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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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II. Die psychischen Gebilde.
existirten absolut keine psychischen Inhalte, denen nicht
eine zeitliche Ordnung zukomme, während es sehr wohl
solche Inhalte ohne räumliche Ordnung geben könne.
Gleichwohl ist dieser Schluss von der größeren Allgemein-
heit der Bedingungen auf die größere Allgemeinheit des
Vorkommens der Zeitanschauungen ein irriger, der durch
die psychologische Beobachtung nicht bestätigt wird. Wie
wir räumliche Eigenschaften von unsern direct die Raum-
anschauung erzeugenden Sinnen auf die Empfindungen an-
derer Sinnesgebiete übertragen, so übertragen wir sie auch
vermittelst der Empfindungen und Vorstellungen auf die
Gefühle und Gemüthsbewegungen, mit denen jene unlös-
bar verbunden sind. Nicht minder lässt sich aber be-
zweifeln, ob den Gemüthsbewegungen an und für sich, ohne
die mit ihnen verbundenen Vorstellungen, jemals eine zeit-
liche Ordnung zukommen könnte; denn zu den Bedingungen
dieser Ordnung gehören auch hier gewisse Eigenschaften des
Empfindungssubstrates der Vorstellungen. Der richtige Sach-
verhalt ist vielmehr der, dass alle unsere Vorstellungen und
demgemäß, da Vorstellungen in jeden psychischen Inhalt
eingehen, überhaupt alle psychischen Inhalte räumlich und
zeitlich zugleich sind, dass aber die räumliche Ordnung von
bestimmten Empfindungssubstraten, beim Sehenden vom
Gesichts-, beim Blinden vom Tastsinn, ausgeht, während
sich die Zeitvorstellungen auf alle möglichen Empfindungs-
substrate beziehen können.

2. Gleich den räumlichen sind die zeitlichen Gebilde
den intensiven Vorstellungen gegenüber dadurch gekenn-
zeichnet, dass die Elemente, in die sie sich zerlegen lassen,
eine bestimmte, unverrückbare Ordnung aufweisen, so dass,
wenn sich diese Ordnung verändert, auch das gegebene
Gebilde trotz gleich bleibender Qualität seiner Componenten
ein anderes wird. Während sich aber bei den räumlichen

II. Die psychischen Gebilde.
existirten absolut keine psychischen Inhalte, denen nicht
eine zeitliche Ordnung zukomme, während es sehr wohl
solche Inhalte ohne räumliche Ordnung geben könne.
Gleichwohl ist dieser Schluss von der größeren Allgemein-
heit der Bedingungen auf die größere Allgemeinheit des
Vorkommens der Zeitanschauungen ein irriger, der durch
die psychologische Beobachtung nicht bestätigt wird. Wie
wir räumliche Eigenschaften von unsern direct die Raum-
anschauung erzeugenden Sinnen auf die Empfindungen an-
derer Sinnesgebiete übertragen, so übertragen wir sie auch
vermittelst der Empfindungen und Vorstellungen auf die
Gefühle und Gemüthsbewegungen, mit denen jene unlös-
bar verbunden sind. Nicht minder lässt sich aber be-
zweifeln, ob den Gemüthsbewegungen an und für sich, ohne
die mit ihnen verbundenen Vorstellungen, jemals eine zeit-
liche Ordnung zukommen könnte; denn zu den Bedingungen
dieser Ordnung gehören auch hier gewisse Eigenschaften des
Empfindungssubstrates der Vorstellungen. Der richtige Sach-
verhalt ist vielmehr der, dass alle unsere Vorstellungen und
demgemäß, da Vorstellungen in jeden psychischen Inhalt
eingehen, überhaupt alle psychischen Inhalte räumlich und
zeitlich zugleich sind, dass aber die räumliche Ordnung von
bestimmten Empfindungssubstraten, beim Sehenden vom
Gesichts-, beim Blinden vom Tastsinn, ausgeht, während
sich die Zeitvorstellungen auf alle möglichen Empfindungs-
substrate beziehen können.

2. Gleich den räumlichen sind die zeitlichen Gebilde
den intensiven Vorstellungen gegenüber dadurch gekenn-
zeichnet, dass die Elemente, in die sie sich zerlegen lassen,
eine bestimmte, unverrückbare Ordnung aufweisen, so dass,
wenn sich diese Ordnung verändert, auch das gegebene
Gebilde trotz gleich bleibender Qualität seiner Componenten
ein anderes wird. Während sich aber bei den räumlichen

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[168/0184] II. Die psychischen Gebilde. existirten absolut keine psychischen Inhalte, denen nicht eine zeitliche Ordnung zukomme, während es sehr wohl solche Inhalte ohne räumliche Ordnung geben könne. Gleichwohl ist dieser Schluss von der größeren Allgemein- heit der Bedingungen auf die größere Allgemeinheit des Vorkommens der Zeitanschauungen ein irriger, der durch die psychologische Beobachtung nicht bestätigt wird. Wie wir räumliche Eigenschaften von unsern direct die Raum- anschauung erzeugenden Sinnen auf die Empfindungen an- derer Sinnesgebiete übertragen, so übertragen wir sie auch vermittelst der Empfindungen und Vorstellungen auf die Gefühle und Gemüthsbewegungen, mit denen jene unlös- bar verbunden sind. Nicht minder lässt sich aber be- zweifeln, ob den Gemüthsbewegungen an und für sich, ohne die mit ihnen verbundenen Vorstellungen, jemals eine zeit- liche Ordnung zukommen könnte; denn zu den Bedingungen dieser Ordnung gehören auch hier gewisse Eigenschaften des Empfindungssubstrates der Vorstellungen. Der richtige Sach- verhalt ist vielmehr der, dass alle unsere Vorstellungen und demgemäß, da Vorstellungen in jeden psychischen Inhalt eingehen, überhaupt alle psychischen Inhalte räumlich und zeitlich zugleich sind, dass aber die räumliche Ordnung von bestimmten Empfindungssubstraten, beim Sehenden vom Gesichts-, beim Blinden vom Tastsinn, ausgeht, während sich die Zeitvorstellungen auf alle möglichen Empfindungs- substrate beziehen können. 2. Gleich den räumlichen sind die zeitlichen Gebilde den intensiven Vorstellungen gegenüber dadurch gekenn- zeichnet, dass die Elemente, in die sie sich zerlegen lassen, eine bestimmte, unverrückbare Ordnung aufweisen, so dass, wenn sich diese Ordnung verändert, auch das gegebene Gebilde trotz gleich bleibender Qualität seiner Componenten ein anderes wird. Während sich aber bei den räumlichen

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/184>, abgerufen am 21.11.2024.