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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 7. Die einfachen Gefühle.
nicht nur einen durch Abstraction isolirbaren, sondern einen
wirklich isolirt vorkommenden Bestandtheil unserer unmittel-
baren Erfahrung zu verstehen; der zweite, weil der "Gefühls-
ton" als eine der Empfindung in ähnlicher Weise unveränder-
lich zukommende Gefühlsqualität betrachtet werden könnte,
wie etwa der "Farbenton" ein nothwendiges Bestimmungs-
stück einer Farbenempfindung ist. In Wahrheit kann aber
das sinnliche Gefühl ebenso wenig jemals ohne eine Empfin-
dung vorkommen, wie es ein Gefühl der Tonharmonie
ohne Tonempfindungen geben kann. Wenn man zuweilen
das Schmerzgefühl oder auch Druck-, Wärme-, Kälte-,
Muskelgefühle u. dgl. als selbständig vorkommende sinnliche
Gefühle bezeichnet hat, so beruht das auf der namentlich
in der Physiologie noch immer verbreiteten Vermengung der
Begriffe Empfindung und Gefühl (S. 43), vermöge deren man
theils gewisse Empfindungen, wie die des Tastsinns, "Gefühle"
nennt, theils aber bei solchen Empfindungen, die, wie
die Schmerzempfindungen, von starken Gefühlen begleitet
werden, die Unterscheidung beider Elemente vernächlässigt.
Nicht minder unzulässig würde es aber sein, einer bestimmten
Empfindung ein qualitativ und intensiv fest bestimmtes Gefühl
zuzuschreiben. Vielmehr bewährt es sich überall, dass die
Empfindung nur einer unter vielen Factoren ist, die ein
in einem gegebenen Augenblick vorhandenes Gefühl be-
stimmen, indem neben ihr immer zugleich vorangegangene
Processe und dauernde Anlagen, im ganzen also Bedingungen,
die wir im einzelnen Fall nur bruchstückweise zu übersehen
vermögen, eine wesentliche Rolle spielen. Der Begriff des
"sinnlichen Gefühls" oder des "Gefühlstons" ist daher in
doppeltem Sinne Product einer Analyse und Abstraction:
erstens müssen wir dabei das einfache Gefühl von der es
begleitenden reinen Empfindung unterscheiden, und zweitens
müssen wir unter den mannigfach wechselnden Gefühls-

§ 7. Die einfachen Gefühle.
nicht nur einen durch Abstraction isolirbaren, sondern einen
wirklich isolirt vorkommenden Bestandtheil unserer unmittel-
baren Erfahrung zu verstehen; der zweite, weil der »Gefühls-
ton« als eine der Empfindung in ähnlicher Weise unveränder-
lich zukommende Gefühlsqualität betrachtet werden könnte,
wie etwa der »Farbenton« ein nothwendiges Bestimmungs-
stück einer Farbenempfindung ist. In Wahrheit kann aber
das sinnliche Gefühl ebenso wenig jemals ohne eine Empfin-
dung vorkommen, wie es ein Gefühl der Tonharmonie
ohne Tonempfindungen geben kann. Wenn man zuweilen
das Schmerzgefühl oder auch Druck-, Wärme-, Kälte-,
Muskelgefühle u. dgl. als selbständig vorkommende sinnliche
Gefühle bezeichnet hat, so beruht das auf der namentlich
in der Physiologie noch immer verbreiteten Vermengung der
Begriffe Empfindung und Gefühl (S. 43), vermöge deren man
theils gewisse Empfindungen, wie die des Tastsinns, »Gefühle«
nennt, theils aber bei solchen Empfindungen, die, wie
die Schmerzempfindungen, von starken Gefühlen begleitet
werden, die Unterscheidung beider Elemente vernächlässigt.
Nicht minder unzulässig würde es aber sein, einer bestimmten
Empfindung ein qualitativ und intensiv fest bestimmtes Gefühl
zuzuschreiben. Vielmehr bewährt es sich überall, dass die
Empfindung nur einer unter vielen Factoren ist, die ein
in einem gegebenen Augenblick vorhandenes Gefühl be-
stimmen, indem neben ihr immer zugleich vorangegangene
Processe und dauernde Anlagen, im ganzen also Bedingungen,
die wir im einzelnen Fall nur bruchstückweise zu übersehen
vermögen, eine wesentliche Rolle spielen. Der Begriff des
»sinnlichen Gefühls« oder des »Gefühlstons« ist daher in
doppeltem Sinne Product einer Analyse und Abstraction:
erstens müssen wir dabei das einfache Gefühl von der es
begleitenden reinen Empfindung unterscheiden, und zweitens
müssen wir unter den mannigfach wechselnden Gefühls-

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[89/0105] § 7. Die einfachen Gefühle. nicht nur einen durch Abstraction isolirbaren, sondern einen wirklich isolirt vorkommenden Bestandtheil unserer unmittel- baren Erfahrung zu verstehen; der zweite, weil der »Gefühls- ton« als eine der Empfindung in ähnlicher Weise unveränder- lich zukommende Gefühlsqualität betrachtet werden könnte, wie etwa der »Farbenton« ein nothwendiges Bestimmungs- stück einer Farbenempfindung ist. In Wahrheit kann aber das sinnliche Gefühl ebenso wenig jemals ohne eine Empfin- dung vorkommen, wie es ein Gefühl der Tonharmonie ohne Tonempfindungen geben kann. Wenn man zuweilen das Schmerzgefühl oder auch Druck-, Wärme-, Kälte-, Muskelgefühle u. dgl. als selbständig vorkommende sinnliche Gefühle bezeichnet hat, so beruht das auf der namentlich in der Physiologie noch immer verbreiteten Vermengung der Begriffe Empfindung und Gefühl (S. 43), vermöge deren man theils gewisse Empfindungen, wie die des Tastsinns, »Gefühle« nennt, theils aber bei solchen Empfindungen, die, wie die Schmerzempfindungen, von starken Gefühlen begleitet werden, die Unterscheidung beider Elemente vernächlässigt. Nicht minder unzulässig würde es aber sein, einer bestimmten Empfindung ein qualitativ und intensiv fest bestimmtes Gefühl zuzuschreiben. Vielmehr bewährt es sich überall, dass die Empfindung nur einer unter vielen Factoren ist, die ein in einem gegebenen Augenblick vorhandenes Gefühl be- stimmen, indem neben ihr immer zugleich vorangegangene Processe und dauernde Anlagen, im ganzen also Bedingungen, die wir im einzelnen Fall nur bruchstückweise zu übersehen vermögen, eine wesentliche Rolle spielen. Der Begriff des »sinnlichen Gefühls« oder des »Gefühlstons« ist daher in doppeltem Sinne Product einer Analyse und Abstraction: erstens müssen wir dabei das einfache Gefühl von der es begleitenden reinen Empfindung unterscheiden, und zweitens müssen wir unter den mannigfach wechselnden Gefühls-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/105>, abgerufen am 21.11.2024.