F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Anordnung verlor jegliches Gleichgewicht, und die Bücher fielen nach allen Seiten umher. R. kniete nieder, um sie aufzusammeln, und reichte mir eines nach dem andern dar; das letzte emporhaltend, erfaßte er meine ausgestreckte Hand und sagte bewegt zu mir aufblickend: In wenig Stunden bin ich Ihren Augen für lange Zeit entrückt, wer kann wissen, ob nicht für immer? Soll ich ohne die Ueberzeugung scheiden, daß noch eine Spur des Wohlwollens Ihr Herz belebt, welches mich früher beglückte? -- Durch seine Stellung, durch die meinige beängstigt, erwiderte ich, halb gedankenvoll: Aber warum müssen Sie reisen? -- Warum? O Emmy, fragen Sie die vom Sturm gejagten Wolken, warum sie vorüber eilen? Noch ist keine Ruhe in mir, noch bin ich ungeeignet für das Dasein, welches meiner warten würde. Verdammen Sie mich nicht, einst, einst, werde ich wiederkehren, und dann -- Er drückte seine Augen auf meine Hand, sprang rasch empor und eilte von dannen. Ich ging in mein Zimmer und weinte bitterlich. Jetzt ist er fort. Wie öde war Alles in den ersten Tagen! Herr Steffano ist liebevoller denn je gegen Sophie, ich sehe ihr Alles an den Augen ab, und auch Sternheim ist um sie bemüht, die ihren Schmerz mit stiller Ergebung trägt. Er naht ihr ohne Geflissenheit mit zarter Achtung, mit der Teilnahme, welche fein empfindende Menschen nicht aussprechen, und die doch Demjenigen, welchem sie zu Theil wird Anordnung verlor jegliches Gleichgewicht, und die Bücher fielen nach allen Seiten umher. R. kniete nieder, um sie aufzusammeln, und reichte mir eines nach dem andern dar; das letzte emporhaltend, erfaßte er meine ausgestreckte Hand und sagte bewegt zu mir aufblickend: In wenig Stunden bin ich Ihren Augen für lange Zeit entrückt, wer kann wissen, ob nicht für immer? Soll ich ohne die Ueberzeugung scheiden, daß noch eine Spur des Wohlwollens Ihr Herz belebt, welches mich früher beglückte? — Durch seine Stellung, durch die meinige beängstigt, erwiderte ich, halb gedankenvoll: Aber warum müssen Sie reisen? — Warum? O Emmy, fragen Sie die vom Sturm gejagten Wolken, warum sie vorüber eilen? Noch ist keine Ruhe in mir, noch bin ich ungeeignet für das Dasein, welches meiner warten würde. Verdammen Sie mich nicht, einst, einst, werde ich wiederkehren, und dann — Er drückte seine Augen auf meine Hand, sprang rasch empor und eilte von dannen. Ich ging in mein Zimmer und weinte bitterlich. Jetzt ist er fort. Wie öde war Alles in den ersten Tagen! Herr Steffano ist liebevoller denn je gegen Sophie, ich sehe ihr Alles an den Augen ab, und auch Sternheim ist um sie bemüht, die ihren Schmerz mit stiller Ergebung trägt. Er naht ihr ohne Geflissenheit mit zarter Achtung, mit der Teilnahme, welche fein empfindende Menschen nicht aussprechen, und die doch Demjenigen, welchem sie zu Theil wird <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0045"/> Anordnung verlor jegliches Gleichgewicht, und die Bücher fielen nach allen Seiten umher. R. kniete nieder, um sie aufzusammeln, und reichte mir eines nach dem andern dar; das letzte emporhaltend, erfaßte er meine ausgestreckte Hand und sagte bewegt zu mir aufblickend: In wenig Stunden bin ich Ihren Augen für lange Zeit entrückt, wer kann wissen, ob nicht für immer? Soll ich ohne die Ueberzeugung scheiden, daß noch eine Spur des Wohlwollens Ihr Herz belebt, welches mich früher beglückte? — Durch seine Stellung, durch die meinige beängstigt, erwiderte ich, halb gedankenvoll: Aber warum müssen Sie reisen? — Warum? O Emmy, fragen Sie die vom Sturm gejagten Wolken, warum sie vorüber eilen? Noch ist keine Ruhe in mir, noch bin ich ungeeignet für das Dasein, welches meiner warten würde. Verdammen Sie mich nicht, einst, einst, werde ich wiederkehren, und dann — Er drückte seine Augen auf meine Hand, sprang rasch empor und eilte von dannen. Ich ging in mein Zimmer und weinte bitterlich.</p><lb/> <p>Jetzt ist er fort. Wie öde war Alles in den ersten Tagen! Herr Steffano ist liebevoller denn je gegen Sophie, ich sehe ihr Alles an den Augen ab, und auch Sternheim ist um sie bemüht, die ihren Schmerz mit stiller Ergebung trägt. Er naht ihr ohne Geflissenheit mit zarter Achtung, mit der Teilnahme, welche fein empfindende Menschen nicht aussprechen, und die doch Demjenigen, welchem sie zu Theil wird<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0045]
Anordnung verlor jegliches Gleichgewicht, und die Bücher fielen nach allen Seiten umher. R. kniete nieder, um sie aufzusammeln, und reichte mir eines nach dem andern dar; das letzte emporhaltend, erfaßte er meine ausgestreckte Hand und sagte bewegt zu mir aufblickend: In wenig Stunden bin ich Ihren Augen für lange Zeit entrückt, wer kann wissen, ob nicht für immer? Soll ich ohne die Ueberzeugung scheiden, daß noch eine Spur des Wohlwollens Ihr Herz belebt, welches mich früher beglückte? — Durch seine Stellung, durch die meinige beängstigt, erwiderte ich, halb gedankenvoll: Aber warum müssen Sie reisen? — Warum? O Emmy, fragen Sie die vom Sturm gejagten Wolken, warum sie vorüber eilen? Noch ist keine Ruhe in mir, noch bin ich ungeeignet für das Dasein, welches meiner warten würde. Verdammen Sie mich nicht, einst, einst, werde ich wiederkehren, und dann — Er drückte seine Augen auf meine Hand, sprang rasch empor und eilte von dannen. Ich ging in mein Zimmer und weinte bitterlich.
Jetzt ist er fort. Wie öde war Alles in den ersten Tagen! Herr Steffano ist liebevoller denn je gegen Sophie, ich sehe ihr Alles an den Augen ab, und auch Sternheim ist um sie bemüht, die ihren Schmerz mit stiller Ergebung trägt. Er naht ihr ohne Geflissenheit mit zarter Achtung, mit der Teilnahme, welche fein empfindende Menschen nicht aussprechen, und die doch Demjenigen, welchem sie zu Theil wird
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