, er schien die Arme erheben zu wollen und sagte leise, aber vernehmlich: Meine Schwester, mein Engel! Ein Laut des Schmerzes entrang sich meiner Brust; er hörte ihn nicht mehr. — In demselben Augenblick ward die Thür geöffnet, und Victor trat ein. — Von dem was in den nächsten vierundzwanzig Stunden geschah, habe ich auch nicht die leiseste Erinnerung. Am darauf folgenden Morgen fand ich mich in meinem Zimmer; meine eigenen Thränen, die auf meine gefalteten Hände fielen, brachten mich zur Besinnung. Nach einiger<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
ließ es geschehen; ein leiser Seufzer, der sich Ludwig's Brust entrang, brachte mich zur Besinnung. Ich las an dem Tage in R.'s Blicken, daß er jede Hoffnung aufgegeben habe. Der Arzt gab mir die Bestätigung am Abend, denn er sagte im Fortgehen: Wenn der Kranke reden will, so hindern Sie ihn nicht daran, es kann ihm nicht mehr schaden. Während der Nacht sagte Ludwig, der anscheinend heftiges Fieber hatte: Jetzt schiffe ich mich ein nach jener schönen Insel, die jenseits liegt, o wie blühend ist Alles! Komm mit mir, Emmy. R. hatte sich vorgebeugt, eine Thräne aus seinem Auge fiel auf meine Stirn, ich — wie gerne hätte ich mich mit eingeschifft, weit, weit von dieser Welt hinweg! — Ganz erschöpft, ermattet, wie ich war, überwältigte mich einen Augenblick der Schlaf, da fühlte ich mich rasch emporgehoben, R. hielt mich in seinen Armen aufrecht; ich wußte sogleich, was mir bevorstand. — Ludwig's schon verdunkelte Augen irrten suchend nach mir umher, er schien die Arme erheben zu wollen und sagte leise, aber vernehmlich: Meine Schwester, mein Engel! Ein Laut des Schmerzes entrang sich meiner Brust; er hörte ihn nicht mehr. — In demselben Augenblick ward die Thür geöffnet, und Victor trat ein. — Von dem was in den nächsten vierundzwanzig Stunden geschah, habe ich auch nicht die leiseste Erinnerung. Am darauf folgenden Morgen fand ich mich in meinem Zimmer; meine eigenen Thränen, die auf meine gefalteten Hände fielen, brachten mich zur Besinnung. Nach einiger
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T13:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T13:52:17Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |