Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Auge.
tionsgrad entspräche, also diejenige Verschiebung des Brennpunktes
hervorbrächte, welche die äusserste Accomodation für die Nähe be-
wirkt, ein Maass für die Accomodationsbreite des emmetropischen Au-
ges sein. Eine Linse, die dies leistet, besitzt offenbar eine solche
Brennweite, dass sie Strahlen, die vom Nahepunkt divergirend aus-
gehen, parallel macht, so als ob sie vom normalen Fernpunkte kämen.
Der Nahepunkt muss sich also im Brennpunkt der Linse befinden,
d. h. die Linse muss eine Brennweite besitzen, welche gleich der Ent-
fernung des Nahepunktes vom Auge ist. Bezeichnen wir mit N diese
Entfernung des Nahepunktes, so giebt uns somit, da die brechende
Kraft einer Linse durch den reciproken Werth der Brennweite ge-
messen wird (§. 154), der Bruch [Formel 1] das Maass der Accomodations-
breite des emmetropischen Auges. Dieser Werth beträgt für das nor-
male Auge, da die beiden Brennweiten desselben zusammen um 4--
5 Mm. geändert werden können, 1/4-- 1/5 .

Ein solches Auge, dessen hinterer Brennpunkt nicht in die Netz-
haut sondern vor oder hinter dieselbe fällt, wird allgemein als ame-
tropisches
Auge (ametros, extra modum) bezeichnet. Das ametro-
pische Auge ist myopisch (brachymetropisch), wenn der Brennpunkt
vor die Netzhaut fällt; es ist hyperopisch (hypermetropisch), wenn
derselbe hinter die Netzhaut fällt. Bei dem ametropischen Auge muss
1) der Grad der Ametropie und dann 2) ähnlich wie oben die Acco-
modationsbreite bestimmt werden.

Der Grad der Ametropie wird einfach durch ein Linsenglas ge-
messen, welches parallele Strahlen auf der Netzhaut zur Vereinigung
bringt, also das ametropische in ein emmetropisches Auge verwandelt.
Da das myopische Auge nur divergirendes, das hyperopische conver-
girendes Licht vereinigt, so muss man dort eine Concavlinse, hier eine
Convexlinse anwenden, um das ametropische in ein emmetropisches
Auge zu verwandeln. Auch dabei ist wieder der reciproke Werth der
Brennweite als Maass zu gebrauchen. Ist also F die Brennweite der
betreffenden Concav- oder Convexlinse, so misst der Bruch [Formel 2]
den Grad der Myopie oder Hyperopie. Dem myopischen Auge muss
eine Concavlinse von der Brennweite -- F, dem hyperopischen eine
Convexlinse von der Brennweite + F vorgesetzt werden. Für das
myopische Auge ist diese Brennweite leicht zu bestimmen, weil hier
F direct gleich der Distanz des Fernpunktes ist. Die Accomoda-
tionsbreite
für ein solches Auge wird man nun ermitteln können,
indem man, nachdem zuvor durch Vorsetzen einer Linse von der Brenn-
weite F das Auge dem emmetropischen gleich geworden ist, ebenso
wie vorhin den Nahepunkt bestimmt. Ist dieser = A, so wird der

Wundt, medicin. Physik. 18

Das Auge.
tionsgrad entspräche, also diejenige Verschiebung des Brennpunktes
hervorbrächte, welche die äusserste Accomodation für die Nähe be-
wirkt, ein Maass für die Accomodationsbreite des emmetropischen Au-
ges sein. Eine Linse, die dies leistet, besitzt offenbar eine solche
Brennweite, dass sie Strahlen, die vom Nahepunkt divergirend aus-
gehen, parallel macht, so als ob sie vom normalen Fernpunkte kämen.
Der Nahepunkt muss sich also im Brennpunkt der Linse befinden,
d. h. die Linse muss eine Brennweite besitzen, welche gleich der Ent-
fernung des Nahepunktes vom Auge ist. Bezeichnen wir mit N diese
Entfernung des Nahepunktes, so giebt uns somit, da die brechende
Kraft einer Linse durch den reciproken Werth der Brennweite ge-
messen wird (§. 154), der Bruch [Formel 1] das Maass der Accomodations-
breite des emmetropischen Auges. Dieser Werth beträgt für das nor-
male Auge, da die beiden Brennweiten desselben zusammen um 4—
5 Mm. geändert werden können, ¼—⅕.

Ein solches Auge, dessen hinterer Brennpunkt nicht in die Netz-
haut sondern vor oder hinter dieselbe fällt, wird allgemein als ame-
tropisches
Auge (ἄμετρος, extra modum) bezeichnet. Das ametro-
pische Auge ist myopisch (brachymetropisch), wenn der Brennpunkt
vor die Netzhaut fällt; es ist hyperopisch (hypermetropisch), wenn
derselbe hinter die Netzhaut fällt. Bei dem ametropischen Auge muss
1) der Grad der Ametropie und dann 2) ähnlich wie oben die Acco-
modationsbreite bestimmt werden.

Der Grad der Ametropie wird einfach durch ein Linsenglas ge-
messen, welches parallele Strahlen auf der Netzhaut zur Vereinigung
bringt, also das ametropische in ein emmetropisches Auge verwandelt.
Da das myopische Auge nur divergirendes, das hyperopische conver-
girendes Licht vereinigt, so muss man dort eine Concavlinse, hier eine
Convexlinse anwenden, um das ametropische in ein emmetropisches
Auge zu verwandeln. Auch dabei ist wieder der reciproke Werth der
Brennweite als Maass zu gebrauchen. Ist also F die Brennweite der
betreffenden Concav- oder Convexlinse, so misst der Bruch [Formel 2]
den Grad der Myopie oder Hyperopie. Dem myopischen Auge muss
eine Concavlinse von der Brennweite — F, dem hyperopischen eine
Convexlinse von der Brennweite + F vorgesetzt werden. Für das
myopische Auge ist diese Brennweite leicht zu bestimmen, weil hier
F direct gleich der Distanz des Fernpunktes ist. Die Accomoda-
tionsbreite
für ein solches Auge wird man nun ermitteln können,
indem man, nachdem zuvor durch Vorsetzen einer Linse von der Brenn-
weite F das Auge dem emmetropischen gleich geworden ist, ebenso
wie vorhin den Nahepunkt bestimmt. Ist dieser = A, so wird der

Wundt, medicin. Physik. 18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0295" n="273"/><fw place="top" type="header">Das Auge.</fw><lb/>
tionsgrad entspräche, also diejenige Verschiebung des Brennpunktes<lb/>
hervorbrächte, welche die äusserste Accomodation für die Nähe be-<lb/>
wirkt, ein Maass für die Accomodationsbreite des emmetropischen Au-<lb/>
ges sein. Eine Linse, die dies leistet, besitzt offenbar eine solche<lb/>
Brennweite, dass sie Strahlen, die vom Nahepunkt divergirend aus-<lb/>
gehen, parallel macht, so als ob sie vom normalen Fernpunkte kämen.<lb/>
Der Nahepunkt muss sich also im Brennpunkt der Linse befinden,<lb/>
d. h. die Linse muss eine Brennweite besitzen, welche gleich der Ent-<lb/>
fernung des Nahepunktes vom Auge ist. Bezeichnen wir mit N diese<lb/>
Entfernung des Nahepunktes, so giebt uns somit, da die brechende<lb/>
Kraft einer Linse durch den reciproken Werth der Brennweite ge-<lb/>
messen wird (§. 154), der Bruch <formula/> das Maass der Accomodations-<lb/>
breite des emmetropischen Auges. Dieser Werth beträgt für das nor-<lb/>
male Auge, da die beiden Brennweiten desselben zusammen um 4&#x2014;<lb/>
5 Mm. geändert werden können, ¼&#x2014;&#x2155;.</p><lb/>
            <p>Ein solches Auge, dessen hinterer Brennpunkt nicht in die Netz-<lb/>
haut sondern vor oder hinter dieselbe fällt, wird allgemein als <hi rendition="#g">ame-<lb/>
tropisches</hi> Auge (&#x1F04;&#x03BC;&#x03B5;&#x03C4;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C2;, extra modum) bezeichnet. Das ametro-<lb/>
pische Auge ist <hi rendition="#g">myopisch</hi> (brachymetropisch), wenn der Brennpunkt<lb/>
vor die Netzhaut fällt; es ist <hi rendition="#g">hyperopisch</hi> (hypermetropisch), wenn<lb/>
derselbe hinter die Netzhaut fällt. Bei dem ametropischen Auge muss<lb/>
1) der Grad der Ametropie und dann 2) ähnlich wie oben die Acco-<lb/>
modationsbreite bestimmt werden.</p><lb/>
            <p>Der Grad der Ametropie wird einfach durch ein Linsenglas ge-<lb/>
messen, welches parallele Strahlen auf der Netzhaut zur Vereinigung<lb/>
bringt, also das ametropische in ein emmetropisches Auge verwandelt.<lb/>
Da das myopische Auge nur divergirendes, das hyperopische conver-<lb/>
girendes Licht vereinigt, so muss man dort eine Concavlinse, hier eine<lb/>
Convexlinse anwenden, um das ametropische in ein emmetropisches<lb/>
Auge zu verwandeln. Auch dabei ist wieder der reciproke Werth der<lb/>
Brennweite als Maass zu gebrauchen. Ist also F die Brennweite der<lb/>
betreffenden Concav- oder Convexlinse, so misst der Bruch <formula/><lb/>
den Grad der Myopie oder Hyperopie. Dem myopischen Auge muss<lb/>
eine Concavlinse von der Brennweite &#x2014; F, dem hyperopischen eine<lb/>
Convexlinse von der Brennweite + F vorgesetzt werden. Für das<lb/>
myopische Auge ist diese Brennweite leicht zu bestimmen, weil hier<lb/>
F direct gleich der Distanz des Fernpunktes ist. Die <hi rendition="#g">Accomoda-<lb/>
tionsbreite</hi> für ein solches Auge wird man nun ermitteln können,<lb/>
indem man, nachdem zuvor durch Vorsetzen einer Linse von der Brenn-<lb/>
weite F das Auge dem emmetropischen gleich geworden ist, ebenso<lb/>
wie vorhin den Nahepunkt bestimmt. Ist dieser = A, so wird der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Wundt</hi>, medicin. Physik. 18</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[273/0295] Das Auge. tionsgrad entspräche, also diejenige Verschiebung des Brennpunktes hervorbrächte, welche die äusserste Accomodation für die Nähe be- wirkt, ein Maass für die Accomodationsbreite des emmetropischen Au- ges sein. Eine Linse, die dies leistet, besitzt offenbar eine solche Brennweite, dass sie Strahlen, die vom Nahepunkt divergirend aus- gehen, parallel macht, so als ob sie vom normalen Fernpunkte kämen. Der Nahepunkt muss sich also im Brennpunkt der Linse befinden, d. h. die Linse muss eine Brennweite besitzen, welche gleich der Ent- fernung des Nahepunktes vom Auge ist. Bezeichnen wir mit N diese Entfernung des Nahepunktes, so giebt uns somit, da die brechende Kraft einer Linse durch den reciproken Werth der Brennweite ge- messen wird (§. 154), der Bruch [FORMEL] das Maass der Accomodations- breite des emmetropischen Auges. Dieser Werth beträgt für das nor- male Auge, da die beiden Brennweiten desselben zusammen um 4— 5 Mm. geändert werden können, ¼—⅕. Ein solches Auge, dessen hinterer Brennpunkt nicht in die Netz- haut sondern vor oder hinter dieselbe fällt, wird allgemein als ame- tropisches Auge (ἄμετρος, extra modum) bezeichnet. Das ametro- pische Auge ist myopisch (brachymetropisch), wenn der Brennpunkt vor die Netzhaut fällt; es ist hyperopisch (hypermetropisch), wenn derselbe hinter die Netzhaut fällt. Bei dem ametropischen Auge muss 1) der Grad der Ametropie und dann 2) ähnlich wie oben die Acco- modationsbreite bestimmt werden. Der Grad der Ametropie wird einfach durch ein Linsenglas ge- messen, welches parallele Strahlen auf der Netzhaut zur Vereinigung bringt, also das ametropische in ein emmetropisches Auge verwandelt. Da das myopische Auge nur divergirendes, das hyperopische conver- girendes Licht vereinigt, so muss man dort eine Concavlinse, hier eine Convexlinse anwenden, um das ametropische in ein emmetropisches Auge zu verwandeln. Auch dabei ist wieder der reciproke Werth der Brennweite als Maass zu gebrauchen. Ist also F die Brennweite der betreffenden Concav- oder Convexlinse, so misst der Bruch [FORMEL] den Grad der Myopie oder Hyperopie. Dem myopischen Auge muss eine Concavlinse von der Brennweite — F, dem hyperopischen eine Convexlinse von der Brennweite + F vorgesetzt werden. Für das myopische Auge ist diese Brennweite leicht zu bestimmen, weil hier F direct gleich der Distanz des Fernpunktes ist. Die Accomoda- tionsbreite für ein solches Auge wird man nun ermitteln können, indem man, nachdem zuvor durch Vorsetzen einer Linse von der Brenn- weite F das Auge dem emmetropischen gleich geworden ist, ebenso wie vorhin den Nahepunkt bestimmt. Ist dieser = A, so wird der Wundt, medicin. Physik. 18

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/295
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/295>, abgerufen am 05.12.2024.