Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.de! -- zu sehn, wie der peinlichste Schmerz, den schwachen Faden, an dem sein Leben noch schwebte, langsam zerreißt; zu sehn, in seiner Miene, wie er so gerne sie von allem Kummer entledigen mögte, wie er in ihrer hoffnungslo- sen Traurigkeit so viel als durch seinen Schmerz leidet! das zu sehn, ohne daß sie, ohne daß ir- gend ein Freund es wagen dürfte, ihm eine Er- quickung in seiner lezten Noth darzubieten, ihm nur ein Wort des freundschaftlichen Mitleids und des Trostes zuzusprechen. Nächtliche Fin- sterniß, die am hellen Mittage das Licht des Ta- ges verdunkelte, und seinen Todeshügel umhüll- te, verschloß ihren Augen den Anblick ihres ge- kreuzigten Freundes, und verdunkelte noch den lezten schwachen Strahl der Hoffnung in ihrem Herzen. Die Schrecken der Finsterniß ver- schwanden, nach drei furchtbaren Stunden: aber, die Schrecken in der Seele des leidenden Mittlers, vermehrten sich, mit jeder Abnahme seiner Kräfte; und die Finsterniß des Todes, drang immer näher zu ihm. Seine lange ver- haltne Seufzer brechen unaufhaltsam hervor; die matte Zunge schüttet ihre lezten Kräfte in Kla- gen aus. "Mein Gott, mein Gott! Warum &q;hast du mich verlaßen?" -- Noch einmal: -- "mich S 2
de! — zu ſehn, wie der peinlichſte Schmerz, den ſchwachen Faden, an dem ſein Leben noch ſchwebte, langſam zerreißt; zu ſehn, in ſeiner Miene, wie er ſo gerne ſie von allem Kummer entledigen mögte, wie er in ihrer hoffnungslo- ſen Traurigkeit ſo viel als durch ſeinen Schmerz leidet! das zu ſehn, ohne daß ſie, ohne daß ir- gend ein Freund es wagen dürfte, ihm eine Er- quickung in ſeiner lezten Noth darzubieten, ihm nur ein Wort des freundſchaftlichen Mitleids und des Troſtes zuzuſprechen. Nächtliche Fin- ſterniß, die am hellen Mittage das Licht des Ta- ges verdunkelte, und ſeinen Todeshügel umhüll- te, verſchloß ihren Augen den Anblick ihres ge- kreuzigten Freundes, und verdunkelte noch den lezten ſchwachen Strahl der Hoffnung in ihrem Herzen. Die Schrecken der Finſterniß ver- ſchwanden, nach drei furchtbaren Stunden: aber, die Schrecken in der Seele des leidenden Mittlers, vermehrten ſich, mit jeder Abnahme ſeiner Kräfte; und die Finſterniß des Todes, drang immer näher zu ihm. Seine lange ver- haltne Seufzer brechen unaufhaltſam hervor; die matte Zunge ſchüttet ihre lezten Kräfte in Kla- gen aus. “Mein Gott, mein Gott! Warum &q;haſt du mich verlaßen?” — Noch einmal: — “mich S 2
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den ſchwachen Faden, an dem ſein Leben noch
ſchwebte, langſam zerreißt; zu ſehn, in ſeiner
Miene, wie er ſo gerne ſie von allem Kummer
entledigen mögte, wie er in ihrer hoffnungslo-
ſen Traurigkeit ſo viel als durch ſeinen Schmerz
leidet! das zu ſehn, ohne daß ſie, ohne daß ir-
gend ein Freund es wagen dürfte, ihm eine Er-
quickung in ſeiner lezten Noth darzubieten, ihm
nur ein Wort des freundſchaftlichen Mitleids
und des Troſtes zuzuſprechen. Nächtliche Fin-
ſterniß, die am hellen Mittage das Licht des Ta-
ges verdunkelte, und ſeinen Todeshügel umhüll-
te, verſchloß ihren Augen den Anblick ihres ge-
kreuzigten Freundes, und verdunkelte noch den
lezten ſchwachen Strahl der Hoffnung in ihrem
Herzen. Die Schrecken der Finſterniß ver-
ſchwanden, nach drei furchtbaren Stunden:
aber, die Schrecken in der Seele des leidenden
Mittlers, vermehrten ſich, mit jeder Abnahme
ſeiner Kräfte; und die Finſterniß des Todes,
drang immer näher zu ihm. Seine lange ver-
haltne Seufzer brechen unaufhaltſam hervor; die
matte Zunge ſchüttet ihre lezten Kräfte in Kla-
gen aus. “Mein Gott, mein Gott! Warum
&q;haſt du mich verlaßen?” — Noch einmal:
— “mich
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