unbedingte Vermuthung(praesumtio absoluta) ist diejenige, da das Gesetz befiehlt, dasjenige vor wahr zu halten, was vermu- thet wird; die bedingte aber (conditiona- lis) ist diejenige, nach welcher das, was ver- muthet wird, so lange vor wahr zu halten ist, bis das Gegentheil bewiesen worden. Die un- bedingte Vermuthung kommt mit derjenigen überein, welche von den Auslegern des bür- gerlichen Rechts die rechtliche Vermu- thung, oder die Vermuthung von Rechtswegen(praesumtio juris & de ju- re) genennet wird: die bedingte aber mit der- jenigen, welche von denselben die Vermu- thung des Rechts(praesumtio juris) ge- nennet wird. Es fügen zwar einige noch die dritte Art hinzu, welche sie die Vermu- thung eines Menschen nennen (praesum- tionem hominis), welche von einem Men- schen, z. E. von einem Richter geschiehet, wenn das Gesetz es nicht gewiß machet, daß so etwas vermuthet werden solte. Weil aber in dem Rechte der Natur alle Vermu- thungen, die der Vernunft gemäß sind, auch genehm gehalten werden; so ist die Vermu- thung des Rechts von der Vermu- thung eines Menschen nicht verschie- den. Jm Rechte der Natur aber ist der Unterschied der Vermuthung des Rechts und der Vermuthung von Rechtswegen gegrün- det; nemlich daß etwas, was vermuthet wird, entweder so lange vor wahr gehalten
werde,
und der Verjaͤhrung.
unbedingte Vermuthung(præſumtio abſoluta) iſt diejenige, da das Geſetz befiehlt, dasjenige vor wahr zu halten, was vermu- thet wird; die bedingte aber (conditiona- lis) iſt diejenige, nach welcher das, was ver- muthet wird, ſo lange vor wahr zu halten iſt, bis das Gegentheil bewieſen worden. Die un- bedingte Vermuthung kommt mit derjenigen uͤberein, welche von den Auslegern des buͤr- gerlichen Rechts die rechtliche Vermu- thung, oder die Vermuthung von Rechtswegen(præſumtio juris & de ju- re) genennet wird: die bedingte aber mit der- jenigen, welche von denſelben die Vermu- thung des Rechts(præſumtio juris) ge- nennet wird. Es fuͤgen zwar einige noch die dritte Art hinzu, welche ſie die Vermu- thung eines Menſchen nennen (præſum- tionem hominis), welche von einem Men- ſchen, z. E. von einem Richter geſchiehet, wenn das Geſetz es nicht gewiß machet, daß ſo etwas vermuthet werden ſolte. Weil aber in dem Rechte der Natur alle Vermu- thungen, die der Vernunft gemaͤß ſind, auch genehm gehalten werden; ſo iſt die Vermu- thung des Rechts von der Vermu- thung eines Menſchen nicht verſchie- den. Jm Rechte der Natur aber iſt der Unterſchied der Vermuthung des Rechts und der Vermuthung von Rechtswegen gegruͤn- det; nemlich daß etwas, was vermuthet wird, entweder ſo lange vor wahr gehalten
werde,
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und der Verjaͤhrung.
unbedingte Vermuthung (præſumtio
abſoluta) iſt diejenige, da das Geſetz befiehlt,
dasjenige vor wahr zu halten, was vermu-
thet wird; die bedingte aber (conditiona-
lis) iſt diejenige, nach welcher das, was ver-
muthet wird, ſo lange vor wahr zu halten iſt,
bis das Gegentheil bewieſen worden. Die un-
bedingte Vermuthung kommt mit derjenigen
uͤberein, welche von den Auslegern des buͤr-
gerlichen Rechts die rechtliche Vermu-
thung, oder die Vermuthung von
Rechtswegen (præſumtio juris & de ju-
re) genennet wird: die bedingte aber mit der-
jenigen, welche von denſelben die Vermu-
thung des Rechts (præſumtio juris) ge-
nennet wird. Es fuͤgen zwar einige noch die
dritte Art hinzu, welche ſie die Vermu-
thung eines Menſchen nennen (præſum-
tionem hominis), welche von einem Men-
ſchen, z. E. von einem Richter geſchiehet,
wenn das Geſetz es nicht gewiß machet, daß
ſo etwas vermuthet werden ſolte. Weil aber
in dem Rechte der Natur alle Vermu-
thungen, die der Vernunft gemaͤß ſind, auch
genehm gehalten werden; ſo iſt die Vermu-
thung des Rechts von der Vermu-
thung eines Menſchen nicht verſchie-
den. Jm Rechte der Natur aber iſt der
Unterſchied der Vermuthung des Rechts und
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det; nemlich daß etwas, was vermuthet
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/319>, abgerufen am 22.11.2024.
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