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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

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Es war um die Stunde des Abendopfers;
Priester warteten des Gottesdienstes im Tem-
pel, von dem Tode Jesu noch ununterrichtet.
Plötzlich zerreißt der gedoppelte Vorhang, der
das Allerheiligste verhüllte. -- Die sichtbare
Wohnung der Herrlichkeit Gottes, zu welcher
allen der Zugang verschloßen war, darin nur
einmal im Jahr der Hohepriester sich wagen
durfte, vor ihrer aller Augen eröffnet? Welch
ein entsetzender Anblick! Ein bedeutender Wink,
daß ihrem Gottesdienste eine ausnehmende Ver-
änderung bevorstehe! Die Auftritte werden im-
mer furchtbarer; -- in den zersprengten Fels-
hölen sieht man die offnen Gräber; -- kürzlich
verstorbne, deren Tod allgemein bekannt war,
werden hernach sogar, zum Leben erweckt, den
erstaunten Jhrigen, und jedem der sie mit Be-
stürzung sieht, Zeugen der Auferstehung Jesu.

Die Geschichte verschweigt nicht die Wür-
kungen so erstaunenswürdiger Begebenheiten auf
die Herzen der Menschen: aber wie sehr unter-
scheiden sie sich doch nach der verschiedenen Den-
kungsart eines jeden! Wie tiefe Blicke laßen sich
da ins menschliche Herz thun! -- Die furcht-
barsten Warnungen, sind an einer Seele

ver-
T 5


Es war um die Stunde des Abendopfers;
Prieſter warteten des Gottesdienſtes im Tem-
pel, von dem Tode Jeſu noch ununterrichtet.
Plötzlich zerreißt der gedoppelte Vorhang, der
das Allerheiligſte verhüllte. — Die ſichtbare
Wohnung der Herrlichkeit Gottes, zu welcher
allen der Zugang verſchloßen war, darin nur
einmal im Jahr der Hoheprieſter ſich wagen
durfte, vor ihrer aller Augen eröffnet? Welch
ein entſetzender Anblick! Ein bedeutender Wink,
daß ihrem Gottesdienſte eine ausnehmende Ver-
änderung bevorſtehe! Die Auftritte werden im-
mer furchtbarer; — in den zerſprengten Fels-
hölen ſieht man die offnen Gräber; — kürzlich
verſtorbne, deren Tod allgemein bekannt war,
werden hernach ſogar, zum Leben erweckt, den
erſtaunten Jhrigen, und jedem der ſie mit Be-
ſtürzung ſieht, Zeugen der Auferſtehung Jeſu.

Die Geſchichte verſchweigt nicht die Wür-
kungen ſo erſtaunenswürdiger Begebenheiten auf
die Herzen der Menſchen: aber wie ſehr unter-
ſcheiden ſie ſich doch nach der verſchiedenen Den-
kungsart eines jeden! Wie tiefe Blicke laßen ſich
da ins menſchliche Herz thun! — Die furcht-
barſten Warnungen, ſind an einer Seele

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[297/0349] Es war um die Stunde des Abendopfers; Prieſter warteten des Gottesdienſtes im Tem- pel, von dem Tode Jeſu noch ununterrichtet. Plötzlich zerreißt der gedoppelte Vorhang, der das Allerheiligſte verhüllte. — Die ſichtbare Wohnung der Herrlichkeit Gottes, zu welcher allen der Zugang verſchloßen war, darin nur einmal im Jahr der Hoheprieſter ſich wagen durfte, vor ihrer aller Augen eröffnet? Welch ein entſetzender Anblick! Ein bedeutender Wink, daß ihrem Gottesdienſte eine ausnehmende Ver- änderung bevorſtehe! Die Auftritte werden im- mer furchtbarer; — in den zerſprengten Fels- hölen ſieht man die offnen Gräber; — kürzlich verſtorbne, deren Tod allgemein bekannt war, werden hernach ſogar, zum Leben erweckt, den erſtaunten Jhrigen, und jedem der ſie mit Be- ſtürzung ſieht, Zeugen der Auferſtehung Jeſu. Die Geſchichte verſchweigt nicht die Wür- kungen ſo erſtaunenswürdiger Begebenheiten auf die Herzen der Menſchen: aber wie ſehr unter- ſcheiden ſie ſich doch nach der verſchiedenen Den- kungsart eines jeden! Wie tiefe Blicke laßen ſich da ins menſchliche Herz thun! — Die furcht- barſten Warnungen, ſind an einer Seele ver- T 5

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Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/349>, abgerufen am 22.11.2024.