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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
§. 89.
Von der
Sicher-
heit und
dem Um-
fange der
natürli-
chen Be-
leidi-
gung.

Die Verbindlichkeit zu dem, was durch das
Gesetz der Natur verbothen wird, da es in ei-
ner Unterlaßung bestehet (§. 47.), ist jederzeit
gewiß. Derowegen erwächst aus der
Verbindlichkeit, die durch ein Ver-
both entstehet, ein vollkommenes
Recht, nicht zu leiden, daß der andere
etwas thue, zu dessen Unterlassung er
uns verbunden ist
(§. 46.). Da nun
niemand beleidiget werden darf (§. 88.), so
hat ein jeder Mensch von Natur das
Recht, nicht zu leiden, daß er von ei-
nem andern beleidiget werde;
und die-
ses Recht, das von Natur einem jeden, er
sey wer er wolle, zukömmt, wird das Recht
der Sicherheit
(jus securitatis) genannt;
welche Sicherheit in der Befreyung von der
Furcht beleidiget zu werden bestehet. Daher
ist ferner klar, daß natürlicher Weise die
Beleidigung auf jede Handlung sich
erstreckt, die im Gesetz der Natur in
Ansehung anderer verbothen ist;
und
daß folglich die Beleidigung eine jede
Handlung sey, dadurch der andere,
oder sein Zustand unvollkommener
wird (§. 44.); daß
aber die Verweige-
rung eines Liebes-Dienstes keine Be-
leidigung sey
(§. 79.).

§. 90.
Von dem
Rechte
sich zu

Weil wir nicht schuldig sind zu leiden, daß
ein anderer uns beleidige (§. 89.); so ist es

erlaubt,
I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
§. 89.
Von der
Sicher-
heit und
dem Um-
fange der
natuͤrli-
chen Be-
leidi-
gung.

Die Verbindlichkeit zu dem, was durch das
Geſetz der Natur verbothen wird, da es in ei-
ner Unterlaßung beſtehet (§. 47.), iſt jederzeit
gewiß. Derowegen erwaͤchſt aus der
Verbindlichkeit, die durch ein Ver-
both entſtehet, ein vollkommenes
Recht, nicht zu leiden, daß der andere
etwas thue, zu deſſen Unterlaſſung er
uns verbunden iſt
(§. 46.). Da nun
niemand beleidiget werden darf (§. 88.), ſo
hat ein jeder Menſch von Natur das
Recht, nicht zu leiden, daß er von ei-
nem andern beleidiget werde;
und die-
ſes Recht, das von Natur einem jeden, er
ſey wer er wolle, zukoͤmmt, wird das Recht
der Sicherheit
(jus ſecuritatis) genannt;
welche Sicherheit in der Befreyung von der
Furcht beleidiget zu werden beſtehet. Daher
iſt ferner klar, daß natuͤrlicher Weiſe die
Beleidigung auf jede Handlung ſich
erſtreckt, die im Geſetz der Natur in
Anſehung anderer verbothen iſt;
und
daß folglich die Beleidigung eine jede
Handlung ſey, dadurch der andere,
oder ſein Zuſtand unvollkommener
wird (§. 44.); daß
aber die Verweige-
rung eines Liebes-Dienſtes keine Be-
leidigung ſey
(§. 79.).

§. 90.
Von dem
Rechte
ſich zu

Weil wir nicht ſchuldig ſind zu leiden, daß
ein anderer uns beleidige (§. 89.); ſo iſt es

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[56/0092] I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. §. 89. Die Verbindlichkeit zu dem, was durch das Geſetz der Natur verbothen wird, da es in ei- ner Unterlaßung beſtehet (§. 47.), iſt jederzeit gewiß. Derowegen erwaͤchſt aus der Verbindlichkeit, die durch ein Ver- both entſtehet, ein vollkommenes Recht, nicht zu leiden, daß der andere etwas thue, zu deſſen Unterlaſſung er uns verbunden iſt (§. 46.). Da nun niemand beleidiget werden darf (§. 88.), ſo hat ein jeder Menſch von Natur das Recht, nicht zu leiden, daß er von ei- nem andern beleidiget werde; und die- ſes Recht, das von Natur einem jeden, er ſey wer er wolle, zukoͤmmt, wird das Recht der Sicherheit (jus ſecuritatis) genannt; welche Sicherheit in der Befreyung von der Furcht beleidiget zu werden beſtehet. Daher iſt ferner klar, daß natuͤrlicher Weiſe die Beleidigung auf jede Handlung ſich erſtreckt, die im Geſetz der Natur in Anſehung anderer verbothen iſt; und daß folglich die Beleidigung eine jede Handlung ſey, dadurch der andere, oder ſein Zuſtand unvollkommener wird (§. 44.); daß aber die Verweige- rung eines Liebes-Dienſtes keine Be- leidigung ſey (§. 79.). §. 90. Weil wir nicht ſchuldig ſind zu leiden, daß ein anderer uns beleidige (§. 89.); ſo iſt es erlaubt,

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/92>, abgerufen am 21.11.2024.