Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.wir neue bewundrungswürdige Wahrheiten, zur Erkenntniß ihres Schöpfers, jede, mit der leb- haftesten Beredsamkeit, die tiefer als alle mensch- liche Worte ins Herz dringt, vorgetragen. Aber sie fordert auch ein Herz, welches ihren Unter- richt lehrbegierig annimmt. Die lehrreichste Schrift verfehlt ihren Endzweck, nicht nur bei dem, der sie ungelesen läßet; eben so sehr bei dem, der sich bloß zum Zeitvertreibe mit dersel- ben beschäftigt, höchstens nach dem Namen ih- res Verfassers frägt, und von seinem einneh- menden Vortrage zu reden weiß, ohne sich die Anweisungen, die Rathschläge, die Ermunterun- gen desselben zu nuzze zu machen. Die Natur ist umsonst so schön geschaffen, nicht nur für die Leichtsinnigen, die unter den rastlosen Sorgen für Ehre und Reichthum, und unter dem ewi- gen Taumel der Lustbarkeiten, nicht Zeit gewin- nen mögen, sich nach der Erkenntniß der Ge- schöpfe Gottes weiter umzusehn, als in so fern sie sich derselben zur Befriedigung ihrer sinnli- chen Begierden bedienen wollen: sie verfehlt auch ihren lehrreichsten Unterricht, zur Weisheit und Tugend und Zufriedenheit, selbst bei denen, welche sich oft in ihrer Nachforschung ermüden, die mannigfaltigen Arten und Verschiedenheiten der
wir neue bewundrungswürdige Wahrheiten, zur Erkenntniß ihres Schöpfers, jede, mit der leb- hafteſten Beredſamkeit, die tiefer als alle menſch- liche Worte ins Herz dringt, vorgetragen. Aber ſie fordert auch ein Herz, welches ihren Unter- richt lehrbegierig annimmt. Die lehrreichſte Schrift verfehlt ihren Endzweck, nicht nur bei dem, der ſie ungeleſen läßet; eben ſo ſehr bei dem, der ſich bloß zum Zeitvertreibe mit derſel- ben beſchäftigt, höchſtens nach dem Namen ih- res Verfaſſers frägt, und von ſeinem einneh- menden Vortrage zu reden weiß, ohne ſich die Anweiſungen, die Rathſchläge, die Ermunterun- gen deſſelben zu nuzze zu machen. Die Natur iſt umſonſt ſo ſchön geſchaffen, nicht nur für die Leichtſinnigen, die unter den raſtloſen Sorgen für Ehre und Reichthum, und unter dem ewi- gen Taumel der Luſtbarkeiten, nicht Zeit gewin- nen mögen, ſich nach der Erkenntniß der Ge- ſchöpfe Gottes weiter umzuſehn, als in ſo fern ſie ſich derſelben zur Befriedigung ihrer ſinnli- chen Begierden bedienen wollen: ſie verfehlt auch ihren lehrreichſten Unterricht, zur Weisheit und Tugend und Zufriedenheit, ſelbſt bei denen, welche ſich oft in ihrer Nachforſchung ermüden, die mannigfaltigen Arten und Verſchiedenheiten der
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0054" n="2"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> wir neue bewundrungswürdige Wahrheiten, zur<lb/> Erkenntniß ihres Schöpfers, jede, mit der leb-<lb/> hafteſten Beredſamkeit, die tiefer als alle menſch-<lb/> liche Worte ins Herz dringt, vorgetragen. Aber<lb/> ſie fordert auch ein Herz, welches ihren Unter-<lb/> richt lehrbegierig annimmt. Die lehrreichſte<lb/> Schrift verfehlt ihren Endzweck, nicht nur bei<lb/> dem, der ſie ungeleſen läßet; eben ſo ſehr bei<lb/> dem, der ſich bloß zum Zeitvertreibe mit derſel-<lb/> ben beſchäftigt, höchſtens nach dem Namen ih-<lb/> res Verfaſſers frägt, und von ſeinem einneh-<lb/> menden Vortrage zu reden weiß, ohne ſich die<lb/> Anweiſungen, die Rathſchläge, die Ermunterun-<lb/> gen deſſelben zu nuzze zu machen. Die Natur<lb/> iſt umſonſt ſo ſchön geſchaffen, nicht nur für die<lb/> Leichtſinnigen, die unter den raſtloſen Sorgen<lb/> für Ehre und Reichthum, und unter dem ewi-<lb/> gen Taumel der Luſtbarkeiten, nicht Zeit gewin-<lb/> nen mögen, ſich nach der Erkenntniß der Ge-<lb/> ſchöpfe Gottes weiter umzuſehn, als in ſo fern<lb/> ſie ſich derſelben zur Befriedigung ihrer ſinnli-<lb/> chen Begierden bedienen wollen: ſie verfehlt auch<lb/> ihren lehrreichſten Unterricht, zur Weisheit und<lb/> Tugend und Zufriedenheit, ſelbſt bei denen,<lb/> welche ſich oft in ihrer Nachforſchung ermüden,<lb/> die mannigfaltigen Arten und Verſchiedenheiten<lb/> <fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [2/0054]
wir neue bewundrungswürdige Wahrheiten, zur
Erkenntniß ihres Schöpfers, jede, mit der leb-
hafteſten Beredſamkeit, die tiefer als alle menſch-
liche Worte ins Herz dringt, vorgetragen. Aber
ſie fordert auch ein Herz, welches ihren Unter-
richt lehrbegierig annimmt. Die lehrreichſte
Schrift verfehlt ihren Endzweck, nicht nur bei
dem, der ſie ungeleſen läßet; eben ſo ſehr bei
dem, der ſich bloß zum Zeitvertreibe mit derſel-
ben beſchäftigt, höchſtens nach dem Namen ih-
res Verfaſſers frägt, und von ſeinem einneh-
menden Vortrage zu reden weiß, ohne ſich die
Anweiſungen, die Rathſchläge, die Ermunterun-
gen deſſelben zu nuzze zu machen. Die Natur
iſt umſonſt ſo ſchön geſchaffen, nicht nur für die
Leichtſinnigen, die unter den raſtloſen Sorgen
für Ehre und Reichthum, und unter dem ewi-
gen Taumel der Luſtbarkeiten, nicht Zeit gewin-
nen mögen, ſich nach der Erkenntniß der Ge-
ſchöpfe Gottes weiter umzuſehn, als in ſo fern
ſie ſich derſelben zur Befriedigung ihrer ſinnli-
chen Begierden bedienen wollen: ſie verfehlt auch
ihren lehrreichſten Unterricht, zur Weisheit und
Tugend und Zufriedenheit, ſelbſt bei denen,
welche ſich oft in ihrer Nachforſchung ermüden,
die mannigfaltigen Arten und Verſchiedenheiten
der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/54 |
Zitationshilfe: | Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/54>, abgerufen am 18.06.2024. |