Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.§ 11. Die zeitlichen Vorstellungen. dingenden Empfindungen und Gefühle ausübt, so verräthsich nun der nämliche Einfluss nicht minder in den Ver- änderungen, die unsere Vorstellung einer Zeitstrecke er- fährt, wenn bei unverändert bleibender objectiver Größe derselben die Bedingungen ihrer Auffassung variirt werden. So beobachtet man, dass im allgemeinen eine eingetheilte Zeit größer geschätzt wird als eine nicht eingetheilte, ana- log der bei der Eintheilung von Raumstrecken beobachteten Täuschung (S. 147). Der Unterschied ist aber bei der Zeit im allgemeinen viel größer, was offenbar davon herrührt, dass hier der öfter wiederholte Empfindungs- und Gefühls- wechsel innerhalb einer Zeitperiode eine viel eingreifendere Wirkung ausübt als bei der ähnlichen Raumtäuschung die Unterbrechung der Bewegung durch Theilungspunkte. Zeich- net man ferner in einer größeren regelmäßigen Taktfolge einzelne Eindrücke durch größere Intensität oder durch irgend einen qualitativen Unterschied aus, so hat das regel- mäßig die Wirkung, dass die dem ausgezeichneten Eindruck vorausgehende und die ihm nachfolgende Zeitstrecke über- schätzt werden im Vergleich mit den andern Zeitstrecken der nämlichen Taktfolge. Erzeugt man dagegen eine be- stimmte Taktfolge abwechselnd mit schwachen und mit starken Taktschlägen, so scheint bei den ersteren die Auf- einanderfolge langsamer zu sein als bei den letzteren. Auch diese Erscheinungen erklären sich aus dem Ein- Wundt, Psychologie. 12
§ 11. Die zeitlichen Vorstellungen. dingenden Empfindungen und Gefühle ausübt, so verräthsich nun der nämliche Einfluss nicht minder in den Ver- änderungen, die unsere Vorstellung einer Zeitstrecke er- fährt, wenn bei unverändert bleibender objectiver Größe derselben die Bedingungen ihrer Auffassung variirt werden. So beobachtet man, dass im allgemeinen eine eingetheilte Zeit größer geschätzt wird als eine nicht eingetheilte, ana- log der bei der Eintheilung von Raumstrecken beobachteten Täuschung (S. 147). Der Unterschied ist aber bei der Zeit im allgemeinen viel größer, was offenbar davon herrührt, dass hier der öfter wiederholte Empfindungs- und Gefühls- wechsel innerhalb einer Zeitperiode eine viel eingreifendere Wirkung ausübt als bei der ähnlichen Raumtäuschung die Unterbrechung der Bewegung durch Theilungspunkte. Zeich- net man ferner in einer größeren regelmäßigen Taktfolge einzelne Eindrücke durch größere Intensität oder durch irgend einen qualitativen Unterschied aus, so hat das regel- mäßig die Wirkung, dass die dem ausgezeichneten Eindruck vorausgehende und die ihm nachfolgende Zeitstrecke über- schätzt werden im Vergleich mit den andern Zeitstrecken der nämlichen Taktfolge. Erzeugt man dagegen eine be- stimmte Taktfolge abwechselnd mit schwachen und mit starken Taktschlägen, so scheint bei den ersteren die Auf- einanderfolge langsamer zu sein als bei den letzteren. Auch diese Erscheinungen erklären sich aus dem Ein- Wundt, Psychologie. 12
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§ 11. Die zeitlichen Vorstellungen.
dingenden Empfindungen und Gefühle ausübt, so verräth
sich nun der nämliche Einfluss nicht minder in den Ver-
änderungen, die unsere Vorstellung einer Zeitstrecke er-
fährt, wenn bei unverändert bleibender objectiver Größe
derselben die Bedingungen ihrer Auffassung variirt werden.
So beobachtet man, dass im allgemeinen eine eingetheilte
Zeit größer geschätzt wird als eine nicht eingetheilte, ana-
log der bei der Eintheilung von Raumstrecken beobachteten
Täuschung (S. 147). Der Unterschied ist aber bei der Zeit
im allgemeinen viel größer, was offenbar davon herrührt,
dass hier der öfter wiederholte Empfindungs- und Gefühls-
wechsel innerhalb einer Zeitperiode eine viel eingreifendere
Wirkung ausübt als bei der ähnlichen Raumtäuschung die
Unterbrechung der Bewegung durch Theilungspunkte. Zeich-
net man ferner in einer größeren regelmäßigen Taktfolge
einzelne Eindrücke durch größere Intensität oder durch
irgend einen qualitativen Unterschied aus, so hat das regel-
mäßig die Wirkung, dass die dem ausgezeichneten Eindruck
vorausgehende und die ihm nachfolgende Zeitstrecke über-
schätzt werden im Vergleich mit den andern Zeitstrecken
der nämlichen Taktfolge. Erzeugt man dagegen eine be-
stimmte Taktfolge abwechselnd mit schwachen und mit
starken Taktschlägen, so scheint bei den ersteren die Auf-
einanderfolge langsamer zu sein als bei den letzteren.
Auch diese Erscheinungen erklären sich aus dem Ein-
fluss des Empfindungs- und Gefühlswechsels. Ein vor den
übrigen ausgezeichneter Eindruck fordert eine Veränderung
in dem seiner Auffassung vorausgehenden Empfindungs- und
namentlich Gefühlsverlauf, indem eine intensivere Erwar-
tungsspannung und ihr entsprechend auch ein stärkeres Ge-
fühl der Lösung dieser Spannung oder der Erfüllung ein-
treten muss. Jenes verlängert aber die dem Eindruck
vorausgehende, dieses die ihm nachfolgende Zeitstrecke.
Wundt, Psychologie. 12
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