Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.Einleitung. schon dem einzelnen Menschen zukommenden psychischenEigenschaften haben. Wegen dieser Gebundenheit an die Gemeinschaft, speciell an die Volksgemeinschaft, pflegt man das ganze Gebiet dieser psychologischen Untersuchung der Geisteserzeugnisse als Völkerpsychologie zu bezeichnen und der individuellen oder, wie sie nach der in ihr vor- herrschenden Methode auch genannt werden kann, experi- mentellen Psychologie gegenüberzustellen. Obgleich nun bei dem heutigen Zustande der Wissenschaft diese beiden Theile der Psychologie zumeist noch in getrennten Dar- stellungen behandelt werden, so bilden sie doch nicht sowohl verschiedene Gebiete als vielmehr verschiedene Methoden, wobei die sogenannte Völkerpsychologie der Methode reiner Beobachtung entspricht, nur dadurch ausgezeichnet, dass in diesem Fall geistige Erzeugnisse die Objecte der Beobachtung sind. Die Gebundenheit dieser Erzeugnisse an geistige Ge- meinschaften, die der Völkerpsychologie ihren Namen ge- geben hat, entspringt aber aus der Nebenbedingung, dass die individuellen Geisteserzeugnisse von allzu veränderlicher Be- schaffenheit sind, um sie einer objectiven Beobachtung zu- gänglich zu machen, und dass also hier die Erscheinungen erst dann die erforderliche Constanz annehmen, wenn sie zu Collectiv- oder Massenerscheinungen werden. Demnach verfügt die Psychologie, ähnlich der Natur- 3a. Da die Anwendung der experimentellen Methode in der Einleitung. schon dem einzelnen Menschen zukommenden psychischenEigenschaften haben. Wegen dieser Gebundenheit an die Gemeinschaft, speciell an die Volksgemeinschaft, pflegt man das ganze Gebiet dieser psychologischen Untersuchung der Geisteserzeugnisse als Völkerpsychologie zu bezeichnen und der individuellen oder, wie sie nach der in ihr vor- herrschenden Methode auch genannt werden kann, experi- mentellen Psychologie gegenüberzustellen. Obgleich nun bei dem heutigen Zustande der Wissenschaft diese beiden Theile der Psychologie zumeist noch in getrennten Dar- stellungen behandelt werden, so bilden sie doch nicht sowohl verschiedene Gebiete als vielmehr verschiedene Methoden, wobei die sogenannte Völkerpsychologie der Methode reiner Beobachtung entspricht, nur dadurch ausgezeichnet, dass in diesem Fall geistige Erzeugnisse die Objecte der Beobachtung sind. Die Gebundenheit dieser Erzeugnisse an geistige Ge- meinschaften, die der Völkerpsychologie ihren Namen ge- geben hat, entspringt aber aus der Nebenbedingung, dass die individuellen Geisteserzeugnisse von allzu veränderlicher Be- schaffenheit sind, um sie einer objectiven Beobachtung zu- gänglich zu machen, und dass also hier die Erscheinungen erst dann die erforderliche Constanz annehmen, wenn sie zu Collectiv- oder Massenerscheinungen werden. Demnach verfügt die Psychologie, ähnlich der Natur- 3a. Da die Anwendung der experimentellen Methode in der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0044" n="28"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/> schon dem einzelnen Menschen zukommenden psychischen<lb/> Eigenschaften haben. 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Einleitung.
schon dem einzelnen Menschen zukommenden psychischen
Eigenschaften haben. Wegen dieser Gebundenheit an die
Gemeinschaft, speciell an die Volksgemeinschaft, pflegt man
das ganze Gebiet dieser psychologischen Untersuchung der
Geisteserzeugnisse als Völkerpsychologie zu bezeichnen
und der individuellen oder, wie sie nach der in ihr vor-
herrschenden Methode auch genannt werden kann, experi-
mentellen Psychologie gegenüberzustellen. Obgleich nun
bei dem heutigen Zustande der Wissenschaft diese beiden
Theile der Psychologie zumeist noch in getrennten Dar-
stellungen behandelt werden, so bilden sie doch nicht sowohl
verschiedene Gebiete als vielmehr verschiedene Methoden,
wobei die sogenannte Völkerpsychologie der Methode reiner
Beobachtung entspricht, nur dadurch ausgezeichnet, dass in
diesem Fall geistige Erzeugnisse die Objecte der Beobachtung
sind. Die Gebundenheit dieser Erzeugnisse an geistige Ge-
meinschaften, die der Völkerpsychologie ihren Namen ge-
geben hat, entspringt aber aus der Nebenbedingung, dass die
individuellen Geisteserzeugnisse von allzu veränderlicher Be-
schaffenheit sind, um sie einer objectiven Beobachtung zu-
gänglich zu machen, und dass also hier die Erscheinungen
erst dann die erforderliche Constanz annehmen, wenn sie zu
Collectiv- oder Massenerscheinungen werden.
Demnach verfügt die Psychologie, ähnlich der Natur-
wissenschaft, über zwei exacte Methoden: die erste, die ex-
perimentelle Methode, dient der Analyse der einfacheren
psychischen Vorgänge; die zweite, die Beobachtung der all-
gemeingültigen Geisteserzeugnisse, dient der Untersuchung
der höheren psychischen Vorgänge und Entwicklungen.
3a. Da die Anwendung der experimentellen Methode in der
Psychologie ursprünglich aus den in der Physiologie, nament-
lich der Physiologie der Sinnesorgane und des Nervensystems,
geübten Verfahrungsweisen hervorgegangen ist, so pflegt man
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