Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 10. Die räumlichen Vorstellungen.
bezeichnen wir als Tiefenvorstellungen oder, wenn sie
zugleich Vorstellungen bestimmter einzelner Objecte sind,
als körperliche Vorstellungen.

29. Die auf die angegebene Weise entstandene Tiefen-
vorstellung ist nun eine nach objectiven und subjectiven
Bedingungen wechselnde. Die absolute Entfernungsbestim-
mung eines einzelnen im Sehfeld isolirten Punktes ist stets
eine sehr unsichere. Ebenso ist aber die relative Ent-
fernungsbestimmung zweier in verschiedener Tiefe gelegenen
Punkte a und b nur dann in der Regel sicher, wenn die-
selben, wie oben vorausgesetzt wurde, durch eine Linie ver-
bunden sind, auf der sich die Blickpunkte beider Augen bei
der wechselnden Einstellung auf a oder b bewegen können.
Bezeichnen wir solche Linien, die verschiedene Punkte im
Raum mit einander verbinden, als Fixationslinien, so
lässt sich diese Bedingung in dem Satze aussprechen: Punkte
im Raum werden im allgemeinen nur dann in ihren richtigen
Relationen zu einander aufgefasst, wenn sie durch Fixa-
tionslinien verbunden sind, auf denen sich die Blickpunkte
beider Augen bewegen können. Dieser Satz erklärt sich
daraus, dass die Bedingung einer regelmäßig verbundenen
Veränderung der Localzeichen der Netzhaut und der beglei-
tenden Convergenzempfindungen, wie wir sie oben (S. 157) für
die Entstehung der Tiefenvorstellung kennen lernten, offen-
bar nur dann erfüllt ist, wenn bestimmte Eindrücke gegeben
sind, welche die zugehörigen Localzeichen erwecken können.

30. Wenn nun aber die angegebene Bedingung nicht
erfüllt ist, sondern entweder nur eine unvollkommene und
unbestimmte Vorstellung der verschiedenen relativen Ent-
fernungen der zwei Punkte vom Subjecte entsteht, oder, was
allerdings nur bei starrer Fixation eines Punktes eintreten
kann, wenn die beiden Punkte in gleicher Tiefendistanz er-
scheinen, so tritt damit stets zugleich noch eine andere

§ 10. Die räumlichen Vorstellungen.
bezeichnen wir als Tiefenvorstellungen oder, wenn sie
zugleich Vorstellungen bestimmter einzelner Objecte sind,
als körperliche Vorstellungen.

29. Die auf die angegebene Weise entstandene Tiefen-
vorstellung ist nun eine nach objectiven und subjectiven
Bedingungen wechselnde. Die absolute Entfernungsbestim-
mung eines einzelnen im Sehfeld isolirten Punktes ist stets
eine sehr unsichere. Ebenso ist aber die relative Ent-
fernungsbestimmung zweier in verschiedener Tiefe gelegenen
Punkte a und b nur dann in der Regel sicher, wenn die-
selben, wie oben vorausgesetzt wurde, durch eine Linie ver-
bunden sind, auf der sich die Blickpunkte beider Augen bei
der wechselnden Einstellung auf a oder b bewegen können.
Bezeichnen wir solche Linien, die verschiedene Punkte im
Raum mit einander verbinden, als Fixationslinien, so
lässt sich diese Bedingung in dem Satze aussprechen: Punkte
im Raum werden im allgemeinen nur dann in ihren richtigen
Relationen zu einander aufgefasst, wenn sie durch Fixa-
tionslinien verbunden sind, auf denen sich die Blickpunkte
beider Augen bewegen können. Dieser Satz erklärt sich
daraus, dass die Bedingung einer regelmäßig verbundenen
Veränderung der Localzeichen der Netzhaut und der beglei-
tenden Convergenzempfindungen, wie wir sie oben (S. 157) für
die Entstehung der Tiefenvorstellung kennen lernten, offen-
bar nur dann erfüllt ist, wenn bestimmte Eindrücke gegeben
sind, welche die zugehörigen Localzeichen erwecken können.

30. Wenn nun aber die angegebene Bedingung nicht
erfüllt ist, sondern entweder nur eine unvollkommene und
unbestimmte Vorstellung der verschiedenen relativen Ent-
fernungen der zwei Punkte vom Subjecte entsteht, oder, was
allerdings nur bei starrer Fixation eines Punktes eintreten
kann, wenn die beiden Punkte in gleicher Tiefendistanz er-
scheinen, so tritt damit stets zugleich noch eine andere

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0175" n="159"/><fw place="top" type="header">§ 10. Die räumlichen Vorstellungen.</fw><lb/>
bezeichnen wir als <hi rendition="#g">Tiefenvorstellungen</hi> oder, wenn sie<lb/>
zugleich Vorstellungen bestimmter einzelner Objecte sind,<lb/>
als <hi rendition="#g">körperliche Vorstellungen</hi>.</p><lb/>
              <p>29. Die auf die angegebene Weise entstandene Tiefen-<lb/>
vorstellung ist nun eine nach objectiven und subjectiven<lb/>
Bedingungen wechselnde. Die absolute Entfernungsbestim-<lb/>
mung eines einzelnen im Sehfeld isolirten Punktes ist stets<lb/>
eine sehr unsichere. Ebenso ist aber die relative Ent-<lb/>
fernungsbestimmung zweier in verschiedener Tiefe gelegenen<lb/>
Punkte <hi rendition="#i">a</hi> und <hi rendition="#i">b</hi> nur dann in der Regel sicher, wenn die-<lb/>
selben, wie oben vorausgesetzt wurde, durch eine Linie ver-<lb/>
bunden sind, auf der sich die Blickpunkte beider Augen bei<lb/>
der wechselnden Einstellung auf <hi rendition="#i">a</hi> oder <hi rendition="#i">b</hi> bewegen können.<lb/>
Bezeichnen wir solche Linien, die verschiedene Punkte im<lb/>
Raum mit einander verbinden, als <hi rendition="#g">Fixationslinien</hi>, so<lb/>
lässt sich diese Bedingung in dem Satze aussprechen: Punkte<lb/>
im Raum werden im allgemeinen nur dann in ihren richtigen<lb/>
Relationen zu einander aufgefasst, wenn sie durch Fixa-<lb/>
tionslinien verbunden sind, auf denen sich die Blickpunkte<lb/>
beider Augen bewegen können. Dieser Satz erklärt sich<lb/>
daraus, dass die Bedingung einer regelmäßig verbundenen<lb/>
Veränderung der Localzeichen der Netzhaut und der beglei-<lb/>
tenden Convergenzempfindungen, wie wir sie oben (S. 157) für<lb/>
die Entstehung der Tiefenvorstellung kennen lernten, offen-<lb/>
bar nur dann erfüllt ist, wenn bestimmte Eindrücke gegeben<lb/>
sind, welche die zugehörigen Localzeichen erwecken können.</p><lb/>
              <p>30. Wenn nun aber die angegebene Bedingung nicht<lb/>
erfüllt ist, sondern entweder nur eine unvollkommene und<lb/>
unbestimmte Vorstellung der verschiedenen relativen Ent-<lb/>
fernungen der zwei Punkte vom Subjecte entsteht, oder, was<lb/>
allerdings nur bei starrer Fixation eines Punktes eintreten<lb/>
kann, wenn die beiden Punkte in gleicher Tiefendistanz er-<lb/>
scheinen, so tritt damit stets zugleich noch eine andere<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0175] § 10. Die räumlichen Vorstellungen. bezeichnen wir als Tiefenvorstellungen oder, wenn sie zugleich Vorstellungen bestimmter einzelner Objecte sind, als körperliche Vorstellungen. 29. Die auf die angegebene Weise entstandene Tiefen- vorstellung ist nun eine nach objectiven und subjectiven Bedingungen wechselnde. Die absolute Entfernungsbestim- mung eines einzelnen im Sehfeld isolirten Punktes ist stets eine sehr unsichere. Ebenso ist aber die relative Ent- fernungsbestimmung zweier in verschiedener Tiefe gelegenen Punkte a und b nur dann in der Regel sicher, wenn die- selben, wie oben vorausgesetzt wurde, durch eine Linie ver- bunden sind, auf der sich die Blickpunkte beider Augen bei der wechselnden Einstellung auf a oder b bewegen können. Bezeichnen wir solche Linien, die verschiedene Punkte im Raum mit einander verbinden, als Fixationslinien, so lässt sich diese Bedingung in dem Satze aussprechen: Punkte im Raum werden im allgemeinen nur dann in ihren richtigen Relationen zu einander aufgefasst, wenn sie durch Fixa- tionslinien verbunden sind, auf denen sich die Blickpunkte beider Augen bewegen können. Dieser Satz erklärt sich daraus, dass die Bedingung einer regelmäßig verbundenen Veränderung der Localzeichen der Netzhaut und der beglei- tenden Convergenzempfindungen, wie wir sie oben (S. 157) für die Entstehung der Tiefenvorstellung kennen lernten, offen- bar nur dann erfüllt ist, wenn bestimmte Eindrücke gegeben sind, welche die zugehörigen Localzeichen erwecken können. 30. Wenn nun aber die angegebene Bedingung nicht erfüllt ist, sondern entweder nur eine unvollkommene und unbestimmte Vorstellung der verschiedenen relativen Ent- fernungen der zwei Punkte vom Subjecte entsteht, oder, was allerdings nur bei starrer Fixation eines Punktes eintreten kann, wenn die beiden Punkte in gleicher Tiefendistanz er- scheinen, so tritt damit stets zugleich noch eine andere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/175
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/175>, abgerufen am 21.11.2024.