Von der Sicher- heit und dem Um- fange der natürli- chen Be- leidi- gung.
Die Verbindlichkeit zu dem, was durch das Gesetz der Natur verbothen wird, da es in ei- ner Unterlaßung bestehet (§. 47.), ist jederzeit gewiß. Derowegen erwächst aus der Verbindlichkeit, die durch ein Ver- both entstehet, ein vollkommenes Recht, nicht zu leiden, daß der andere etwas thue, zu dessen Unterlassung er uns verbunden ist (§. 46.). Da nun niemand beleidiget werden darf (§. 88.), so hat ein jeder Mensch von Natur das Recht, nicht zu leiden, daß er von ei- nem andern beleidiget werde; und die- ses Recht, das von Natur einem jeden, er sey wer er wolle, zukömmt, wird das Recht der Sicherheit(jus securitatis) genannt; welche Sicherheit in der Befreyung von der Furcht beleidiget zu werden bestehet. Daher ist ferner klar, daß natürlicher Weise die Beleidigung auf jede Handlung sich erstreckt, die im Gesetz der Natur in Ansehung anderer verbothen ist; und daß folglich die Beleidigung eine jede Handlung sey, dadurch der andere, oder sein Zustand unvollkommener wird (§. 44.); daß aber die Verweige- rung eines Liebes-Dienstes keine Be- leidigung sey (§. 79.).
§. 90.
Von dem Rechte sich zu
Weil wir nicht schuldig sind zu leiden, daß ein anderer uns beleidige (§. 89.); so ist es
erlaubt,
I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
§. 89.
Von der Sicher- heit und dem Um- fange der natuͤrli- chen Be- leidi- gung.
Die Verbindlichkeit zu dem, was durch das Geſetz der Natur verbothen wird, da es in ei- ner Unterlaßung beſtehet (§. 47.), iſt jederzeit gewiß. Derowegen erwaͤchſt aus der Verbindlichkeit, die durch ein Ver- both entſtehet, ein vollkommenes Recht, nicht zu leiden, daß der andere etwas thue, zu deſſen Unterlaſſung er uns verbunden iſt (§. 46.). Da nun niemand beleidiget werden darf (§. 88.), ſo hat ein jeder Menſch von Natur das Recht, nicht zu leiden, daß er von ei- nem andern beleidiget werde; und die- ſes Recht, das von Natur einem jeden, er ſey wer er wolle, zukoͤmmt, wird das Recht der Sicherheit(jus ſecuritatis) genannt; welche Sicherheit in der Befreyung von der Furcht beleidiget zu werden beſtehet. Daher iſt ferner klar, daß natuͤrlicher Weiſe die Beleidigung auf jede Handlung ſich erſtreckt, die im Geſetz der Natur in Anſehung anderer verbothen iſt; und daß folglich die Beleidigung eine jede Handlung ſey, dadurch der andere, oder ſein Zuſtand unvollkommener wird (§. 44.); daß aber die Verweige- rung eines Liebes-Dienſtes keine Be- leidigung ſey (§. 79.).
§. 90.
Von dem Rechte ſich zu
Weil wir nicht ſchuldig ſind zu leiden, daß ein anderer uns beleidige (§. 89.); ſo iſt es
erlaubt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0092"n="56"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.</hi></fw><lb/><divn="4"><head>§. 89.</head><lb/><noteplace="left">Von der<lb/>
Sicher-<lb/>
heit und<lb/>
dem Um-<lb/>
fange der<lb/>
natuͤrli-<lb/>
chen Be-<lb/>
leidi-<lb/>
gung.</note><p>Die Verbindlichkeit zu dem, was durch das<lb/>
Geſetz der Natur verbothen wird, da es in ei-<lb/>
ner Unterlaßung beſtehet (§. 47.), iſt jederzeit<lb/>
gewiß. Derowegen <hirendition="#fr">erwaͤchſt aus der<lb/>
Verbindlichkeit, die durch ein Ver-<lb/>
both entſtehet, ein vollkommenes<lb/>
Recht, nicht zu leiden, daß der andere<lb/>
etwas thue, zu deſſen Unterlaſſung er<lb/>
uns verbunden iſt</hi> (§. 46.). Da nun<lb/>
niemand beleidiget werden darf (§. 88.), ſo<lb/><hirendition="#fr">hat ein jeder Menſch von Natur das<lb/>
Recht, nicht zu leiden, daß er von ei-<lb/>
nem andern beleidiget werde;</hi> und die-<lb/>ſes Recht, das von Natur einem jeden, er<lb/>ſey wer er wolle, zukoͤmmt, wird das <hirendition="#fr">Recht<lb/>
der Sicherheit</hi><hirendition="#aq">(jus ſecuritatis)</hi> genannt;<lb/>
welche Sicherheit in der Befreyung von der<lb/>
Furcht beleidiget zu werden beſtehet. Daher<lb/>
iſt ferner klar, <hirendition="#fr">daß natuͤrlicher Weiſe die<lb/>
Beleidigung auf jede Handlung ſich<lb/>
erſtreckt, die im Geſetz der Natur in<lb/>
Anſehung anderer verbothen iſt;</hi> und<lb/>
daß folglich <hirendition="#fr">die Beleidigung eine jede<lb/>
Handlung ſey, dadurch der andere,<lb/>
oder ſein Zuſtand unvollkommener<lb/>
wird (§. 44.); daß</hi> aber <hirendition="#fr">die Verweige-<lb/>
rung eines Liebes-Dienſtes keine Be-<lb/>
leidigung ſey</hi> (§. 79.).</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 90.</head><lb/><noteplace="left">Von dem<lb/>
Rechte<lb/>ſich zu</note><p>Weil wir nicht ſchuldig ſind zu leiden, daß<lb/>
ein anderer uns beleidige (§. 89.); ſo <hirendition="#fr">iſt es</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">erlaubt,</hi></fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[56/0092]
I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
§. 89.
Die Verbindlichkeit zu dem, was durch das
Geſetz der Natur verbothen wird, da es in ei-
ner Unterlaßung beſtehet (§. 47.), iſt jederzeit
gewiß. Derowegen erwaͤchſt aus der
Verbindlichkeit, die durch ein Ver-
both entſtehet, ein vollkommenes
Recht, nicht zu leiden, daß der andere
etwas thue, zu deſſen Unterlaſſung er
uns verbunden iſt (§. 46.). Da nun
niemand beleidiget werden darf (§. 88.), ſo
hat ein jeder Menſch von Natur das
Recht, nicht zu leiden, daß er von ei-
nem andern beleidiget werde; und die-
ſes Recht, das von Natur einem jeden, er
ſey wer er wolle, zukoͤmmt, wird das Recht
der Sicherheit (jus ſecuritatis) genannt;
welche Sicherheit in der Befreyung von der
Furcht beleidiget zu werden beſtehet. Daher
iſt ferner klar, daß natuͤrlicher Weiſe die
Beleidigung auf jede Handlung ſich
erſtreckt, die im Geſetz der Natur in
Anſehung anderer verbothen iſt; und
daß folglich die Beleidigung eine jede
Handlung ſey, dadurch der andere,
oder ſein Zuſtand unvollkommener
wird (§. 44.); daß aber die Verweige-
rung eines Liebes-Dienſtes keine Be-
leidigung ſey (§. 79.).
§. 90.
Weil wir nicht ſchuldig ſind zu leiden, daß
ein anderer uns beleidige (§. 89.); ſo iſt es
erlaubt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/92>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.