Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

seiner Gedancken.
ist. Derowegen da die moralische Wahrheit
die logicalische nicht voraus setzt; so kann die
logicalische Wahrheit dadurch nicht
erwiesen werden, daß man wahr ge-
redet; und wenn wir sagen, was wir
zu seyn vermeinen, da es doch nicht ist,
oder im Gegentheil nicht zu seyn ver-
meinen, da es doch ist, so reden wir zwar
moralisch wahr, ob es gleich logica-
lisch oder an sich falsch ist.

§. 348.

Jm Gegentheil ist moralisch falsch (mo-Vom
moralisch
Falschen.

raliter falsum), wenn wir anders dencken,
als was wir sagen, oder unsere Worte und
Gedancken nicht mit einander übereinstimmen.
Eine moralisch falsche Rede wird eine Un-
wahrheit
(falsiloqvium) genannt. Sie ist
also vom logicalisch Falschen (falsitate lo-
gica)
unterschieden, welche darinnen bestehet,
daß unsere Gedancken mit der Sache nicht
übereinkommen. Weil nun die Unwahrheit
nicht voraus setzt, daß etwas logicalisch, das
ist, in der That wahr sey; so daß wir den-
cken, daß es sey, und es ist doch nicht, oder
daß es nicht sey, und es ist doch in der That;
so reden wir moralisch falsch, wenn wir
dencken, daß etwas nicht sey, und sa-
gen daß es sey, und es sich auch in der
That also befindet;
oder wenn wir den-
cken, daß etwas sey, und wir sagen,
daß es nicht sey, und es sich auch in der
That also befindet.

§. 349.
O 3

ſeiner Gedancken.
iſt. Derowegen da die moraliſche Wahrheit
die logicaliſche nicht voraus ſetzt; ſo kann die
logicaliſche Wahrheit dadurch nicht
erwieſen werden, daß man wahr ge-
redet; und wenn wir ſagen, was wir
zu ſeyn vermeinen, da es doch nicht iſt,
oder im Gegentheil nicht zu ſeyn ver-
meinen, da es doch iſt, ſo reden wir zwar
moraliſch wahr, ob es gleich logica-
liſch oder an ſich falſch iſt.

§. 348.

Jm Gegentheil iſt moraliſch falſch (mo-Vom
moraliſch
Falſchen.

raliter falſum), wenn wir anders dencken,
als was wir ſagen, oder unſere Worte und
Gedancken nicht mit einander uͤbereinſtimmen.
Eine moraliſch falſche Rede wird eine Un-
wahrheit
(falſiloqvium) genannt. Sie iſt
alſo vom logicaliſch Falſchen (falſitate lo-
gica)
unterſchieden, welche darinnen beſtehet,
daß unſere Gedancken mit der Sache nicht
uͤbereinkommen. Weil nun die Unwahrheit
nicht voraus ſetzt, daß etwas logicaliſch, das
iſt, in der That wahr ſey; ſo daß wir den-
cken, daß es ſey, und es iſt doch nicht, oder
daß es nicht ſey, und es iſt doch in der That;
ſo reden wir moraliſch falſch, wenn wir
dencken, daß etwas nicht ſey, und ſa-
gen daß es ſey, und es ſich auch in der
That alſo befindet;
oder wenn wir den-
cken, daß etwas ſey, und wir ſagen,
daß es nicht ſey, und es ſich auch in der
That alſo befindet.

§. 349.
O 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0249" n="213"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">&#x017F;einer Gedancken.</hi></fw><lb/>
i&#x017F;t. Derowegen da die morali&#x017F;che Wahrheit<lb/>
die logicali&#x017F;che nicht voraus &#x017F;etzt; &#x017F;o <hi rendition="#fr">kann die<lb/>
logicali&#x017F;che Wahrheit dadurch nicht<lb/>
erwie&#x017F;en werden, daß man wahr ge-<lb/>
redet; und wenn wir &#x017F;agen, was wir<lb/>
zu &#x017F;eyn vermeinen, da es doch nicht i&#x017F;t,<lb/>
oder im Gegentheil nicht zu &#x017F;eyn ver-<lb/>
meinen, da es doch i&#x017F;t, &#x017F;o reden wir zwar<lb/>
morali&#x017F;ch wahr, ob es gleich logica-<lb/>
li&#x017F;ch oder an &#x017F;ich fal&#x017F;ch i&#x017F;t.</hi></p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 348.</head><lb/>
              <p>Jm Gegentheil i&#x017F;t <hi rendition="#fr">morali&#x017F;ch fal&#x017F;ch</hi> <hi rendition="#aq">(mo-</hi><note place="right">Vom<lb/>
morali&#x017F;ch<lb/>
Fal&#x017F;chen.</note><lb/><hi rendition="#aq">raliter fal&#x017F;um),</hi> wenn wir anders dencken,<lb/>
als was wir &#x017F;agen, oder un&#x017F;ere Worte und<lb/>
Gedancken nicht mit einander u&#x0364;berein&#x017F;timmen.<lb/>
Eine morali&#x017F;ch fal&#x017F;che Rede wird eine <hi rendition="#fr">Un-<lb/>
wahrheit</hi> <hi rendition="#aq">(fal&#x017F;iloqvium)</hi> genannt. Sie i&#x017F;t<lb/>
al&#x017F;o vom <hi rendition="#fr">logicali&#x017F;ch Fal&#x017F;chen</hi> <hi rendition="#aq">(fal&#x017F;itate lo-<lb/>
gica)</hi> unter&#x017F;chieden, welche darinnen be&#x017F;tehet,<lb/>
daß un&#x017F;ere Gedancken mit der Sache nicht<lb/>
u&#x0364;bereinkommen. Weil nun die Unwahrheit<lb/>
nicht voraus &#x017F;etzt, daß etwas logicali&#x017F;ch, das<lb/>
i&#x017F;t, in der That wahr &#x017F;ey; &#x017F;o daß wir den-<lb/>
cken, daß es &#x017F;ey, und es i&#x017F;t doch nicht, oder<lb/>
daß es nicht &#x017F;ey, und es i&#x017F;t doch in der That;<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;o reden wir morali&#x017F;ch fal&#x017F;ch, wenn wir<lb/>
dencken, daß etwas nicht &#x017F;ey, und &#x017F;a-<lb/>
gen daß es &#x017F;ey, und es &#x017F;ich auch in der<lb/>
That al&#x017F;o befindet;</hi> oder <hi rendition="#fr">wenn wir den-<lb/>
cken, daß etwas &#x017F;ey, und wir &#x017F;agen,<lb/>
daß es nicht &#x017F;ey, und es &#x017F;ich auch in der<lb/>
That al&#x017F;o befindet.</hi></p>
            </div><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">O 3</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">§. 349.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0249] ſeiner Gedancken. iſt. Derowegen da die moraliſche Wahrheit die logicaliſche nicht voraus ſetzt; ſo kann die logicaliſche Wahrheit dadurch nicht erwieſen werden, daß man wahr ge- redet; und wenn wir ſagen, was wir zu ſeyn vermeinen, da es doch nicht iſt, oder im Gegentheil nicht zu ſeyn ver- meinen, da es doch iſt, ſo reden wir zwar moraliſch wahr, ob es gleich logica- liſch oder an ſich falſch iſt. §. 348. Jm Gegentheil iſt moraliſch falſch (mo- raliter falſum), wenn wir anders dencken, als was wir ſagen, oder unſere Worte und Gedancken nicht mit einander uͤbereinſtimmen. Eine moraliſch falſche Rede wird eine Un- wahrheit (falſiloqvium) genannt. Sie iſt alſo vom logicaliſch Falſchen (falſitate lo- gica) unterſchieden, welche darinnen beſtehet, daß unſere Gedancken mit der Sache nicht uͤbereinkommen. Weil nun die Unwahrheit nicht voraus ſetzt, daß etwas logicaliſch, das iſt, in der That wahr ſey; ſo daß wir den- cken, daß es ſey, und es iſt doch nicht, oder daß es nicht ſey, und es iſt doch in der That; ſo reden wir moraliſch falſch, wenn wir dencken, daß etwas nicht ſey, und ſa- gen daß es ſey, und es ſich auch in der That alſo befindet; oder wenn wir den- cken, daß etwas ſey, und wir ſagen, daß es nicht ſey, und es ſich auch in der That alſo befindet. Vom moraliſch Falſchen. §. 349. O 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/249
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/249>, abgerufen am 22.11.2024.