Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite



gen Freunde um den zagenden Erlöser am Oel-
berge, ergründen seinen Gram nicht, und kön-
nen ihn nicht trösten: und, was kann der
Freund des Kranken, der von den heftigsten
Schmerzen geplagt, keine Ruhe findet? was
der Freund des Sterbenden, der den Tod mit
jeder Minute herannahen sieht? was der Ver-
traute eines Unglücklichen, den sein Gewißen,
sein ganzes Leben durch, für eine schreckliche ver-
borgne That insgeheim martert? was der nach-
gebliebne Freund des Bekümmerten, der am Gra-
be seiner Geliebten weint; des Redlichen, der
über die Laster eines Unglücklichen, der ihm nahe
angeht, über den Verfall seines Vaterlandes,
über die Unterdrückung seiner gemeinnützigsten
Absichten trauert? -- Was können sie oft, die
mitleidenden Freunde? als: mit dem Unglück-
lichen weinen. -- Petrus will seinen Herrn
mit einem Schwerdtschlag vertheidigen: aber,
was vermogte er gegen eine ganze gewaffnete
Schaar? was, die übrigen Jünger, die ohne
Gegenwehr um ihren gefangnen Herrn stehn?
So sind auch oft die Hinderniße, die unserm
Glücke entgegen stehn, die Feindschaften der An-
gesehenen und Großen, die uns unterdrücken,
so mächtig und siegend, daß unsre großmüthigste

Freun-
P 2



gen Freunde um den zagenden Erlöſer am Oel-
berge, ergründen ſeinen Gram nicht, und kön-
nen ihn nicht tröſten: und, was kann der
Freund des Kranken, der von den heftigſten
Schmerzen geplagt, keine Ruhe findet? was
der Freund des Sterbenden, der den Tod mit
jeder Minute herannahen ſieht? was der Ver-
traute eines Unglücklichen, den ſein Gewißen,
ſein ganzes Leben durch, für eine ſchreckliche ver-
borgne That insgeheim martert? was der nach-
gebliebne Freund des Bekümmerten, der am Gra-
be ſeiner Geliebten weint; des Redlichen, der
über die Laſter eines Unglücklichen, der ihm nahe
angeht, über den Verfall ſeines Vaterlandes,
über die Unterdrückung ſeiner gemeinnützigſten
Abſichten trauert? — Was können ſie oft, die
mitleidenden Freunde? als: mit dem Unglück-
lichen weinen. — Petrus will ſeinen Herrn
mit einem Schwerdtſchlag vertheidigen: aber,
was vermogte er gegen eine ganze gewaffnete
Schaar? was, die übrigen Jünger, die ohne
Gegenwehr um ihren gefangnen Herrn ſtehn?
So ſind auch oft die Hinderniße, die unſerm
Glücke entgegen ſtehn, die Feindſchaften der An-
geſehenen und Großen, die uns unterdrücken,
ſo mächtig und ſiegend, daß unſre großmüthigſte

Freun-
P 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0279" n="227"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
gen Freunde um den zagenden Erlö&#x017F;er am Oel-<lb/>
berge, ergründen &#x017F;einen Gram nicht, und kön-<lb/>
nen ihn nicht trö&#x017F;ten: und, was kann der<lb/>
Freund des Kranken, der von den heftig&#x017F;ten<lb/>
Schmerzen geplagt, keine Ruhe findet? was<lb/>
der Freund des Sterbenden, der den Tod mit<lb/>
jeder Minute herannahen &#x017F;ieht? was der Ver-<lb/>
traute eines Unglücklichen, den &#x017F;ein Gewißen,<lb/>
&#x017F;ein ganzes Leben durch, für eine &#x017F;chreckliche ver-<lb/>
borgne That insgeheim martert? was der nach-<lb/>
gebliebne Freund des Bekümmerten, der am Gra-<lb/>
be &#x017F;einer Geliebten weint; des Redlichen, der<lb/>
über die La&#x017F;ter eines Unglücklichen, der ihm nahe<lb/>
angeht, über den Verfall &#x017F;eines Vaterlandes,<lb/>
über die Unterdrückung &#x017F;einer gemeinnützig&#x017F;ten<lb/>
Ab&#x017F;ichten trauert? &#x2014; Was können &#x017F;ie oft, die<lb/>
mitleidenden Freunde? als: mit dem Unglück-<lb/>
lichen weinen. &#x2014; Petrus will &#x017F;einen Herrn<lb/>
mit einem Schwerdt&#x017F;chlag vertheidigen: aber,<lb/>
was vermogte er gegen eine ganze gewaffnete<lb/>
Schaar? was, die übrigen Jünger, die ohne<lb/>
Gegenwehr um ihren gefangnen Herrn &#x017F;tehn?<lb/>
So &#x017F;ind auch oft die Hinderniße, die un&#x017F;erm<lb/>
Glücke entgegen &#x017F;tehn, die Feind&#x017F;chaften der An-<lb/>
ge&#x017F;ehenen und Großen, die uns unterdrücken,<lb/>
&#x017F;o mächtig und &#x017F;iegend, daß un&#x017F;re großmüthig&#x017F;te<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Freun-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0279] gen Freunde um den zagenden Erlöſer am Oel- berge, ergründen ſeinen Gram nicht, und kön- nen ihn nicht tröſten: und, was kann der Freund des Kranken, der von den heftigſten Schmerzen geplagt, keine Ruhe findet? was der Freund des Sterbenden, der den Tod mit jeder Minute herannahen ſieht? was der Ver- traute eines Unglücklichen, den ſein Gewißen, ſein ganzes Leben durch, für eine ſchreckliche ver- borgne That insgeheim martert? was der nach- gebliebne Freund des Bekümmerten, der am Gra- be ſeiner Geliebten weint; des Redlichen, der über die Laſter eines Unglücklichen, der ihm nahe angeht, über den Verfall ſeines Vaterlandes, über die Unterdrückung ſeiner gemeinnützigſten Abſichten trauert? — Was können ſie oft, die mitleidenden Freunde? als: mit dem Unglück- lichen weinen. — Petrus will ſeinen Herrn mit einem Schwerdtſchlag vertheidigen: aber, was vermogte er gegen eine ganze gewaffnete Schaar? was, die übrigen Jünger, die ohne Gegenwehr um ihren gefangnen Herrn ſtehn? So ſind auch oft die Hinderniße, die unſerm Glücke entgegen ſtehn, die Feindſchaften der An- geſehenen und Großen, die uns unterdrücken, ſo mächtig und ſiegend, daß unſre großmüthigſte Freun- P 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/279
Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/279>, abgerufen am 25.11.2024.