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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 11. Die zeitlichen Vorstellungen.
Gefühlsvorgängen zum Ausdruck kommen, ihre Grundlage
hat. Das den unmittelbar gegenwärtigen Eindruck beglei-
tende Momentangefühl ist zugleich dasjenige, welches diesem
gegenwärtigen Eindruck zur schärfsten Auffassung verhilft.
Wir können demnach den dem unmittelbaren Eindruck ent-
sprechenden Theil einer zeitlichen Vorstellung den Blick-
punkt dieser Vorstellung
oder auch allgemein, insofern
dieser nicht, wie der Blickpunkt der räumlichen Vorstellungen
von äußeren Organisationsbedingungen abhängt, bildlich den
inneren Blickpunkt nennen. Sonach bezeichnet der
innere Blickpunkt denjenigen Theil einer zeitlichen Vor-
stellung, der dem am klarsten vorgestellten unmittelbar
gegenwärtigen Eindruck entspricht. Die außerhalb dieses
Blickpunktes gelegenen Eindrücke, d. h. die dem unmittel-
baren Eindruck vorangegangenen, sind dann die indirect
wahrgenommenen. Sie sind zum Blickpunkt in einer Stufen-
folge abnehmender Klarheit geordnet. Eine einheitliche
zeitliche Vorstellung ist aber nur so lange möglich, als
nicht der Klarheitsgrad einzelner ihrer Elemente null ge-
worden ist. Sobald dies geschieht, so zerfällt die Vorstel-
lung in ihre Bestandtheile.

12. Von den äußeren Blickpunkten der räumlichen
unterscheidet sich hiernach der innere der zeitlichen Sinne
wesentlich dadurch, dass er in erster Linie nicht durch
Empfindungs- sondern durch Gefühlselemente charak-
terisirt ist. Indem diese Gefühlselemente unablässig in
Folge der wechselnden Bedingungen des psychischen Lebens
sich ändern, gewinnt der innere Blickpunkt jene Eigenschaft
fortwährender Veränderung, die wir als das stetige Flie-
ßen
der Zeit bezeichnen. Unter diesem Fließen versteht
man eben die Eigenschaft, dass kein Zeitmoment dem an-
dern gleich ist, also auch keiner als der nämliche wieder-
kehren kann. (Vgl. oben S. 169, 2a.) Zugleich hängt damit die

§ 11. Die zeitlichen Vorstellungen.
Gefühlsvorgängen zum Ausdruck kommen, ihre Grundlage
hat. Das den unmittelbar gegenwärtigen Eindruck beglei-
tende Momentangefühl ist zugleich dasjenige, welches diesem
gegenwärtigen Eindruck zur schärfsten Auffassung verhilft.
Wir können demnach den dem unmittelbaren Eindruck ent-
sprechenden Theil einer zeitlichen Vorstellung den Blick-
punkt dieser Vorstellung
oder auch allgemein, insofern
dieser nicht, wie der Blickpunkt der räumlichen Vorstellungen
von äußeren Organisationsbedingungen abhängt, bildlich den
inneren Blickpunkt nennen. Sonach bezeichnet der
innere Blickpunkt denjenigen Theil einer zeitlichen Vor-
stellung, der dem am klarsten vorgestellten unmittelbar
gegenwärtigen Eindruck entspricht. Die außerhalb dieses
Blickpunktes gelegenen Eindrücke, d. h. die dem unmittel-
baren Eindruck vorangegangenen, sind dann die indirect
wahrgenommenen. Sie sind zum Blickpunkt in einer Stufen-
folge abnehmender Klarheit geordnet. Eine einheitliche
zeitliche Vorstellung ist aber nur so lange möglich, als
nicht der Klarheitsgrad einzelner ihrer Elemente null ge-
worden ist. Sobald dies geschieht, so zerfällt die Vorstel-
lung in ihre Bestandtheile.

12. Von den äußeren Blickpunkten der räumlichen
unterscheidet sich hiernach der innere der zeitlichen Sinne
wesentlich dadurch, dass er in erster Linie nicht durch
Empfindungs- sondern durch Gefühlselemente charak-
terisirt ist. Indem diese Gefühlselemente unablässig in
Folge der wechselnden Bedingungen des psychischen Lebens
sich ändern, gewinnt der innere Blickpunkt jene Eigenschaft
fortwährender Veränderung, die wir als das stetige Flie-
ßen
der Zeit bezeichnen. Unter diesem Fließen versteht
man eben die Eigenschaft, dass kein Zeitmoment dem an-
dern gleich ist, also auch keiner als der nämliche wieder-
kehren kann. (Vgl. oben S. 169, 2a.) Zugleich hängt damit die

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[183/0199] § 11. Die zeitlichen Vorstellungen. Gefühlsvorgängen zum Ausdruck kommen, ihre Grundlage hat. Das den unmittelbar gegenwärtigen Eindruck beglei- tende Momentangefühl ist zugleich dasjenige, welches diesem gegenwärtigen Eindruck zur schärfsten Auffassung verhilft. Wir können demnach den dem unmittelbaren Eindruck ent- sprechenden Theil einer zeitlichen Vorstellung den Blick- punkt dieser Vorstellung oder auch allgemein, insofern dieser nicht, wie der Blickpunkt der räumlichen Vorstellungen von äußeren Organisationsbedingungen abhängt, bildlich den inneren Blickpunkt nennen. Sonach bezeichnet der innere Blickpunkt denjenigen Theil einer zeitlichen Vor- stellung, der dem am klarsten vorgestellten unmittelbar gegenwärtigen Eindruck entspricht. Die außerhalb dieses Blickpunktes gelegenen Eindrücke, d. h. die dem unmittel- baren Eindruck vorangegangenen, sind dann die indirect wahrgenommenen. Sie sind zum Blickpunkt in einer Stufen- folge abnehmender Klarheit geordnet. Eine einheitliche zeitliche Vorstellung ist aber nur so lange möglich, als nicht der Klarheitsgrad einzelner ihrer Elemente null ge- worden ist. Sobald dies geschieht, so zerfällt die Vorstel- lung in ihre Bestandtheile. 12. Von den äußeren Blickpunkten der räumlichen unterscheidet sich hiernach der innere der zeitlichen Sinne wesentlich dadurch, dass er in erster Linie nicht durch Empfindungs- sondern durch Gefühlselemente charak- terisirt ist. Indem diese Gefühlselemente unablässig in Folge der wechselnden Bedingungen des psychischen Lebens sich ändern, gewinnt der innere Blickpunkt jene Eigenschaft fortwährender Veränderung, die wir als das stetige Flie- ßen der Zeit bezeichnen. Unter diesem Fließen versteht man eben die Eigenschaft, dass kein Zeitmoment dem an- dern gleich ist, also auch keiner als der nämliche wieder- kehren kann. (Vgl. oben S. 169, 2a.) Zugleich hängt damit die

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/199>, abgerufen am 09.11.2024.