Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

und der Verjährung.
geeignet werden (§. 262.). Hieraus er-
hellet, daß in diesem Falle das Eigenthum
nicht durch den Besitz erhalten wird, sondern
durch die ursprüngliche Art etwas eigenthüm-
lich zu erhalten, nemlich durch die Zueignung
einer Sache, die niemanden zugehöret (§.
210.).

§. 449.

Weil die menschlichen Geschäfte einen Aus-Von der
Noth-
wendig-
keit der
Vermu-
thung in
mensch-
lichen
Geschäf-
ten.

gang gewinnen müssen, und dem menschlichen
Geschlechte daran gelegen ist, daß die erlang-
ten Rechte und zugezogene Verbindlichkeiten
gewiß sind; so wird dasjenige, was in ei-
nem zweifelhaften Falle, wo keine Ge-
wißheit zu haben, vermuthet wird, in
den menschlichen Geschäften wider
denjenigen vor wahr gehalten, wider
den die Vermuthung geschiehet.
Und
gewiß wenn man dasjenige vor wahr hält,
wovor sich einer hinlänglich erkläret (§. 318.),
unerachtet es geschehen könte, daß er lügt
(§. 351.), vermuthet man alsdann nicht,
daß er die Wahrheit sage? Ja wenn man ei-
nem, der geschworen hat, glaubet, ob es
gleich geschehen könte, daß er falsch schwöre
(§. 371.), vermuthet man nicht, er habe
nicht falsch geschworen? Daher vermuthet
man die Wahrheit dessen, was gesagt
worden, in dem Versprechen, und folg-
lich in den Verträgen (§. 438.), ohne
welcher nichts gültig versprochen wer-
den konnte.

§. 450.
S 4

und der Verjaͤhrung.
geeignet werden (§. 262.). Hieraus er-
hellet, daß in dieſem Falle das Eigenthum
nicht durch den Beſitz erhalten wird, ſondern
durch die urſpruͤngliche Art etwas eigenthuͤm-
lich zu erhalten, nemlich durch die Zueignung
einer Sache, die niemanden zugehoͤret (§.
210.).

§. 449.

Weil die menſchlichen Geſchaͤfte einen Aus-Von der
Noth-
wendig-
keit der
Vermu-
thung in
menſch-
lichen
Geſchaͤf-
ten.

gang gewinnen muͤſſen, und dem menſchlichen
Geſchlechte daran gelegen iſt, daß die erlang-
ten Rechte und zugezogene Verbindlichkeiten
gewiß ſind; ſo wird dasjenige, was in ei-
nem zweifelhaften Falle, wo keine Ge-
wißheit zu haben, vermuthet wird, in
den menſchlichen Geſchaͤften wider
denjenigen vor wahr gehalten, wider
den die Vermuthung geſchiehet.
Und
gewiß wenn man dasjenige vor wahr haͤlt,
wovor ſich einer hinlaͤnglich erklaͤret (§. 318.),
unerachtet es geſchehen koͤnte, daß er luͤgt
(§. 351.), vermuthet man alsdann nicht,
daß er die Wahrheit ſage? Ja wenn man ei-
nem, der geſchworen hat, glaubet, ob es
gleich geſchehen koͤnte, daß er falſch ſchwoͤre
(§. 371.), vermuthet man nicht, er habe
nicht falſch geſchworen? Daher vermuthet
man die Wahrheit deſſen, was geſagt
worden, in dem Verſprechen, und folg-
lich in den Vertraͤgen (§. 438.), ohne
welcher nichts guͤltig verſprochen wer-
den konnte.

§. 450.
S 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0315" n="279"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und der Verja&#x0364;hrung.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">geeignet werden</hi> (§. 262.). Hieraus er-<lb/>
hellet, daß in die&#x017F;em Falle das Eigenthum<lb/>
nicht durch den Be&#x017F;itz erhalten wird, &#x017F;ondern<lb/>
durch die ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Art etwas eigenthu&#x0364;m-<lb/>
lich zu erhalten, nemlich durch die Zueignung<lb/>
einer Sache, die niemanden zugeho&#x0364;ret (§.<lb/>
210.).</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 449.</head><lb/>
              <p>Weil die men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte einen Aus-<note place="right">Von der<lb/>
Noth-<lb/>
wendig-<lb/>
keit der<lb/>
Vermu-<lb/>
thung in<lb/>
men&#x017F;ch-<lb/>
lichen<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;f-<lb/>
ten.</note><lb/>
gang gewinnen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und dem men&#x017F;chlichen<lb/>
Ge&#x017F;chlechte daran gelegen i&#x017F;t, daß die erlang-<lb/>
ten Rechte und zugezogene Verbindlichkeiten<lb/>
gewiß &#x017F;ind; &#x017F;o <hi rendition="#fr">wird dasjenige, was in ei-<lb/>
nem zweifelhaften Falle, wo keine Ge-<lb/>
wißheit zu haben, vermuthet wird, in<lb/>
den men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;cha&#x0364;ften wider<lb/>
denjenigen vor wahr gehalten, wider<lb/>
den die Vermuthung ge&#x017F;chiehet.</hi> Und<lb/>
gewiß wenn man dasjenige vor wahr ha&#x0364;lt,<lb/>
wovor &#x017F;ich einer hinla&#x0364;nglich erkla&#x0364;ret (§. 318.),<lb/>
unerachtet es ge&#x017F;chehen ko&#x0364;nte, daß er lu&#x0364;gt<lb/>
(§. 351.), vermuthet man alsdann nicht,<lb/>
daß er die Wahrheit &#x017F;age? Ja wenn man ei-<lb/>
nem, der ge&#x017F;chworen hat, glaubet, ob es<lb/>
gleich ge&#x017F;chehen ko&#x0364;nte, daß er fal&#x017F;ch &#x017F;chwo&#x0364;re<lb/>
(§. 371.), vermuthet man nicht, er habe<lb/>
nicht fal&#x017F;ch ge&#x017F;chworen? Daher <hi rendition="#fr">vermuthet<lb/>
man die Wahrheit de&#x017F;&#x017F;en, was ge&#x017F;agt<lb/>
worden, in dem Ver&#x017F;prechen, und folg-<lb/>
lich in den Vertra&#x0364;gen (§. 438.), ohne<lb/>
welcher nichts gu&#x0364;ltig ver&#x017F;prochen wer-<lb/>
den konnte.</hi></p>
            </div><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">S 4</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">§. 450.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0315] und der Verjaͤhrung. geeignet werden (§. 262.). Hieraus er- hellet, daß in dieſem Falle das Eigenthum nicht durch den Beſitz erhalten wird, ſondern durch die urſpruͤngliche Art etwas eigenthuͤm- lich zu erhalten, nemlich durch die Zueignung einer Sache, die niemanden zugehoͤret (§. 210.). §. 449. Weil die menſchlichen Geſchaͤfte einen Aus- gang gewinnen muͤſſen, und dem menſchlichen Geſchlechte daran gelegen iſt, daß die erlang- ten Rechte und zugezogene Verbindlichkeiten gewiß ſind; ſo wird dasjenige, was in ei- nem zweifelhaften Falle, wo keine Ge- wißheit zu haben, vermuthet wird, in den menſchlichen Geſchaͤften wider denjenigen vor wahr gehalten, wider den die Vermuthung geſchiehet. Und gewiß wenn man dasjenige vor wahr haͤlt, wovor ſich einer hinlaͤnglich erklaͤret (§. 318.), unerachtet es geſchehen koͤnte, daß er luͤgt (§. 351.), vermuthet man alsdann nicht, daß er die Wahrheit ſage? Ja wenn man ei- nem, der geſchworen hat, glaubet, ob es gleich geſchehen koͤnte, daß er falſch ſchwoͤre (§. 371.), vermuthet man nicht, er habe nicht falſch geſchworen? Daher vermuthet man die Wahrheit deſſen, was geſagt worden, in dem Verſprechen, und folg- lich in den Vertraͤgen (§. 438.), ohne welcher nichts guͤltig verſprochen wer- den konnte. Von der Noth- wendig- keit der Vermu- thung in menſch- lichen Geſchaͤf- ten. §. 450. S 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/315
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/315>, abgerufen am 24.11.2024.