Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Wärme.
das Gefäss aus dem Kochapparat herausgenommen und von schmel-
zendem Eis umgeben, während man zugleich die zugeschmolzene
Spitze in eine Wanne mit Quecksilber eintaucht. Beim Abbrechen der
Spitze steigt das Quecksilber in dem Gefäss um so viel in die Höhe,
als der Verminderung des enthaltenen Luftvolums beim Sinken der
Temperatur von 100° auf 0° entspricht. Hat das Gefäss vollständig
die Temperatur von 0° angenommen, so verschliesst man dasselbe,
wägt es, füllt es dann vollständig mit Quecksilber an und wägt es
zum zweitenmal. Ist das Gewicht im ersten Falle = P', im zweiten
= P", so ist die Differenz P"--P' diejenige Quecksilbermenge, welche
denselben Raum einnimmt, wie die auf 0° erkältete Luft. War bei
diesen verschiedenen Abwägungen die Temperatur 0° und der Baro-
meterstand 760 mm., und betrug der letztere ebenso während der Er-
wärmung und Erkältung der Luft in dem Gefäss 760 mm., so ergiebt
sich unmittelbar aus dem bekannten Volum der Gewichtseinheit Queck-
silber bei 0° und 760 mm. Barometerstand die Ausdehnung der Luft.
Denn es sei V" das dem Gewicht P", V' das dem Gewicht P' entspre-
chende Volum, so ist V' -- V" die Ausdehnung eines Luftvolums V'
bei der Erwärmung von 0 auf 100°. Waren bei den Abwägungen
Temperatur und Barometerstand andere als 0° und 760 mm., so müs-
sen sie nach den in §. 247 angegebenen Regeln auf 0° und 760 mm.
reducirt werden. Wird das Wasser in dem das Gefäss umgebenden
Raum nicht zum Kochen sondern bis zu irgend einer anderen mittelst
des Thermometers genau zu bestimmenden Temperatur t erwärmt, so
kann auf ganz dieselbe Weise die Ausdehnung der Luft bei der Er-
wärmung von 0 auf t° ermittelt werden.

Die Ausdehnung anderer Gase durch die Wärme lässt sich auf
dieselbe Weise bestimmen. Gay-Lussac und nach ihm Dulong
und Petit haben solche Messungen ausgeführt und gefunden, dass
alle Gase bei einer bestimmten Temperaturerhöhung sich um densel-
ben Bruchtheil ihres Volums ausdehnen, dass also die Ausdehnungs-
coefficienten aller Gase einander gleich sind. Man hat dieses Gesetz
als das Gay-Lussac'sche Gesetz bezeichnet. Nach den neueren
Untersuchungen von Magnus und Regnault bestätigt sich jedoch
dasselbe nicht vollständig, sondern es finden ähnliche Abweichungen
wie in Bezug auf das Mariotte'sche Gesetz statt. Diejenigen Gase,
deren Volum durch gesteigerten Druck rascher abnimmt, dehnen sich
auch bei gleicher Temperaturerhöhung stärker aus als jene, deren Vo-
lum langsamer abnimmt. Hiernach muss der Ausdehnungscoefficient
der Kohlensäure grösser, derjenige des Wasserstoffgases kleiner sein
als der Ausdehnungscoefficient der atmosphärischen Luft, doch sind
die Unterschiede sehr gering: man findet z. B. nach Magnus für
Kohlensäure 0,00369, für Wasserstoff 0,00365. Bei allen Gasen nimmt
nach Regnault der Ausdehnungscoefficient bei höherem Druck, also

Von der Wärme.
das Gefäss aus dem Kochapparat herausgenommen und von schmel-
zendem Eis umgeben, während man zugleich die zugeschmolzene
Spitze in eine Wanne mit Quecksilber eintaucht. Beim Abbrechen der
Spitze steigt das Quecksilber in dem Gefäss um so viel in die Höhe,
als der Verminderung des enthaltenen Luftvolums beim Sinken der
Temperatur von 100° auf 0° entspricht. Hat das Gefäss vollständig
die Temperatur von 0° angenommen, so verschliesst man dasselbe,
wägt es, füllt es dann vollständig mit Quecksilber an und wägt es
zum zweitenmal. Ist das Gewicht im ersten Falle = P', im zweiten
= P″, so ist die Differenz P″—P' diejenige Quecksilbermenge, welche
denselben Raum einnimmt, wie die auf 0° erkältete Luft. War bei
diesen verschiedenen Abwägungen die Temperatur 0° und der Baro-
meterstand 760 mm., und betrug der letztere ebenso während der Er-
wärmung und Erkältung der Luft in dem Gefäss 760 mm., so ergiebt
sich unmittelbar aus dem bekannten Volum der Gewichtseinheit Queck-
silber bei 0° und 760 mm. Barometerstand die Ausdehnung der Luft.
Denn es sei V″ das dem Gewicht P″, V' das dem Gewicht P' entspre-
chende Volum, so ist V' — V″ die Ausdehnung eines Luftvolums V'
bei der Erwärmung von 0 auf 100°. Waren bei den Abwägungen
Temperatur und Barometerstand andere als 0° und 760 mm., so müs-
sen sie nach den in §. 247 angegebenen Regeln auf 0° und 760 mm.
reducirt werden. Wird das Wasser in dem das Gefäss umgebenden
Raum nicht zum Kochen sondern bis zu irgend einer anderen mittelst
des Thermometers genau zu bestimmenden Temperatur t erwärmt, so
kann auf ganz dieselbe Weise die Ausdehnung der Luft bei der Er-
wärmung von 0 auf t° ermittelt werden.

Die Ausdehnung anderer Gase durch die Wärme lässt sich auf
dieselbe Weise bestimmen. Gay-Lussac und nach ihm Dulong
und Petit haben solche Messungen ausgeführt und gefunden, dass
alle Gase bei einer bestimmten Temperaturerhöhung sich um densel-
ben Bruchtheil ihres Volums ausdehnen, dass also die Ausdehnungs-
coëfficienten aller Gase einander gleich sind. Man hat dieses Gesetz
als das Gay-Lussac’sche Gesetz bezeichnet. Nach den neueren
Untersuchungen von Magnus und Regnault bestätigt sich jedoch
dasselbe nicht vollständig, sondern es finden ähnliche Abweichungen
wie in Bezug auf das Mariotte’sche Gesetz statt. Diejenigen Gase,
deren Volum durch gesteigerten Druck rascher abnimmt, dehnen sich
auch bei gleicher Temperaturerhöhung stärker aus als jene, deren Vo-
lum langsamer abnimmt. Hiernach muss der Ausdehnungscoëfficient
der Kohlensäure grösser, derjenige des Wasserstoffgases kleiner sein
als der Ausdehnungscoëfficient der atmosphärischen Luft, doch sind
die Unterschiede sehr gering: man findet z. B. nach Magnus für
Kohlensäure 0,00369, für Wasserstoff 0,00365. Bei allen Gasen nimmt
nach Regnault der Ausdehnungscoëfficient bei höherem Druck, also

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0394" n="372"/><fw place="top" type="header">Von der Wärme.</fw><lb/>
das Gefäss aus dem Kochapparat herausgenommen und von schmel-<lb/>
zendem Eis umgeben, während man zugleich die zugeschmolzene<lb/>
Spitze in eine Wanne mit Quecksilber eintaucht. Beim Abbrechen der<lb/>
Spitze steigt das Quecksilber in dem Gefäss um so viel in die Höhe,<lb/>
als der Verminderung des enthaltenen Luftvolums beim Sinken der<lb/>
Temperatur von 100° auf 0° entspricht. Hat das Gefäss vollständig<lb/>
die Temperatur von 0° angenommen, so verschliesst man dasselbe,<lb/>
wägt es, füllt es dann vollständig mit Quecksilber an und wägt es<lb/>
zum zweitenmal. Ist das Gewicht im ersten Falle = P', im zweiten<lb/>
= P&#x2033;, so ist die Differenz P&#x2033;&#x2014;P' diejenige Quecksilbermenge, welche<lb/>
denselben Raum einnimmt, wie die auf 0° erkältete Luft. War bei<lb/>
diesen verschiedenen Abwägungen die Temperatur 0° und der Baro-<lb/>
meterstand 760 mm., und betrug der letztere ebenso während der Er-<lb/>
wärmung und Erkältung der Luft in dem Gefäss 760 mm., so ergiebt<lb/>
sich unmittelbar aus dem bekannten Volum der Gewichtseinheit Queck-<lb/>
silber bei 0° und 760 mm. Barometerstand die Ausdehnung der Luft.<lb/>
Denn es sei V&#x2033; das dem Gewicht P&#x2033;, V' das dem Gewicht P' entspre-<lb/>
chende Volum, so ist V' &#x2014; V&#x2033; die Ausdehnung eines Luftvolums V'<lb/>
bei der Erwärmung von 0 auf 100°. Waren bei den Abwägungen<lb/>
Temperatur und Barometerstand andere als 0° und 760 mm., so müs-<lb/>
sen sie nach den in §. 247 angegebenen Regeln auf 0° und 760 mm.<lb/>
reducirt werden. Wird das Wasser in dem das Gefäss umgebenden<lb/>
Raum nicht zum Kochen sondern bis zu irgend einer anderen mittelst<lb/>
des Thermometers genau zu bestimmenden Temperatur t erwärmt, so<lb/>
kann auf ganz dieselbe Weise die Ausdehnung der Luft bei der Er-<lb/>
wärmung von 0 auf t° ermittelt werden.</p><lb/>
          <p>Die Ausdehnung anderer Gase durch die Wärme lässt sich auf<lb/>
dieselbe Weise bestimmen. <hi rendition="#g">Gay-Lussac</hi> und nach ihm <hi rendition="#g">Dulong</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Petit</hi> haben solche Messungen ausgeführt und gefunden, dass<lb/>
alle Gase bei einer bestimmten Temperaturerhöhung sich um densel-<lb/>
ben Bruchtheil ihres Volums ausdehnen, dass also die Ausdehnungs-<lb/>
coëfficienten aller Gase einander gleich sind. Man hat dieses Gesetz<lb/>
als das <hi rendition="#g">Gay-Lussac</hi>&#x2019;sche <hi rendition="#g">Gesetz</hi> bezeichnet. Nach den neueren<lb/>
Untersuchungen von <hi rendition="#g">Magnus</hi> und <hi rendition="#g">Regnault</hi> bestätigt sich jedoch<lb/>
dasselbe nicht vollständig, sondern es finden ähnliche Abweichungen<lb/>
wie in Bezug auf das <hi rendition="#g">Mariotte</hi>&#x2019;sche Gesetz statt. Diejenigen Gase,<lb/>
deren Volum durch gesteigerten Druck rascher abnimmt, dehnen sich<lb/>
auch bei gleicher Temperaturerhöhung stärker aus als jene, deren Vo-<lb/>
lum langsamer abnimmt. Hiernach muss der Ausdehnungscoëfficient<lb/>
der Kohlensäure grösser, derjenige des Wasserstoffgases kleiner sein<lb/>
als der Ausdehnungscoëfficient der atmosphärischen Luft, doch sind<lb/>
die Unterschiede sehr gering: man findet z. B. nach <hi rendition="#g">Magnus</hi> für<lb/>
Kohlensäure 0,00369, für Wasserstoff 0,00365. Bei allen Gasen nimmt<lb/>
nach <hi rendition="#g">Regnault</hi> der Ausdehnungscoëfficient bei höherem Druck, also<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[372/0394] Von der Wärme. das Gefäss aus dem Kochapparat herausgenommen und von schmel- zendem Eis umgeben, während man zugleich die zugeschmolzene Spitze in eine Wanne mit Quecksilber eintaucht. Beim Abbrechen der Spitze steigt das Quecksilber in dem Gefäss um so viel in die Höhe, als der Verminderung des enthaltenen Luftvolums beim Sinken der Temperatur von 100° auf 0° entspricht. Hat das Gefäss vollständig die Temperatur von 0° angenommen, so verschliesst man dasselbe, wägt es, füllt es dann vollständig mit Quecksilber an und wägt es zum zweitenmal. Ist das Gewicht im ersten Falle = P', im zweiten = P″, so ist die Differenz P″—P' diejenige Quecksilbermenge, welche denselben Raum einnimmt, wie die auf 0° erkältete Luft. War bei diesen verschiedenen Abwägungen die Temperatur 0° und der Baro- meterstand 760 mm., und betrug der letztere ebenso während der Er- wärmung und Erkältung der Luft in dem Gefäss 760 mm., so ergiebt sich unmittelbar aus dem bekannten Volum der Gewichtseinheit Queck- silber bei 0° und 760 mm. Barometerstand die Ausdehnung der Luft. Denn es sei V″ das dem Gewicht P″, V' das dem Gewicht P' entspre- chende Volum, so ist V' — V″ die Ausdehnung eines Luftvolums V' bei der Erwärmung von 0 auf 100°. Waren bei den Abwägungen Temperatur und Barometerstand andere als 0° und 760 mm., so müs- sen sie nach den in §. 247 angegebenen Regeln auf 0° und 760 mm. reducirt werden. Wird das Wasser in dem das Gefäss umgebenden Raum nicht zum Kochen sondern bis zu irgend einer anderen mittelst des Thermometers genau zu bestimmenden Temperatur t erwärmt, so kann auf ganz dieselbe Weise die Ausdehnung der Luft bei der Er- wärmung von 0 auf t° ermittelt werden. Die Ausdehnung anderer Gase durch die Wärme lässt sich auf dieselbe Weise bestimmen. Gay-Lussac und nach ihm Dulong und Petit haben solche Messungen ausgeführt und gefunden, dass alle Gase bei einer bestimmten Temperaturerhöhung sich um densel- ben Bruchtheil ihres Volums ausdehnen, dass also die Ausdehnungs- coëfficienten aller Gase einander gleich sind. Man hat dieses Gesetz als das Gay-Lussac’sche Gesetz bezeichnet. Nach den neueren Untersuchungen von Magnus und Regnault bestätigt sich jedoch dasselbe nicht vollständig, sondern es finden ähnliche Abweichungen wie in Bezug auf das Mariotte’sche Gesetz statt. Diejenigen Gase, deren Volum durch gesteigerten Druck rascher abnimmt, dehnen sich auch bei gleicher Temperaturerhöhung stärker aus als jene, deren Vo- lum langsamer abnimmt. Hiernach muss der Ausdehnungscoëfficient der Kohlensäure grösser, derjenige des Wasserstoffgases kleiner sein als der Ausdehnungscoëfficient der atmosphärischen Luft, doch sind die Unterschiede sehr gering: man findet z. B. nach Magnus für Kohlensäure 0,00369, für Wasserstoff 0,00365. Bei allen Gasen nimmt nach Regnault der Ausdehnungscoëfficient bei höherem Druck, also

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/394
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/394>, abgerufen am 05.12.2024.