Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.Einleitung. Wahrnehmungen äußerer Gegenstände, Erinnerungen an solcheWahrnehmungen, Gefühle, Affecte, Willensacte sind nicht nur fortwährend in der mannigfaltigsten Weise mit einander verbunden, sondern jeder dieser Vorgänge ist regelmäßig selbst wieder ein mehr oder weniger zusammengesetztes Ganzes. Die Vorstellung eines äußeren Körpers z. B. besteht aus den Partialvorstellungen seiner Theile. Einen noch so einfachen Ton verlegen wir in irgend eine räumliche Rich- tung; wir bringen ihn also in Verbindung mit der selbst wieder höchst zusammengesetzten Vorstellung des äußeren Raumes. Ein Gefühl, ein Wollen beziehen wir auf irgend eine Empfindung, die das Gefühl erregt, auf ein Object, das gewollt wird, u. s. w. Einem derartig complexen That- bestande gegenüber hat nun die wissenschaftliche Unter- suchung drei Aufgaben nach einander zu lösen. Die erste besteht in der Analyse der zusammengesetzten Vorgänge, die zweite in der Nachweisung der Verbindungen, welche die durch diese Analyse aufgefundenen Elemente mit einander eingehen, die dritte in der Erforschung der Gesetze, die bei der Entstehung solcher Verbindungen wirksam sind. 2. Unter diesen drei Aufgaben ist es vor allem die Einleitung. Wahrnehmungen äußerer Gegenstände, Erinnerungen an solcheWahrnehmungen, Gefühle, Affecte, Willensacte sind nicht nur fortwährend in der mannigfaltigsten Weise mit einander verbunden, sondern jeder dieser Vorgänge ist regelmäßig selbst wieder ein mehr oder weniger zusammengesetztes Ganzes. Die Vorstellung eines äußeren Körpers z. B. besteht aus den Partialvorstellungen seiner Theile. Einen noch so einfachen Ton verlegen wir in irgend eine räumliche Rich- tung; wir bringen ihn also in Verbindung mit der selbst wieder höchst zusammengesetzten Vorstellung des äußeren Raumes. Ein Gefühl, ein Wollen beziehen wir auf irgend eine Empfindung, die das Gefühl erregt, auf ein Object, das gewollt wird, u. s. w. Einem derartig complexen That- bestande gegenüber hat nun die wissenschaftliche Unter- suchung drei Aufgaben nach einander zu lösen. Die erste besteht in der Analyse der zusammengesetzten Vorgänge, die zweite in der Nachweisung der Verbindungen, welche die durch diese Analyse aufgefundenen Elemente mit einander eingehen, die dritte in der Erforschung der Gesetze, die bei der Entstehung solcher Verbindungen wirksam sind. 2. Unter diesen drei Aufgaben ist es vor allem die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0046" n="30"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/> Wahrnehmungen äußerer Gegenstände, Erinnerungen an solche<lb/> Wahrnehmungen, Gefühle, Affecte, Willensacte sind nicht<lb/> nur fortwährend in der mannigfaltigsten Weise mit einander<lb/> verbunden, sondern jeder dieser Vorgänge ist regelmäßig<lb/> selbst wieder ein mehr oder weniger zusammengesetztes<lb/> Ganzes. Die Vorstellung eines äußeren Körpers z. B. besteht<lb/> aus den Partialvorstellungen seiner Theile. Einen noch so<lb/> einfachen Ton verlegen wir in irgend eine räumliche Rich-<lb/> tung; wir bringen ihn also in Verbindung mit der selbst<lb/> wieder höchst zusammengesetzten Vorstellung des äußeren<lb/> Raumes. Ein Gefühl, ein Wollen beziehen wir auf irgend<lb/> eine Empfindung, die das Gefühl erregt, auf ein Object, das<lb/> gewollt wird, u. s. w. Einem derartig complexen That-<lb/> bestande gegenüber hat nun die wissenschaftliche Unter-<lb/> suchung <hi rendition="#g">drei</hi> Aufgaben nach einander zu lösen. Die <hi rendition="#g">erste</hi><lb/> besteht in der <hi rendition="#g">Analyse</hi> der zusammengesetzten Vorgänge,<lb/> die <hi rendition="#g">zweite</hi> in der <hi rendition="#g">Nachweisung der Verbindungen</hi>,<lb/> welche die durch diese Analyse aufgefundenen Elemente<lb/> mit einander eingehen, die <hi rendition="#g">dritte</hi> in der <hi rendition="#g">Erforschung<lb/> der Gesetze</hi>, die bei der Entstehung solcher Verbindungen<lb/> wirksam sind.</p><lb/> <p>2. Unter diesen drei Aufgaben ist es vor allem die<lb/><hi rendition="#g">zweite</hi>, synthetische, die wieder eine Reihe von Problemen<lb/> in sich schließt. Zunächst verbinden sich die psychischen<lb/> Elemente zu zusammengesetzten <hi rendition="#g">psychischen Gebilden</hi>,<lb/> die sich in dem fortwährenden Fluss des Geschehens relativ<lb/> selbständig von einander sondern. Solche Gebilde sind z. B.<lb/> die Vorstellungen, mögen sie nun direct auf äußere Ein-<lb/> drücke oder Objecte bezogen oder von uns als Erneuerungen<lb/> früher wahrgenommener Eindrücke und Objecte gedeutet<lb/> werden, ferner die zusammengesetzten Gefühle, die Affecte,<lb/> die Willensvorgänge. Weiterhin stehen dann aber diese<lb/> psychischen Gebilde unter einander in den mannigfaltigsten<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0046]
Einleitung.
Wahrnehmungen äußerer Gegenstände, Erinnerungen an solche
Wahrnehmungen, Gefühle, Affecte, Willensacte sind nicht
nur fortwährend in der mannigfaltigsten Weise mit einander
verbunden, sondern jeder dieser Vorgänge ist regelmäßig
selbst wieder ein mehr oder weniger zusammengesetztes
Ganzes. Die Vorstellung eines äußeren Körpers z. B. besteht
aus den Partialvorstellungen seiner Theile. Einen noch so
einfachen Ton verlegen wir in irgend eine räumliche Rich-
tung; wir bringen ihn also in Verbindung mit der selbst
wieder höchst zusammengesetzten Vorstellung des äußeren
Raumes. Ein Gefühl, ein Wollen beziehen wir auf irgend
eine Empfindung, die das Gefühl erregt, auf ein Object, das
gewollt wird, u. s. w. Einem derartig complexen That-
bestande gegenüber hat nun die wissenschaftliche Unter-
suchung drei Aufgaben nach einander zu lösen. Die erste
besteht in der Analyse der zusammengesetzten Vorgänge,
die zweite in der Nachweisung der Verbindungen,
welche die durch diese Analyse aufgefundenen Elemente
mit einander eingehen, die dritte in der Erforschung
der Gesetze, die bei der Entstehung solcher Verbindungen
wirksam sind.
2. Unter diesen drei Aufgaben ist es vor allem die
zweite, synthetische, die wieder eine Reihe von Problemen
in sich schließt. Zunächst verbinden sich die psychischen
Elemente zu zusammengesetzten psychischen Gebilden,
die sich in dem fortwährenden Fluss des Geschehens relativ
selbständig von einander sondern. Solche Gebilde sind z. B.
die Vorstellungen, mögen sie nun direct auf äußere Ein-
drücke oder Objecte bezogen oder von uns als Erneuerungen
früher wahrgenommener Eindrücke und Objecte gedeutet
werden, ferner die zusammengesetzten Gefühle, die Affecte,
die Willensvorgänge. Weiterhin stehen dann aber diese
psychischen Gebilde unter einander in den mannigfaltigsten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |