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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 3. Methoden der Psychologie.
reactionen verbunden sind. Demnach gibt es keinen der
fundamentaleren psychischen Vorgänge, auf den nicht die
experimentelle Methode anwendbar, und deshalb zugleich
keinen, bei dessen Untersuchung sie nicht aus logischen
Gründen gefordert wäre.

3. Dagegen ist die reine Beobachtung, wie sie in
vielen Gebieten der Naturwissenschaft möglich ist, innerhalb
der individuellen Psychologie im exacten Sinne nach dem
ganzen Charakter des psychischen Geschehens unmöglich.
Sie wäre nur denkbar, wenn es ähnliche beharrende und
von unserer Aufmerksamkeit unabhängige psychische Objecte
gäbe, wie es relativ beharrende und durch unsere Beobach-
tung nicht zu verändernde Naturobjecte gibt. Nichts desto
weniger stehen auch der Psychologie Thatsachen zu Gebote.
die, obgleich sie nicht wirkliche Gegenstände sind, doch in-
sofern den Charakter psychischer Objecte besitzen, als ihnen
eben jene Merkmale der relativ beharrenden Beschaffenheit
und der Unabhängigkeit von dem Beobachter zukommen:
und mit dieser verbinden sie überdies noch die andere
Eigenschaft, dass sie einer experimentellen Einwirkung im
gewöhnlichen Sinne unzugänglich sind. Diese Thatsachen
sind die geschichtlich entstandenen geistigen Erzeug-
nisse
, wie die Sprache, die mythologischen Vorstellungen,
die Sitten. Ihr Ursprung und ihre Entwicklung beruhen
überall auf allgemeinen psychischen Bedingungen, auf die
sich aus ihren objectiven Eigenschaften zurückschließen lässt.
In Folge dessen vermag dann aber die psychologische Ana-
lyse dieser Erzeugnisse über die bei ihrer Entstehung und
Entwicklung wirksamen psychischen Vorgänge Aufschluss zu
geben. Alle solche Geisteserzeugnisse von allgemeingültiger
Beschaffenheit setzen übrigens als Bedingung die Existenz
einer geistigen Gemeinschaft vieler Individuen voraus,
wenn sie auch selbstverständlich ihre letzten Quellen in den

§ 3. Methoden der Psychologie.
reactionen verbunden sind. Demnach gibt es keinen der
fundamentaleren psychischen Vorgänge, auf den nicht die
experimentelle Methode anwendbar, und deshalb zugleich
keinen, bei dessen Untersuchung sie nicht aus logischen
Gründen gefordert wäre.

3. Dagegen ist die reine Beobachtung, wie sie in
vielen Gebieten der Naturwissenschaft möglich ist, innerhalb
der individuellen Psychologie im exacten Sinne nach dem
ganzen Charakter des psychischen Geschehens unmöglich.
Sie wäre nur denkbar, wenn es ähnliche beharrende und
von unserer Aufmerksamkeit unabhängige psychische Objecte
gäbe, wie es relativ beharrende und durch unsere Beobach-
tung nicht zu verändernde Naturobjecte gibt. Nichts desto
weniger stehen auch der Psychologie Thatsachen zu Gebote.
die, obgleich sie nicht wirkliche Gegenstände sind, doch in-
sofern den Charakter psychischer Objecte besitzen, als ihnen
eben jene Merkmale der relativ beharrenden Beschaffenheit
und der Unabhängigkeit von dem Beobachter zukommen:
und mit dieser verbinden sie überdies noch die andere
Eigenschaft, dass sie einer experimentellen Einwirkung im
gewöhnlichen Sinne unzugänglich sind. Diese Thatsachen
sind die geschichtlich entstandenen geistigen Erzeug-
nisse
, wie die Sprache, die mythologischen Vorstellungen,
die Sitten. Ihr Ursprung und ihre Entwicklung beruhen
überall auf allgemeinen psychischen Bedingungen, auf die
sich aus ihren objectiven Eigenschaften zurückschließen lässt.
In Folge dessen vermag dann aber die psychologische Ana-
lyse dieser Erzeugnisse über die bei ihrer Entstehung und
Entwicklung wirksamen psychischen Vorgänge Aufschluss zu
geben. Alle solche Geisteserzeugnisse von allgemeingültiger
Beschaffenheit setzen übrigens als Bedingung die Existenz
einer geistigen Gemeinschaft vieler Individuen voraus,
wenn sie auch selbstverständlich ihre letzten Quellen in den

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[27/0043] § 3. Methoden der Psychologie. reactionen verbunden sind. Demnach gibt es keinen der fundamentaleren psychischen Vorgänge, auf den nicht die experimentelle Methode anwendbar, und deshalb zugleich keinen, bei dessen Untersuchung sie nicht aus logischen Gründen gefordert wäre. 3. Dagegen ist die reine Beobachtung, wie sie in vielen Gebieten der Naturwissenschaft möglich ist, innerhalb der individuellen Psychologie im exacten Sinne nach dem ganzen Charakter des psychischen Geschehens unmöglich. Sie wäre nur denkbar, wenn es ähnliche beharrende und von unserer Aufmerksamkeit unabhängige psychische Objecte gäbe, wie es relativ beharrende und durch unsere Beobach- tung nicht zu verändernde Naturobjecte gibt. Nichts desto weniger stehen auch der Psychologie Thatsachen zu Gebote. die, obgleich sie nicht wirkliche Gegenstände sind, doch in- sofern den Charakter psychischer Objecte besitzen, als ihnen eben jene Merkmale der relativ beharrenden Beschaffenheit und der Unabhängigkeit von dem Beobachter zukommen: und mit dieser verbinden sie überdies noch die andere Eigenschaft, dass sie einer experimentellen Einwirkung im gewöhnlichen Sinne unzugänglich sind. Diese Thatsachen sind die geschichtlich entstandenen geistigen Erzeug- nisse, wie die Sprache, die mythologischen Vorstellungen, die Sitten. Ihr Ursprung und ihre Entwicklung beruhen überall auf allgemeinen psychischen Bedingungen, auf die sich aus ihren objectiven Eigenschaften zurückschließen lässt. In Folge dessen vermag dann aber die psychologische Ana- lyse dieser Erzeugnisse über die bei ihrer Entstehung und Entwicklung wirksamen psychischen Vorgänge Aufschluss zu geben. Alle solche Geisteserzeugnisse von allgemeingültiger Beschaffenheit setzen übrigens als Bedingung die Existenz einer geistigen Gemeinschaft vieler Individuen voraus, wenn sie auch selbstverständlich ihre letzten Quellen in den

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/43>, abgerufen am 23.11.2024.