Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.II. Die psychischen Gebilde. diese Unterschiede allerdings physikalischer und physiologischerErklärungsgründe. Der naheliegendste Versuch einer solchen Erklärung liegt nun in einer angemessenen Ergänzung der Re- sonanzhypothese. Nimmt man an, dass neben den den Klang analysirenden Theilen des Gehörorgans, dem Resonanzapparat, noch andere existiren, auf die die gesammte unzerlegte Klangmasse einwirkt, und die nach den S. 49 erwähnten Beobachtungen an labyrinthlosen Vögeln möglicher Weise die in den Knochenkanälen des Labyrinths verlaufenden Hörnervenfasern selbst sein können, so ist damit für die abweichende Wirkung jener Bedingungen ein zureichendes physiologisches Substrat gegeben. Dazu kommt noch die Existenz der die primären Töne an Intensität zuweilen weit übertreffenden Stoßtöne (S. 116), sowie die Beobachtung, dass sich die Intermissionen eines einzigen Tons bei zureichender Geschwin- digkeit zu einer zweiten Tonempfindung verbinden können, That- sachen die eine Ergänzung der Resonanzhypothese in ähnlichem Sinne zu fordern scheinen. § 10. Die räumlichen Vorstellungen. 1. Von den intensiven unterscheiden sich die räum- Unter den möglichen Formen extensiver Vorstellungen II. Die psychischen Gebilde. diese Unterschiede allerdings physikalischer und physiologischerErklärungsgründe. Der naheliegendste Versuch einer solchen Erklärung liegt nun in einer angemessenen Ergänzung der Re- sonanzhypothese. Nimmt man an, dass neben den den Klang analysirenden Theilen des Gehörorgans, dem Resonanzapparat, noch andere existiren, auf die die gesammte unzerlegte Klangmasse einwirkt, und die nach den S. 49 erwähnten Beobachtungen an labyrinthlosen Vögeln möglicher Weise die in den Knochenkanälen des Labyrinths verlaufenden Hörnervenfasern selbst sein können, so ist damit für die abweichende Wirkung jener Bedingungen ein zureichendes physiologisches Substrat gegeben. Dazu kommt noch die Existenz der die primären Töne an Intensität zuweilen weit übertreffenden Stoßtöne (S. 116), sowie die Beobachtung, dass sich die Intermissionen eines einzigen Tons bei zureichender Geschwin- digkeit zu einer zweiten Tonempfindung verbinden können, That- sachen die eine Ergänzung der Resonanzhypothese in ähnlichem Sinne zu fordern scheinen. § 10. Die räumlichen Vorstellungen. 1. Von den intensiven unterscheiden sich die räum- Unter den möglichen Formen extensiver Vorstellungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0136" n="120"/><fw place="top" type="header">II. Die psychischen Gebilde.</fw><lb/> diese Unterschiede allerdings physikalischer und physiologischer<lb/> Erklärungsgründe. Der naheliegendste Versuch einer solchen<lb/> Erklärung liegt nun in einer angemessenen Ergänzung der Re-<lb/> sonanzhypothese. Nimmt man an, dass neben den den Klang<lb/> analysirenden Theilen des Gehörorgans, dem Resonanzapparat,<lb/> noch andere existiren, auf die die gesammte unzerlegte Klangmasse<lb/> einwirkt, und die nach den S. 49 erwähnten Beobachtungen an<lb/> labyrinthlosen Vögeln möglicher Weise die in den Knochenkanälen<lb/> des Labyrinths verlaufenden Hörnervenfasern selbst sein können,<lb/> so ist damit für die abweichende Wirkung jener Bedingungen ein<lb/> zureichendes physiologisches Substrat gegeben. Dazu kommt noch<lb/> die Existenz der die primären Töne an Intensität zuweilen weit<lb/> übertreffenden Stoßtöne (S. 116), sowie die Beobachtung, dass sich<lb/> die Intermissionen eines einzigen Tons bei zureichender Geschwin-<lb/> digkeit zu einer zweiten Tonempfindung verbinden können, That-<lb/> sachen die eine Ergänzung der Resonanzhypothese in ähnlichem<lb/> Sinne zu fordern scheinen.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">§ 10. Die räumlichen Vorstellungen.</hi> </head><lb/> <p>1. Von den intensiven unterscheiden sich die räum-<lb/> lichen und zeitlichen Vorstellungen unmittelbar dadurch,<lb/> dass ihre Theile nicht in beliebig vertauschbarer Weise,<lb/> sondern in einer fest bestimmten Ordnung mit einander<lb/> verbunden sind, so dass, wenn diese Ordnung verändert<lb/> gedacht wird, die Vorstellung selbst sich verändert. Vor-<lb/> stellungen mit solch fester Ordnung der Theile nennen wir<lb/> allgemein <hi rendition="#g">extensive</hi> Vorstellungen.</p><lb/> <p>Unter den möglichen Formen extensiver Vorstellungen<lb/> zeichnen sich nun die <hi rendition="#g">räumlichen</hi> wieder dadurch aus,<lb/> dass die feste Ordnung der Theile eines räumlichen Ge-<lb/> bildes nur eine <hi rendition="#g">wechselseitige</hi> ist, dass sie sich also<lb/> nicht auf das Verhältniss derselben zum vorstellenden Subject<lb/> bezieht. Vielmehr kann dieses Verhältniss beliebig verändert<lb/> gedacht werden. Diese objective Unabhängigkeit der räum-<lb/> lichen Vorstellungsgebilde von dem vorstellenden Subject<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0136]
II. Die psychischen Gebilde.
diese Unterschiede allerdings physikalischer und physiologischer
Erklärungsgründe. Der naheliegendste Versuch einer solchen
Erklärung liegt nun in einer angemessenen Ergänzung der Re-
sonanzhypothese. Nimmt man an, dass neben den den Klang
analysirenden Theilen des Gehörorgans, dem Resonanzapparat,
noch andere existiren, auf die die gesammte unzerlegte Klangmasse
einwirkt, und die nach den S. 49 erwähnten Beobachtungen an
labyrinthlosen Vögeln möglicher Weise die in den Knochenkanälen
des Labyrinths verlaufenden Hörnervenfasern selbst sein können,
so ist damit für die abweichende Wirkung jener Bedingungen ein
zureichendes physiologisches Substrat gegeben. Dazu kommt noch
die Existenz der die primären Töne an Intensität zuweilen weit
übertreffenden Stoßtöne (S. 116), sowie die Beobachtung, dass sich
die Intermissionen eines einzigen Tons bei zureichender Geschwin-
digkeit zu einer zweiten Tonempfindung verbinden können, That-
sachen die eine Ergänzung der Resonanzhypothese in ähnlichem
Sinne zu fordern scheinen.
§ 10. Die räumlichen Vorstellungen.
1. Von den intensiven unterscheiden sich die räum-
lichen und zeitlichen Vorstellungen unmittelbar dadurch,
dass ihre Theile nicht in beliebig vertauschbarer Weise,
sondern in einer fest bestimmten Ordnung mit einander
verbunden sind, so dass, wenn diese Ordnung verändert
gedacht wird, die Vorstellung selbst sich verändert. Vor-
stellungen mit solch fester Ordnung der Theile nennen wir
allgemein extensive Vorstellungen.
Unter den möglichen Formen extensiver Vorstellungen
zeichnen sich nun die räumlichen wieder dadurch aus,
dass die feste Ordnung der Theile eines räumlichen Ge-
bildes nur eine wechselseitige ist, dass sie sich also
nicht auf das Verhältniss derselben zum vorstellenden Subject
bezieht. Vielmehr kann dieses Verhältniss beliebig verändert
gedacht werden. Diese objective Unabhängigkeit der räum-
lichen Vorstellungsgebilde von dem vorstellenden Subject
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