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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.
men von m' die ganze Schrittlänge m, und ebenso ist in dem für p eingesetzten Werthe
[Formel 1] die Grösse r constant, also wird auch unter der Voraussetzung, dass w
nicht constant ist, die Abhängigkeit von r und m dieselbe bleiben. Um un-
ter dieser richtigeren Voraussetzung und für die einzelnen Fälle des langsamen
Gehens, schnellen Gehens, Laufens u. s. w. die Gesetze der Gehbewegungen abzulei-
ten, muss man den einzelnen Schritt auf ähnliche Weise in unendlich kleine Perioden
zerlegen, wie wir in §. 29 eine Schwingung zerlegt haben, und schliesslich die wäh-
rend aller dieser Perioden stattfindenden Wirkungen summiren. Das Problem der
Gehbewegungen ist daher ein complicirtes Schwingungsproblem. Die mathe-
matische Lösung der hier sich darbietenden Aufgaben liegt jedoch ausserhalb der
Grenzen unserer Darstellung, und wir verweisen in dieser Beziehung auf W. und Ed.
Weber
, Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge, Göttingen 1836.

Die Ortsbewegungen der vierfüssigen Thiere sind im Vergleich64
Ortsbewegun-
gen der vier-
füssigen Thiere.
Flug- und
Schwimmbewe-
gungen.

zu denjenigen des Menschen erstens durch die Verdoppelung der
Stemmkräfte und zweitens durch die Lage des Schwerpunktes erleich-
tert. Dieser befindet sich nicht über einer einzigen Drehungsaxe im
labilen Gleichgewicht, sondern stabil zwischen der Drehungsaxe der
vordern und derjenigen der hintern Extremitäten. Nur beim Vogel
ist die Lage des Schwerpunktes für die Gehbewegungen noch un-
günstiger, indem derselbe wegen des relativ gewichtigeren Thorax viel
weiter oben liegt. Um so mehr kommt diese Lage des Schwerpunk-
tes bei den Flugbewegungen zu statten. Indem der Vogel fliegt,
stösst er mit beiden Flügeln die Luft zurück, und diese muss ihn da-
her nach dem Princip der Gegenwirkung mit gleicher Kraft vorwärts
stossen. Am günstigsten ist diese Wirkung in dem Moment, in wel-
chem die Flügel horizontal ausgespannt sind: der Körper des Vogels
wird dann durch die auf beide Flügel ausgeübten Parallelkräfte, deren
Resultirende gleich ihrer Summe ist und mit der Längsaxe des Vo-
gels zusammenfällt, fortgetrieben. Sind die Flügel nicht horizontal,
so bilden die auf jeden wirkenden Kräfte zwei Seiten eines Kräfte-
parallelogramms, dessen Diagonale die nach der Längsaxe des Vogels
gerichtete Resultirende ist. Auf demselben Princip beruhen die Be-
wegungen beim Schwimmen. Der Schwimmer übt gleichzeitig mit den
Armen und Füssen Stösse gegen das Wasser aus: die Gesammtkraft
in der Richtung der Längsaxe des Körpers wird hier durch die Re-
sultirenden zweier Kräfteparallelogramme gebildet, deren eines vor
dem Schwerpunkte liegt und durch den Stoss der Arme entsteht, wäh-
rend das andere, das sich hinter dem Schwerpunkt befindet, durch
den Stoss der Füsse erzeugt wird.

Aehnlich wie die Ortsbewegungen des ganzen Thierkörpers aus65
Bewegungen
der einzelnen
Scelettheile.

einem Zusammenwirken der Schwere mit andern Kräften hervorgehen,
so auch die Bewegungen der einzelnen Scelettheile gegen einander.
Das ganze Scelet besteht aus einer Anzahl einarmiger Hebel, die in

Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.
men von m' die ganze Schrittlänge m, und ebenso ist in dem für p eingesetzten Werthe
[Formel 1] die Grösse r constant, also wird auch unter der Voraussetzung, dass w
nicht constant ist, die Abhängigkeit von r und m dieselbe bleiben. Um un-
ter dieser richtigeren Voraussetzung und für die einzelnen Fälle des langsamen
Gehens, schnellen Gehens, Laufens u. s. w. die Gesetze der Gehbewegungen abzulei-
ten, muss man den einzelnen Schritt auf ähnliche Weise in unendlich kleine Perioden
zerlegen, wie wir in §. 29 eine Schwingung zerlegt haben, und schliesslich die wäh-
rend aller dieser Perioden stattfindenden Wirkungen summiren. Das Problem der
Gehbewegungen ist daher ein complicirtes Schwingungsproblem. Die mathe-
matische Lösung der hier sich darbietenden Aufgaben liegt jedoch ausserhalb der
Grenzen unserer Darstellung, und wir verweisen in dieser Beziehung auf W. und Ed.
Weber
, Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge, Göttingen 1836.

Die Ortsbewegungen der vierfüssigen Thiere sind im Vergleich64
Ortsbewegun-
gen der vier-
füssigen Thiere.
Flug- und
Schwimmbewe-
gungen.

zu denjenigen des Menschen erstens durch die Verdoppelung der
Stemmkräfte und zweitens durch die Lage des Schwerpunktes erleich-
tert. Dieser befindet sich nicht über einer einzigen Drehungsaxe im
labilen Gleichgewicht, sondern stabil zwischen der Drehungsaxe der
vordern und derjenigen der hintern Extremitäten. Nur beim Vogel
ist die Lage des Schwerpunktes für die Gehbewegungen noch un-
günstiger, indem derselbe wegen des relativ gewichtigeren Thorax viel
weiter oben liegt. Um so mehr kommt diese Lage des Schwerpunk-
tes bei den Flugbewegungen zu statten. Indem der Vogel fliegt,
stösst er mit beiden Flügeln die Luft zurück, und diese muss ihn da-
her nach dem Princip der Gegenwirkung mit gleicher Kraft vorwärts
stossen. Am günstigsten ist diese Wirkung in dem Moment, in wel-
chem die Flügel horizontal ausgespannt sind: der Körper des Vogels
wird dann durch die auf beide Flügel ausgeübten Parallelkräfte, deren
Resultirende gleich ihrer Summe ist und mit der Längsaxe des Vo-
gels zusammenfällt, fortgetrieben. Sind die Flügel nicht horizontal,
so bilden die auf jeden wirkenden Kräfte zwei Seiten eines Kräfte-
parallelogramms, dessen Diagonale die nach der Längsaxe des Vogels
gerichtete Resultirende ist. Auf demselben Princip beruhen die Be-
wegungen beim Schwimmen. Der Schwimmer übt gleichzeitig mit den
Armen und Füssen Stösse gegen das Wasser aus: die Gesammtkraft
in der Richtung der Längsaxe des Körpers wird hier durch die Re-
sultirenden zweier Kräfteparallelogramme gebildet, deren eines vor
dem Schwerpunkte liegt und durch den Stoss der Arme entsteht, wäh-
rend das andere, das sich hinter dem Schwerpunkt befindet, durch
den Stoss der Füsse erzeugt wird.

Aehnlich wie die Ortsbewegungen des ganzen Thierkörpers aus65
Bewegungen
der einzelnen
Scelettheile.

einem Zusammenwirken der Schwere mit andern Kräften hervorgehen,
so auch die Bewegungen der einzelnen Scelettheile gegen einander.
Das ganze Scelet besteht aus einer Anzahl einarmiger Hebel, die in

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[91/0113] Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften. men von m' die ganze Schrittlänge m, und ebenso ist in dem für p eingesetzten Werthe [FORMEL] die Grösse r constant, also wird auch unter der Voraussetzung, dass w nicht constant ist, die Abhängigkeit von r und m dieselbe bleiben. Um un- ter dieser richtigeren Voraussetzung und für die einzelnen Fälle des langsamen Gehens, schnellen Gehens, Laufens u. s. w. die Gesetze der Gehbewegungen abzulei- ten, muss man den einzelnen Schritt auf ähnliche Weise in unendlich kleine Perioden zerlegen, wie wir in §. 29 eine Schwingung zerlegt haben, und schliesslich die wäh- rend aller dieser Perioden stattfindenden Wirkungen summiren. Das Problem der Gehbewegungen ist daher ein complicirtes Schwingungsproblem. Die mathe- matische Lösung der hier sich darbietenden Aufgaben liegt jedoch ausserhalb der Grenzen unserer Darstellung, und wir verweisen in dieser Beziehung auf W. und Ed. Weber, Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge, Göttingen 1836. Die Ortsbewegungen der vierfüssigen Thiere sind im Vergleich zu denjenigen des Menschen erstens durch die Verdoppelung der Stemmkräfte und zweitens durch die Lage des Schwerpunktes erleich- tert. Dieser befindet sich nicht über einer einzigen Drehungsaxe im labilen Gleichgewicht, sondern stabil zwischen der Drehungsaxe der vordern und derjenigen der hintern Extremitäten. Nur beim Vogel ist die Lage des Schwerpunktes für die Gehbewegungen noch un- günstiger, indem derselbe wegen des relativ gewichtigeren Thorax viel weiter oben liegt. Um so mehr kommt diese Lage des Schwerpunk- tes bei den Flugbewegungen zu statten. Indem der Vogel fliegt, stösst er mit beiden Flügeln die Luft zurück, und diese muss ihn da- her nach dem Princip der Gegenwirkung mit gleicher Kraft vorwärts stossen. Am günstigsten ist diese Wirkung in dem Moment, in wel- chem die Flügel horizontal ausgespannt sind: der Körper des Vogels wird dann durch die auf beide Flügel ausgeübten Parallelkräfte, deren Resultirende gleich ihrer Summe ist und mit der Längsaxe des Vo- gels zusammenfällt, fortgetrieben. Sind die Flügel nicht horizontal, so bilden die auf jeden wirkenden Kräfte zwei Seiten eines Kräfte- parallelogramms, dessen Diagonale die nach der Längsaxe des Vogels gerichtete Resultirende ist. Auf demselben Princip beruhen die Be- wegungen beim Schwimmen. Der Schwimmer übt gleichzeitig mit den Armen und Füssen Stösse gegen das Wasser aus: die Gesammtkraft in der Richtung der Längsaxe des Körpers wird hier durch die Re- sultirenden zweier Kräfteparallelogramme gebildet, deren eines vor dem Schwerpunkte liegt und durch den Stoss der Arme entsteht, wäh- rend das andere, das sich hinter dem Schwerpunkt befindet, durch den Stoss der Füsse erzeugt wird. 64 Ortsbewegun- gen der vier- füssigen Thiere. Flug- und Schwimmbewe- gungen. Aehnlich wie die Ortsbewegungen des ganzen Thierkörpers aus einem Zusammenwirken der Schwere mit andern Kräften hervorgehen, so auch die Bewegungen der einzelnen Scelettheile gegen einander. Das ganze Scelet besteht aus einer Anzahl einarmiger Hebel, die in 65 Bewegungen der einzelnen Scelettheile.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/113>, abgerufen am 04.12.2024.