Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite



stand nicht nur: es hat, unübersehbare Jahrtau-
sende lang, schon fortgedauert, es dauert fort,
es wird fortdauren, wenn er der Ewige gleich
einmal gebietet, daß keine Zeit mehr seyn soll.
Nicht, als hätte sich jedes Geschöpf dieser Erde,
von Anbeginn bis diese Stunde, erhalten: das
konnte es nicht, denn es war aus dem Staube
gebildet, und muste wieder in den Staub zurück-
kehren; das sollte es nicht, nach dem Willen
seines Schöpfers, der die ganze gegenwärtige
Welt, mit allem was sie in sich faßt, der Ver-
gänglichkeit unterworfen hat. Doch ist jeder ver-
wesende Staub, immer wieder ein fruchtbarer
Keim künftiger, den zerstörten ähnlicher Geschöfe
geworden. Wie bald verwelkt die Blume, von
einem versengenden Sonnenstrahl; wie leicht zer-
knickt sie ein Sturmwind, ein Regenguß? wie
viele Insecten verschmachten im Staube? wie
unzählige Thiere sterben täglich unter dem Wür-
gen ihrer Feinde, unter den Händen der Men-
schen? Das Gebiet des Todes erstreckt sich über
alles was Leben hat. Wie viele Menschenge-
schlechter haben Alter und Kränklichkeit, Seu-
chen und Kriege, aufgerieben, Flammen und
Fluten verschlungen! -- Sie sind alle nicht
mehr; und dennoch hat die Erde, unter allen

die-



ſtand nicht nur: es hat, unüberſehbare Jahrtau-
ſende lang, ſchon fortgedauert, es dauert fort,
es wird fortdauren, wenn er der Ewige gleich
einmal gebietet, daß keine Zeit mehr ſeyn ſoll.
Nicht, als hätte ſich jedes Geſchöpf dieſer Erde,
von Anbeginn bis dieſe Stunde, erhalten: das
konnte es nicht, denn es war aus dem Staube
gebildet, und muſte wieder in den Staub zurück-
kehren; das ſollte es nicht, nach dem Willen
ſeines Schöpfers, der die ganze gegenwärtige
Welt, mit allem was ſie in ſich faßt, der Ver-
gänglichkeit unterworfen hat. Doch iſt jeder ver-
weſende Staub, immer wieder ein fruchtbarer
Keim künftiger, den zerſtörten ähnlicher Geſchöfe
geworden. Wie bald verwelkt die Blume, von
einem verſengenden Sonnenſtrahl; wie leicht zer-
knickt ſie ein Sturmwind, ein Regenguß? wie
viele Inſecten verſchmachten im Staube? wie
unzählige Thiere ſterben täglich unter dem Wür-
gen ihrer Feinde, unter den Händen der Men-
ſchen? Das Gebiet des Todes erſtreckt ſich über
alles was Leben hat. Wie viele Menſchenge-
ſchlechter haben Alter und Kränklichkeit, Seu-
chen und Kriege, aufgerieben, Flammen und
Fluten verſchlungen! — Sie ſind alle nicht
mehr; und dennoch hat die Erde, unter allen

die-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0060" n="8"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;tand nicht nur: es hat, unüber&#x017F;ehbare Jahrtau-<lb/>
&#x017F;ende lang, &#x017F;chon fortgedauert, es dauert fort,<lb/>
es wird fortdauren, wenn er der Ewige gleich<lb/>
einmal gebietet, daß keine Zeit mehr &#x017F;eyn &#x017F;oll.<lb/>
Nicht, als hätte &#x017F;ich jedes Ge&#x017F;chöpf die&#x017F;er Erde,<lb/>
von Anbeginn bis die&#x017F;e Stunde, erhalten: das<lb/>
konnte es nicht, denn es war aus dem Staube<lb/>
gebildet, und mu&#x017F;te wieder in den Staub zurück-<lb/>
kehren; das &#x017F;ollte es nicht, nach dem Willen<lb/>
&#x017F;eines Schöpfers, der die ganze gegenwärtige<lb/>
Welt, mit allem was &#x017F;ie in &#x017F;ich faßt, der Ver-<lb/>
gänglichkeit unterworfen hat. Doch i&#x017F;t jeder ver-<lb/>
we&#x017F;ende Staub, immer wieder ein fruchtbarer<lb/>
Keim künftiger, den zer&#x017F;törten ähnlicher Ge&#x017F;chöfe<lb/>
geworden. Wie bald verwelkt die Blume, von<lb/>
einem ver&#x017F;engenden Sonnen&#x017F;trahl; wie leicht zer-<lb/>
knickt &#x017F;ie ein Sturmwind, ein Regenguß? wie<lb/>
viele In&#x017F;ecten ver&#x017F;chmachten im Staube? wie<lb/>
unzählige Thiere &#x017F;terben täglich unter dem Wür-<lb/>
gen ihrer Feinde, unter den Händen der Men-<lb/>
&#x017F;chen? Das Gebiet des Todes er&#x017F;treckt &#x017F;ich über<lb/>
alles was Leben hat. Wie viele Men&#x017F;chenge-<lb/>
&#x017F;chlechter haben Alter und Kränklichkeit, Seu-<lb/>
chen und Kriege, aufgerieben, Flammen und<lb/>
Fluten ver&#x017F;chlungen! &#x2014; Sie &#x017F;ind alle nicht<lb/>
mehr; und dennoch hat die Erde, unter allen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0060] ſtand nicht nur: es hat, unüberſehbare Jahrtau- ſende lang, ſchon fortgedauert, es dauert fort, es wird fortdauren, wenn er der Ewige gleich einmal gebietet, daß keine Zeit mehr ſeyn ſoll. Nicht, als hätte ſich jedes Geſchöpf dieſer Erde, von Anbeginn bis dieſe Stunde, erhalten: das konnte es nicht, denn es war aus dem Staube gebildet, und muſte wieder in den Staub zurück- kehren; das ſollte es nicht, nach dem Willen ſeines Schöpfers, der die ganze gegenwärtige Welt, mit allem was ſie in ſich faßt, der Ver- gänglichkeit unterworfen hat. Doch iſt jeder ver- weſende Staub, immer wieder ein fruchtbarer Keim künftiger, den zerſtörten ähnlicher Geſchöfe geworden. Wie bald verwelkt die Blume, von einem verſengenden Sonnenſtrahl; wie leicht zer- knickt ſie ein Sturmwind, ein Regenguß? wie viele Inſecten verſchmachten im Staube? wie unzählige Thiere ſterben täglich unter dem Wür- gen ihrer Feinde, unter den Händen der Men- ſchen? Das Gebiet des Todes erſtreckt ſich über alles was Leben hat. Wie viele Menſchenge- ſchlechter haben Alter und Kränklichkeit, Seu- chen und Kriege, aufgerieben, Flammen und Fluten verſchlungen! — Sie ſind alle nicht mehr; und dennoch hat die Erde, unter allen die-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/60
Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/60>, abgerufen am 18.06.2024.