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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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I. Die psychischen Elemente.
(negatives und complementäres Nachbild). Bei der Ein-
wirkung kurz dauernder Lichtreize im Dunkeln kann sich
dieser Uebergang mehrmals wiederholen, indem dem nega-
tiven abermals ein positives Nachbild folgt u. s. w., so dass
ein Oscilliren der Empfindung zwischen beiden Nachbild-
phasen stattfindet. Das positive Nachbild lässt sich nun
einfach darauf zurückführen, dass die durch irgend eine
Lichtart bewirkte photochemische Zersetzung nach der Ein-
wirkung des Lichtes noch eine kurze Zeit andauert; das
negative und complementäre kann man daraus ableiten, dass
jede in einer bestimmten Richtung eingetretene Zersetzung
eine theilweise Consumtion der zunächst an ihr betheiligten
lichtempfindlichen Stoffe zurücklässt, wodurch sich dann bei
der Fortdauer der Netzhautreizung die photochemischen
Vorgänge selbst in entsprechendem Sinne verändern müssen.

26. Mit den negativen und complementären Nachbildern
fällt endlich höchst wahrscheinlich ein Theil der unter dem
Namen der Licht- und Farbencontraste zusammen-
gefassten Erscheinungen in seiner Entstehungsweise zu-
sammen. Sie bestehen im allgemeinen darin, dass in der
Umgebung irgend welcher Lichteindrücke gleichzeitig Em-
pfindungen von entgegengesetzter Helligkeit und Farbe ent-
stehen. So erscheint eine weiße Fläche von einem dunkeln,
eine schwarze von einem hellen, eine farbige von einem
complementärfarbigen Rand umgeben. Diese Erscheinungen,
die man, wenn sie sich auf die nächste Umgebung des Ob-
jectes beschränken, auch als "Randcontrast" zu bezeichnen
pflegt, sind zum Theil jedenfalls nichts anderes als negative
und complementäre Nachbilder, die in Folge fortwährender
schwacher Bewegungen der Augen gleichzeitig mit dem
Eindruck in der Umgebung desselben sichtbar werden. Ob
ausserdem noch eine eigenartige Irradiation der Reizung
wirkt, ist zweifelhaft und bedarf die Existenz einer solchen

I. Die psychischen Elemente.
(negatives und complementäres Nachbild). Bei der Ein-
wirkung kurz dauernder Lichtreize im Dunkeln kann sich
dieser Uebergang mehrmals wiederholen, indem dem nega-
tiven abermals ein positives Nachbild folgt u. s. w., so dass
ein Oscilliren der Empfindung zwischen beiden Nachbild-
phasen stattfindet. Das positive Nachbild lässt sich nun
einfach darauf zurückführen, dass die durch irgend eine
Lichtart bewirkte photochemische Zersetzung nach der Ein-
wirkung des Lichtes noch eine kurze Zeit andauert; das
negative und complementäre kann man daraus ableiten, dass
jede in einer bestimmten Richtung eingetretene Zersetzung
eine theilweise Consumtion der zunächst an ihr betheiligten
lichtempfindlichen Stoffe zurücklässt, wodurch sich dann bei
der Fortdauer der Netzhautreizung die photochemischen
Vorgänge selbst in entsprechendem Sinne verändern müssen.

26. Mit den negativen und complementären Nachbildern
fällt endlich höchst wahrscheinlich ein Theil der unter dem
Namen der Licht- und Farbencontraste zusammen-
gefassten Erscheinungen in seiner Entstehungsweise zu-
sammen. Sie bestehen im allgemeinen darin, dass in der
Umgebung irgend welcher Lichteindrücke gleichzeitig Em-
pfindungen von entgegengesetzter Helligkeit und Farbe ent-
stehen. So erscheint eine weiße Fläche von einem dunkeln,
eine schwarze von einem hellen, eine farbige von einem
complementärfarbigen Rand umgeben. Diese Erscheinungen,
die man, wenn sie sich auf die nächste Umgebung des Ob-
jectes beschränken, auch als »Randcontrast« zu bezeichnen
pflegt, sind zum Theil jedenfalls nichts anderes als negative
und complementäre Nachbilder, die in Folge fortwährender
schwacher Bewegungen der Augen gleichzeitig mit dem
Eindruck in der Umgebung desselben sichtbar werden. Ob
ausserdem noch eine eigenartige Irradiation der Reizung
wirkt, ist zweifelhaft und bedarf die Existenz einer solchen

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[82/0098] I. Die psychischen Elemente. (negatives und complementäres Nachbild). Bei der Ein- wirkung kurz dauernder Lichtreize im Dunkeln kann sich dieser Uebergang mehrmals wiederholen, indem dem nega- tiven abermals ein positives Nachbild folgt u. s. w., so dass ein Oscilliren der Empfindung zwischen beiden Nachbild- phasen stattfindet. Das positive Nachbild lässt sich nun einfach darauf zurückführen, dass die durch irgend eine Lichtart bewirkte photochemische Zersetzung nach der Ein- wirkung des Lichtes noch eine kurze Zeit andauert; das negative und complementäre kann man daraus ableiten, dass jede in einer bestimmten Richtung eingetretene Zersetzung eine theilweise Consumtion der zunächst an ihr betheiligten lichtempfindlichen Stoffe zurücklässt, wodurch sich dann bei der Fortdauer der Netzhautreizung die photochemischen Vorgänge selbst in entsprechendem Sinne verändern müssen. 26. Mit den negativen und complementären Nachbildern fällt endlich höchst wahrscheinlich ein Theil der unter dem Namen der Licht- und Farbencontraste zusammen- gefassten Erscheinungen in seiner Entstehungsweise zu- sammen. Sie bestehen im allgemeinen darin, dass in der Umgebung irgend welcher Lichteindrücke gleichzeitig Em- pfindungen von entgegengesetzter Helligkeit und Farbe ent- stehen. So erscheint eine weiße Fläche von einem dunkeln, eine schwarze von einem hellen, eine farbige von einem complementärfarbigen Rand umgeben. Diese Erscheinungen, die man, wenn sie sich auf die nächste Umgebung des Ob- jectes beschränken, auch als »Randcontrast« zu bezeichnen pflegt, sind zum Theil jedenfalls nichts anderes als negative und complementäre Nachbilder, die in Folge fortwährender schwacher Bewegungen der Augen gleichzeitig mit dem Eindruck in der Umgebung desselben sichtbar werden. Ob ausserdem noch eine eigenartige Irradiation der Reizung wirkt, ist zweifelhaft und bedarf die Existenz einer solchen

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/98>, abgerufen am 24.11.2024.