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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 6. Die reinen Empfindungen.
einfachen Tonempfindungen entsprechen, und dass wir
sogar aus Verbindungen solcher Empfindungen einzelne
heraushören können, lässt sich physikalisch auf Grund
der Einrichtungen des Schneckenapparats aus den Gesetzen
des Mitschwingens ableiten. Ist nämlich die Grundmembran
der Schnecke in ihren verschiedenen Theilen auf verschiedene
Tonhöhen abgestimmt, so wird, wenn eine einfache pendel-
artige Schallschwingung das Ohr trifft, nur der auf sie
abgestimmte Theil mitschwingen, und wenn dieselbe Schwin-
gungsgeschwindigkeit in irgend einer zusammengesetzten
Schallbewegung vorkommt, so wird jene nur den auf sie
abgestimmten Theil, die übrigen Bestandtheile der Schall-
bewegung werden aber andere, ihnen in gleicher Weise
entsprechende Abschnitte der Grundmembran mitschwingen
lassen.

11. Das System der Tonempfindungen erweist sich als
eine stetige Mannigfaltigkeit, da man von einer be-
stimmten Tonhöhe zu irgend einer andern stets durch con-
tinuirliche Empfindungsänderung gelangen kann. Dass die
Musik aus diesem Continuum einzelne Empfindungen heraus-
greift, die durch größere Intervalle getrennt sind, und auf
diese Weise die Tonlinie durch die Tonscala ersetzt,
beruht auf willkürlichen Feststellungen, die aber allerdings
in Verhältnissen der Tonempfindungen selbst ihren Grund
haben, auf die später (§ 9) bei der Betrachtung der aus
diesen Empfindungen entstehenden Vorstellungsgebilde zu-
rückzukommen sein wird. Die natürliche Tonlinie selbst hat
zwei Endpunkte, die physiologisch durch die Grenzen der
Aufnahmefähigkeit des Gehörapparats bedingt sind. Diese
Endpunkte sind der tiefste und der höchste Ton, von
denen jener einer Schwingungsbewegung von 8--10, dieser
einer solchen von 40,000--50,000 Doppelschwingungen in
der Secunde entspricht.

§ 6. Die reinen Empfindungen.
einfachen Tonempfindungen entsprechen, und dass wir
sogar aus Verbindungen solcher Empfindungen einzelne
heraushören können, lässt sich physikalisch auf Grund
der Einrichtungen des Schneckenapparats aus den Gesetzen
des Mitschwingens ableiten. Ist nämlich die Grundmembran
der Schnecke in ihren verschiedenen Theilen auf verschiedene
Tonhöhen abgestimmt, so wird, wenn eine einfache pendel-
artige Schallschwingung das Ohr trifft, nur der auf sie
abgestimmte Theil mitschwingen, und wenn dieselbe Schwin-
gungsgeschwindigkeit in irgend einer zusammengesetzten
Schallbewegung vorkommt, so wird jene nur den auf sie
abgestimmten Theil, die übrigen Bestandtheile der Schall-
bewegung werden aber andere, ihnen in gleicher Weise
entsprechende Abschnitte der Grundmembran mitschwingen
lassen.

11. Das System der Tonempfindungen erweist sich als
eine stetige Mannigfaltigkeit, da man von einer be-
stimmten Tonhöhe zu irgend einer andern stets durch con-
tinuirliche Empfindungsänderung gelangen kann. Dass die
Musik aus diesem Continuum einzelne Empfindungen heraus-
greift, die durch größere Intervalle getrennt sind, und auf
diese Weise die Tonlinie durch die Tonscala ersetzt,
beruht auf willkürlichen Feststellungen, die aber allerdings
in Verhältnissen der Tonempfindungen selbst ihren Grund
haben, auf die später (§ 9) bei der Betrachtung der aus
diesen Empfindungen entstehenden Vorstellungsgebilde zu-
rückzukommen sein wird. Die natürliche Tonlinie selbst hat
zwei Endpunkte, die physiologisch durch die Grenzen der
Aufnahmefähigkeit des Gehörapparats bedingt sind. Diese
Endpunkte sind der tiefste und der höchste Ton, von
denen jener einer Schwingungsbewegung von 8—10, dieser
einer solchen von 40,000—50,000 Doppelschwingungen in
der Secunde entspricht.

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[61/0077] § 6. Die reinen Empfindungen. einfachen Tonempfindungen entsprechen, und dass wir sogar aus Verbindungen solcher Empfindungen einzelne heraushören können, lässt sich physikalisch auf Grund der Einrichtungen des Schneckenapparats aus den Gesetzen des Mitschwingens ableiten. Ist nämlich die Grundmembran der Schnecke in ihren verschiedenen Theilen auf verschiedene Tonhöhen abgestimmt, so wird, wenn eine einfache pendel- artige Schallschwingung das Ohr trifft, nur der auf sie abgestimmte Theil mitschwingen, und wenn dieselbe Schwin- gungsgeschwindigkeit in irgend einer zusammengesetzten Schallbewegung vorkommt, so wird jene nur den auf sie abgestimmten Theil, die übrigen Bestandtheile der Schall- bewegung werden aber andere, ihnen in gleicher Weise entsprechende Abschnitte der Grundmembran mitschwingen lassen. 11. Das System der Tonempfindungen erweist sich als eine stetige Mannigfaltigkeit, da man von einer be- stimmten Tonhöhe zu irgend einer andern stets durch con- tinuirliche Empfindungsänderung gelangen kann. Dass die Musik aus diesem Continuum einzelne Empfindungen heraus- greift, die durch größere Intervalle getrennt sind, und auf diese Weise die Tonlinie durch die Tonscala ersetzt, beruht auf willkürlichen Feststellungen, die aber allerdings in Verhältnissen der Tonempfindungen selbst ihren Grund haben, auf die später (§ 9) bei der Betrachtung der aus diesen Empfindungen entstehenden Vorstellungsgebilde zu- rückzukommen sein wird. Die natürliche Tonlinie selbst hat zwei Endpunkte, die physiologisch durch die Grenzen der Aufnahmefähigkeit des Gehörapparats bedingt sind. Diese Endpunkte sind der tiefste und der höchste Ton, von denen jener einer Schwingungsbewegung von 8—10, dieser einer solchen von 40,000—50,000 Doppelschwingungen in der Secunde entspricht.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/77>, abgerufen am 24.11.2024.