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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
Wesentlich anders verhält sich dies mit der durch centrale
Hyperästhesie hervorgerufenen relativen Steigerung der
Empfindungsintensität. Ihre Wirkung ist namentlich des-
halb eine sehr eingreifende, weil durch sie reproductive
Empfindungselemente die Stärke äußerer Sinneseindrücke
erreichen können. In Folge dessen kann es geschehen, dass
entweder reine Erinnerungsbilder als Wahrnehmungen ob-
jectivirt werden: Hallucinationen; oder dass, wenn
direct erregte und reproductive Elemente sich verbinden,
durch die Intensität der letzteren der Sinneseindruck wesent-
lich verändert erscheint: phantastische Illusionen1). Prak-
tisch sind beide nur insofern zu unterscheiden, als sich
zwar in sehr vielen Fällen bestimmte Vorstellungen als
phantastische Illusionen nachweisen lassen, wogegen das
Vorhandensein einer reinen Hallucination fast immer zwei-
felhaft bleibt, da irgend welche directe Empfindungselemente
sehr leicht übersehen werden können. In der That ist es
nicht unwahrscheinlich, dass weitaus die meisten so ge-
nannten Hallucinationen Illusionen sind. Die letzteren aber
gehören ihrer psychologischen Natur nach durchaus zu den
Assimilationen (S. 267 ff). Sie können geradezu als Assi-
milationen mit starkem Uebergewicht der reproductiven
Elemente definirt werden. Wie die normalen Assimilationen
mit den successiven Associationen in nahem Zusammenhang
stehen, so sind daher auch die phantastischen Illusionen mit
den unten (5) zu besprechenden Veränderungen des associa-
tiven Vorstellungsverlaufs auf das engste verknüpft.

4. Bei den zusammengesetzten Gefühls- und Willens-

1) Den Ausdruck "phantastische Illusionen" wählt man, wenn
diese Art der Illusionen von den bei normalem Bewusstseinszustand
vorkommenden Sinnestäuschungen, wie z. B. der Strahlenfigur der
Sterne in Folge der Lichtzerstreuung in der Krystalllinse, der ver-
schiedenen scheinbaren Größe von Sonne und Mond am Horizont
und Zenith u. s. w., unterschieden werden soll.

III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
Wesentlich anders verhält sich dies mit der durch centrale
Hyperästhesie hervorgerufenen relativen Steigerung der
Empfindungsintensität. Ihre Wirkung ist namentlich des-
halb eine sehr eingreifende, weil durch sie reproductive
Empfindungselemente die Stärke äußerer Sinneseindrücke
erreichen können. In Folge dessen kann es geschehen, dass
entweder reine Erinnerungsbilder als Wahrnehmungen ob-
jectivirt werden: Hallucinationen; oder dass, wenn
direct erregte und reproductive Elemente sich verbinden,
durch die Intensität der letzteren der Sinneseindruck wesent-
lich verändert erscheint: phantastische Illusionen1). Prak-
tisch sind beide nur insofern zu unterscheiden, als sich
zwar in sehr vielen Fällen bestimmte Vorstellungen als
phantastische Illusionen nachweisen lassen, wogegen das
Vorhandensein einer reinen Hallucination fast immer zwei-
felhaft bleibt, da irgend welche directe Empfindungselemente
sehr leicht übersehen werden können. In der That ist es
nicht unwahrscheinlich, dass weitaus die meisten so ge-
nannten Hallucinationen Illusionen sind. Die letzteren aber
gehören ihrer psychologischen Natur nach durchaus zu den
Assimilationen (S. 267 ff). Sie können geradezu als Assi-
milationen mit starkem Uebergewicht der reproductiven
Elemente definirt werden. Wie die normalen Assimilationen
mit den successiven Associationen in nahem Zusammenhang
stehen, so sind daher auch die phantastischen Illusionen mit
den unten (5) zu besprechenden Veränderungen des associa-
tiven Vorstellungsverlaufs auf das engste verknüpft.

4. Bei den zusammengesetzten Gefühls- und Willens-

1) Den Ausdruck »phantastische Illusionen« wählt man, wenn
diese Art der Illusionen von den bei normalem Bewusstseinszustand
vorkommenden Sinnestäuschungen, wie z. B. der Strahlenfigur der
Sterne in Folge der Lichtzerstreuung in der Krystalllinse, der ver-
schiedenen scheinbaren Größe von Sonne und Mond am Horizont
und Zenith u. s. w., unterschieden werden soll.
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[316/0332] III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde. Wesentlich anders verhält sich dies mit der durch centrale Hyperästhesie hervorgerufenen relativen Steigerung der Empfindungsintensität. Ihre Wirkung ist namentlich des- halb eine sehr eingreifende, weil durch sie reproductive Empfindungselemente die Stärke äußerer Sinneseindrücke erreichen können. In Folge dessen kann es geschehen, dass entweder reine Erinnerungsbilder als Wahrnehmungen ob- jectivirt werden: Hallucinationen; oder dass, wenn direct erregte und reproductive Elemente sich verbinden, durch die Intensität der letzteren der Sinneseindruck wesent- lich verändert erscheint: phantastische Illusionen 1). Prak- tisch sind beide nur insofern zu unterscheiden, als sich zwar in sehr vielen Fällen bestimmte Vorstellungen als phantastische Illusionen nachweisen lassen, wogegen das Vorhandensein einer reinen Hallucination fast immer zwei- felhaft bleibt, da irgend welche directe Empfindungselemente sehr leicht übersehen werden können. In der That ist es nicht unwahrscheinlich, dass weitaus die meisten so ge- nannten Hallucinationen Illusionen sind. Die letzteren aber gehören ihrer psychologischen Natur nach durchaus zu den Assimilationen (S. 267 ff). Sie können geradezu als Assi- milationen mit starkem Uebergewicht der reproductiven Elemente definirt werden. Wie die normalen Assimilationen mit den successiven Associationen in nahem Zusammenhang stehen, so sind daher auch die phantastischen Illusionen mit den unten (5) zu besprechenden Veränderungen des associa- tiven Vorstellungsverlaufs auf das engste verknüpft. 4. Bei den zusammengesetzten Gefühls- und Willens- 1) Den Ausdruck »phantastische Illusionen« wählt man, wenn diese Art der Illusionen von den bei normalem Bewusstseinszustand vorkommenden Sinnestäuschungen, wie z. B. der Strahlenfigur der Sterne in Folge der Lichtzerstreuung in der Krystalllinse, der ver- schiedenen scheinbaren Größe von Sonne und Mond am Horizont und Zenith u. s. w., unterschieden werden soll.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/332>, abgerufen am 24.11.2024.