Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.richt: "Erwacht vom Schlummer! zu ruhn &q;ist keine Zeit mehr! Es ist genug: hier hab &q;ich ausgerungen! sehet, die Stunde ist da, &q;in der des Menschen Sohn in der Sünder &q;Hände überantwortet wird: mein Verrä- &q;ther, meine Feinde sind da! stehet auf, las- &q;set uns ihnen entgegen gehn: betet aber, &q;daß ihr nicht in Anfechtung fallet!" Mit diesen Worten führt er sie seinen Feinden mit dem entschloßensten Muthe entgegen: ach! nicht, um durch ihren ohnmächtigen Beistand die Ge- walt seiner Feinde zurücke zu treiben; nein, nur ihnen die Flucht zu erleichtern." Um Legionen "Engel" spricht er gleich hernach: "könnt ich &q;meinen Vater bitten: aber, tränke ich nicht &q;den Kelch, den mir mein Vater reicht: wie &q;würde die Schrift erfüllet? Es muß also &q;geschehen". So stand der große Erlöser, der sich nie verleugnete: -- seine Seele beugte sich nie vor der Gewalt der Großen, schmeichelte kei- nem glänzenden Laster, ward nie vom Schim- mer der Krone verblendet: und er schrack auch nun nicht im Angesicht seiner Feinde, beim Geräusch der Ketten und dem Anblick des Kerkers. Seine Feinde dringen herein; -- aber nun ergreift ihn nicht Zittern und Zagen. Der Tod schwingt schon von fern seine Sichel
richt: “Erwacht vom Schlummer! zu ruhn &q;iſt keine Zeit mehr! Es iſt genug: hier hab &q;ich ausgerungen! ſehet, die Stunde iſt da, &q;in der des Menſchen Sohn in der Sünder &q;Hände überantwortet wird: mein Verrä- &q;ther, meine Feinde ſind da! ſtehet auf, laſ- &q;ſet uns ihnen entgegen gehn: betet aber, &q;daß ihr nicht in Anfechtung fallet!“ Mit dieſen Worten führt er ſie ſeinen Feinden mit dem entſchloßenſten Muthe entgegen: ach! nicht, um durch ihren ohnmächtigen Beiſtand die Ge- walt ſeiner Feinde zurücke zu treiben; nein, nur ihnen die Flucht zu erleichtern.“ Um Legionen „Engel“ ſpricht er gleich hernach: “könnt ich &q;meinen Vater bitten: aber, tränke ich nicht &q;den Kelch, den mir mein Vater reicht: wie &q;würde die Schrift erfüllet? Es muß alſo &q;geſchehen“. So ſtand der große Erlöſer, der ſich nie verleugnete: — ſeine Seele beugte ſich nie vor der Gewalt der Großen, ſchmeichelte kei- nem glänzenden Laſter, ward nie vom Schim- mer der Krone verblendet: und er ſchrack auch nun nicht im Angeſicht ſeiner Feinde, beim Geräuſch der Ketten und dem Anblick des Kerkers. Seine Feinde dringen herein; — aber nun ergreift ihn nicht Zittern und Zagen. Der Tod ſchwingt ſchon von fern ſeine Sichel
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&q;ich ausgerungen! ſehet, die Stunde iſt da,
&q;in der des Menſchen Sohn in der Sünder
&q;Hände überantwortet wird: mein Verrä-
&q;ther, meine Feinde ſind da! ſtehet auf, laſ-
&q;ſet uns ihnen entgegen gehn: betet aber,
&q;daß ihr nicht in Anfechtung fallet!“ Mit
dieſen Worten führt er ſie ſeinen Feinden mit
dem entſchloßenſten Muthe entgegen: ach! nicht,
um durch ihren ohnmächtigen Beiſtand die Ge-
walt ſeiner Feinde zurücke zu treiben; nein, nur
ihnen die Flucht zu erleichtern.“ Um Legionen
„Engel“ ſpricht er gleich hernach: “könnt ich
&q;meinen Vater bitten: aber, tränke ich nicht
&q;den Kelch, den mir mein Vater reicht: wie
&q;würde die Schrift erfüllet? Es muß alſo
&q;geſchehen“. So ſtand der große Erlöſer, der
ſich nie verleugnete: — ſeine Seele beugte ſich
nie vor der Gewalt der Großen, ſchmeichelte kei-
nem glänzenden Laſter, ward nie vom Schim-
mer der Krone verblendet: und er ſchrack auch nun
nicht im Angeſicht ſeiner Feinde, beim Geräuſch der
Ketten und dem Anblick des Kerkers. Seine Feinde
dringen herein; — aber nun ergreift ihn nicht Zittern
und Zagen. Der Tod ſchwingt ſchon von fern ſeine
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Zitationshilfe: | Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/275>, abgerufen am 23.06.2024. |