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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

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der Wiedervereinigung auf den Trümmern
der Gräber. -- Die Zeit drängt ihren
schnellen Flug unaufgehalten fort, sie kennt kei-
nen Stillestand beim Wechsel der Jahre: wir
nur haben diese Berechnung der Zeit erfunden,
um darnach unsre Geschäffte zu ordnen: und da-
her verursacht der Abend, an welchem sich ein
Jahr von dem andern nach unsrer Rechnung
scheidet, auf gewiße Weise einen Stillestand in
unsern Beschäfftigungen. Manche Verbindun-
gen, in denen wir bisher gelebt haben, hören auf;
manche Verhältniße ändern sich. Unvermögend,
unser ganzes voriges Leben genau zu übersehen,
kommen wir unsrer Schwachheit dadurch zu Hül-
fe, daß wir den Abschnitt eines Jahres von den
andern Theilen, uns denn besonders nur der Ta-
ge bis zum Anfange desselben, der Schicksale,
der Veränderungen, die wir darin erfahren haben,
erinnern. Wir gehn mit uns zu rathe, um das
was etwan von unsern wichtigsten Geschäfften
noch unvollendet geblieben ist, zu Stande zu
bringen, berichtigen unsern Vermögenszustand,
forschen sorgfältig nach, ob er im verwichnen
Jahre abgenommen oder sich verbeßert habe, le-
gen Rechenschaft anvertrauter Güter vor andern
ab; -- und fangen auf diese Art, gleichsam

eine



der Wiedervereinigung auf den Trümmern
der Gräber. — Die Zeit drängt ihren
ſchnellen Flug unaufgehalten fort, ſie kennt kei-
nen Stilleſtand beim Wechſel der Jahre: wir
nur haben dieſe Berechnung der Zeit erfunden,
um darnach unſre Geſchäffte zu ordnen: und da-
her verurſacht der Abend, an welchem ſich ein
Jahr von dem andern nach unſrer Rechnung
ſcheidet, auf gewiße Weiſe einen Stilleſtand in
unſern Beſchäfftigungen. Manche Verbindun-
gen, in denen wir bisher gelebt haben, hören auf;
manche Verhältniße ändern ſich. Unvermögend,
unſer ganzes voriges Leben genau zu überſehen,
kommen wir unſrer Schwachheit dadurch zu Hül-
fe, daß wir den Abſchnitt eines Jahres von den
andern Theilen, uns denn beſonders nur der Ta-
ge bis zum Anfange deſſelben, der Schickſale,
der Veränderungen, die wir darin erfahren haben,
erinnern. Wir gehn mit uns zu rathe, um das
was etwan von unſern wichtigſten Geſchäfften
noch unvollendet geblieben iſt, zu Stande zu
bringen, berichtigen unſern Vermögenszuſtand,
forſchen ſorgfältig nach, ob er im verwichnen
Jahre abgenommen oder ſich verbeßert habe, le-
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[330/0382] der Wiedervereinigung auf den Trümmern der Gräber. — Die Zeit drängt ihren ſchnellen Flug unaufgehalten fort, ſie kennt kei- nen Stilleſtand beim Wechſel der Jahre: wir nur haben dieſe Berechnung der Zeit erfunden, um darnach unſre Geſchäffte zu ordnen: und da- her verurſacht der Abend, an welchem ſich ein Jahr von dem andern nach unſrer Rechnung ſcheidet, auf gewiße Weiſe einen Stilleſtand in unſern Beſchäfftigungen. Manche Verbindun- gen, in denen wir bisher gelebt haben, hören auf; manche Verhältniße ändern ſich. Unvermögend, unſer ganzes voriges Leben genau zu überſehen, kommen wir unſrer Schwachheit dadurch zu Hül- fe, daß wir den Abſchnitt eines Jahres von den andern Theilen, uns denn beſonders nur der Ta- ge bis zum Anfange deſſelben, der Schickſale, der Veränderungen, die wir darin erfahren haben, erinnern. Wir gehn mit uns zu rathe, um das was etwan von unſern wichtigſten Geſchäfften noch unvollendet geblieben iſt, zu Stande zu bringen, berichtigen unſern Vermögenszuſtand, forſchen ſorgfältig nach, ob er im verwichnen Jahre abgenommen oder ſich verbeßert habe, le- gen Rechenſchaft anvertrauter Güter vor andern ab; — und fangen auf dieſe Art, gleichſam eine

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Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/382>, abgerufen am 24.11.2024.