Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Elektricität.
Constante und n eine noch zu ermittelnde Potenz bezeichnet. Hiermit ist jedoch das
Gesetz der elektrodynamischen Wirkungen noch nicht erschöpft. Wenn die relative
Geschwindigkeit der auf einander wirkenden Massen ein Factor ist, welcher die Kräfte
derselben bestimmt, so ist klar, dass auch eine etwaige Aenderung dieser relativen
Geschwindigkeit nicht ohne Einfluss sein kann. In zwei geraden Leitern ist z. B.
die relative Geschwindigkeit der Elektricität je nach der Lage der in Betracht gezo-
genen Elemente eine verschiedene, sie ist um so grösser, je weiter dieselben von ein-
ander entfernt liegen, sie wird null, wenn sie sich gerade gegenüber liegen, denn in
diesem Fall nähern sich weder die bewegten Elektricitäten, noch entfernen sie sich
von einander. Bezeichnen wir also mit x jene Aenderung der relativen Geschwindig-
keit, so müssen wir zu der obigen Formel einen Factor b x, wo b wieder eine Con-
stante bedeutet, hinzufügen. Nehmen wir die Potenz n der Geschwindigkeit = 2 an,
so erhalten wir für die vollständige Wirkung w folgenden Ausdruck:
[Formel 1] Weber hat gezeigt, dass dieser Ausdruck auf den oben (§. 334) durch die Erfah-
rung ermittelten [Formel 2] zurückgeführt werden kann. Wir müssen
also zur Erklärung der elektrodynamischen Erscheinungen annehmen, dass je zwei
Elektricitätsmengen mit Kräften auf einander wirken, die nicht bloss im umgekehrten
Verhältniss des Quadrats ihrer Entfernungen stehen, sondern die ausserdem erstens
dem Quadrat der relativen Geschwindigkeit und zweitens der Geschwindigkeitsände-
rung proportional sind. Dieses Gesetz begreift specielle Fälle unter sich, wo die Ge-
schwindigkeitsänderung null wird und andere, wo ausserdem auch die Geschwindigkeit
null wird. Der letztere Fall ist derjenige der elektrostatischen Wirkung. Das hier
angedeutete allgemeine Gesetz der Elektrodynamik steht jedoch mit den Grundsätzen
der Mechanik in ihrer gegenwärtigen Gestalt im Widerspruch. Denn der Umstand,
dass sie von der Geschwindigkeit abhängen, unterscheidet die elektrodynamischen Kräfte
von allen andern Naturkräften, die wir bis jetzt kennen gelernt haben, und auf deren
Wirkungsweise die Lehren der Mechanik gegründet sind.


336
Der Erdstrom.

Wenn man einen geschlossenen Leiter, in welchem ein Strom
fliesst (wie a b c d Fig. 232), frei beweglich aufhängt, so beobachtet
man, dass dieser Leiter, auch ohne dass man einen andern Strom in
seine Nähe bringt, eine bestimmte Stellung annimmt. Die Ebene des
Leiters stellt sich nämlich so zur Ebene des magnetischen Meridians senk-
recht, dass der Strom an der Westseite des Meridianes aufsteigt und
an der Ostseite desselben abwärts fliesst. Ein in einem frei beweg-
lichen geschlossenen Leiter fliessender Strom verhält sich demnach
gerade so, als wenn sich unter ihm ein unbegrenzter geradliniger
Strom wie x y (Fig. 232) befände, der von Osten nach Westen ge-
richtet wäre. Denken wir uns, x wäre die Richtung des magnetischen
Ostens und y diejenige des magnetischen Westens, so würde ein in
der Richtung a b c d durchflossener Leiter sich in die Ostwestebene
einstellen. Das Verhalten der beweglichen Ströme ist daher ein sol-
ches, als wenn die Erde selbst in der magnetischen Ost-Westrichtung
von einem Strome umkreist wäre.


Von der Elektricität.
Constante und n eine noch zu ermittelnde Potenz bezeichnet. Hiermit ist jedoch das
Gesetz der elektrodynamischen Wirkungen noch nicht erschöpft. Wenn die relative
Geschwindigkeit der auf einander wirkenden Massen ein Factor ist, welcher die Kräfte
derselben bestimmt, so ist klar, dass auch eine etwaige Aenderung dieser relativen
Geschwindigkeit nicht ohne Einfluss sein kann. In zwei geraden Leitern ist z. B.
die relative Geschwindigkeit der Elektricität je nach der Lage der in Betracht gezo-
genen Elemente eine verschiedene, sie ist um so grösser, je weiter dieselben von ein-
ander entfernt liegen, sie wird null, wenn sie sich gerade gegenüber liegen, denn in
diesem Fall nähern sich weder die bewegten Elektricitäten, noch entfernen sie sich
von einander. Bezeichnen wir also mit x jene Aenderung der relativen Geschwindig-
keit, so müssen wir zu der obigen Formel einen Factor b x, wo b wieder eine Con-
stante bedeutet, hinzufügen. Nehmen wir die Potenz n der Geschwindigkeit = 2 an,
so erhalten wir für die vollständige Wirkung w folgenden Ausdruck:
[Formel 1] Weber hat gezeigt, dass dieser Ausdruck auf den oben (§. 334) durch die Erfah-
rung ermittelten [Formel 2] zurückgeführt werden kann. Wir müssen
also zur Erklärung der elektrodynamischen Erscheinungen annehmen, dass je zwei
Elektricitätsmengen mit Kräften auf einander wirken, die nicht bloss im umgekehrten
Verhältniss des Quadrats ihrer Entfernungen stehen, sondern die ausserdem erstens
dem Quadrat der relativen Geschwindigkeit und zweitens der Geschwindigkeitsände-
rung proportional sind. Dieses Gesetz begreift specielle Fälle unter sich, wo die Ge-
schwindigkeitsänderung null wird und andere, wo ausserdem auch die Geschwindigkeit
null wird. Der letztere Fall ist derjenige der elektrostatischen Wirkung. Das hier
angedeutete allgemeine Gesetz der Elektrodynamik steht jedoch mit den Grundsätzen
der Mechanik in ihrer gegenwärtigen Gestalt im Widerspruch. Denn der Umstand,
dass sie von der Geschwindigkeit abhängen, unterscheidet die elektrodynamischen Kräfte
von allen andern Naturkräften, die wir bis jetzt kennen gelernt haben, und auf deren
Wirkungsweise die Lehren der Mechanik gegründet sind.


336
Der Erdstrom.

Wenn man einen geschlossenen Leiter, in welchem ein Strom
fliesst (wie a b c d Fig. 232), frei beweglich aufhängt, so beobachtet
man, dass dieser Leiter, auch ohne dass man einen andern Strom in
seine Nähe bringt, eine bestimmte Stellung annimmt. Die Ebene des
Leiters stellt sich nämlich so zur Ebene des magnetischen Meridians senk-
recht, dass der Strom an der Westseite des Meridianes aufsteigt und
an der Ostseite desselben abwärts fliesst. Ein in einem frei beweg-
lichen geschlossenen Leiter fliessender Strom verhält sich demnach
gerade so, als wenn sich unter ihm ein unbegrenzter geradliniger
Strom wie x y (Fig. 232) befände, der von Osten nach Westen ge-
richtet wäre. Denken wir uns, x wäre die Richtung des magnetischen
Ostens und y diejenige des magnetischen Westens, so würde ein in
der Richtung a b c d durchflossener Leiter sich in die Ostwestebene
einstellen. Das Verhalten der beweglichen Ströme ist daher ein sol-
ches, als wenn die Erde selbst in der magnetischen Ost-Westrichtung
von einem Strome umkreist wäre.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0538" n="516"/><fw place="top" type="header">Von der Elektricität.</fw><lb/>
Constante und n eine noch zu ermittelnde Potenz bezeichnet. Hiermit ist jedoch das<lb/>
Gesetz der elektrodynamischen Wirkungen noch nicht erschöpft. Wenn die relative<lb/>
Geschwindigkeit der auf einander wirkenden Massen ein Factor ist, welcher die Kräfte<lb/>
derselben bestimmt, so ist klar, dass auch eine etwaige Aenderung dieser relativen<lb/>
Geschwindigkeit nicht ohne Einfluss sein kann. In zwei geraden Leitern ist z. B.<lb/>
die relative Geschwindigkeit der Elektricität je nach der Lage der in Betracht gezo-<lb/>
genen Elemente eine verschiedene, sie ist um so grösser, je weiter dieselben von ein-<lb/>
ander entfernt liegen, sie wird null, wenn sie sich gerade gegenüber liegen, denn in<lb/>
diesem Fall nähern sich weder die bewegten Elektricitäten, noch entfernen sie sich<lb/>
von einander. Bezeichnen wir also mit x jene Aenderung der relativen Geschwindig-<lb/>
keit, so müssen wir zu der obigen Formel einen Factor b x, wo b wieder eine Con-<lb/>
stante bedeutet, hinzufügen. Nehmen wir die Potenz n der Geschwindigkeit = 2 an,<lb/>
so erhalten wir für die vollständige Wirkung w folgenden Ausdruck:<lb/><hi rendition="#c"><formula/></hi> <hi rendition="#g">Weber</hi> hat gezeigt, dass dieser Ausdruck auf den oben (§. 334) durch die Erfah-<lb/>
rung ermittelten <formula/> zurückgeführt werden kann. Wir müssen<lb/>
also zur Erklärung der elektrodynamischen Erscheinungen annehmen, dass je zwei<lb/>
Elektricitätsmengen mit Kräften auf einander wirken, die nicht bloss im umgekehrten<lb/>
Verhältniss des Quadrats ihrer Entfernungen stehen, sondern die ausserdem erstens<lb/>
dem Quadrat der relativen Geschwindigkeit und zweitens der Geschwindigkeitsände-<lb/>
rung proportional sind. Dieses Gesetz begreift specielle Fälle unter sich, wo die Ge-<lb/>
schwindigkeitsänderung null wird und andere, wo ausserdem auch die Geschwindigkeit<lb/>
null wird. Der letztere Fall ist derjenige der elektrostatischen Wirkung. Das hier<lb/>
angedeutete allgemeine Gesetz der Elektrodynamik steht jedoch mit den Grundsätzen<lb/>
der Mechanik in ihrer gegenwärtigen Gestalt im Widerspruch. Denn der Umstand,<lb/>
dass sie von der Geschwindigkeit abhängen, unterscheidet die elektrodynamischen Kräfte<lb/>
von allen andern Naturkräften, die wir bis jetzt kennen gelernt haben, und auf deren<lb/>
Wirkungsweise die Lehren der Mechanik gegründet sind.</p><lb/>
          <note place="left">336<lb/>
Der Erdstrom.</note>
          <p>Wenn man einen geschlossenen Leiter, in welchem ein Strom<lb/>
fliesst (wie a b c d Fig. 232), frei beweglich aufhängt, so beobachtet<lb/>
man, dass dieser Leiter, auch ohne dass man einen andern Strom in<lb/>
seine Nähe bringt, eine bestimmte Stellung annimmt. Die Ebene des<lb/>
Leiters stellt sich nämlich so zur Ebene des magnetischen Meridians senk-<lb/>
recht, dass der Strom an der Westseite des Meridianes aufsteigt und<lb/>
an der Ostseite desselben abwärts fliesst. Ein in einem frei beweg-<lb/>
lichen geschlossenen Leiter fliessender Strom verhält sich demnach<lb/>
gerade so, als wenn sich unter ihm ein unbegrenzter geradliniger<lb/>
Strom wie x y (Fig. 232) befände, der von Osten nach Westen ge-<lb/>
richtet wäre. Denken wir uns, x wäre die Richtung des magnetischen<lb/>
Ostens und y diejenige des magnetischen Westens, so würde ein in<lb/>
der Richtung a b c d durchflossener Leiter sich in die Ostwestebene<lb/>
einstellen. Das Verhalten der beweglichen Ströme ist daher ein sol-<lb/>
ches, als wenn die Erde selbst in der magnetischen Ost-Westrichtung<lb/>
von einem Strome umkreist wäre.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[516/0538] Von der Elektricität. Constante und n eine noch zu ermittelnde Potenz bezeichnet. Hiermit ist jedoch das Gesetz der elektrodynamischen Wirkungen noch nicht erschöpft. Wenn die relative Geschwindigkeit der auf einander wirkenden Massen ein Factor ist, welcher die Kräfte derselben bestimmt, so ist klar, dass auch eine etwaige Aenderung dieser relativen Geschwindigkeit nicht ohne Einfluss sein kann. In zwei geraden Leitern ist z. B. die relative Geschwindigkeit der Elektricität je nach der Lage der in Betracht gezo- genen Elemente eine verschiedene, sie ist um so grösser, je weiter dieselben von ein- ander entfernt liegen, sie wird null, wenn sie sich gerade gegenüber liegen, denn in diesem Fall nähern sich weder die bewegten Elektricitäten, noch entfernen sie sich von einander. Bezeichnen wir also mit x jene Aenderung der relativen Geschwindig- keit, so müssen wir zu der obigen Formel einen Factor b x, wo b wieder eine Con- stante bedeutet, hinzufügen. Nehmen wir die Potenz n der Geschwindigkeit = 2 an, so erhalten wir für die vollständige Wirkung w folgenden Ausdruck: [FORMEL] Weber hat gezeigt, dass dieser Ausdruck auf den oben (§. 334) durch die Erfah- rung ermittelten [FORMEL] zurückgeführt werden kann. Wir müssen also zur Erklärung der elektrodynamischen Erscheinungen annehmen, dass je zwei Elektricitätsmengen mit Kräften auf einander wirken, die nicht bloss im umgekehrten Verhältniss des Quadrats ihrer Entfernungen stehen, sondern die ausserdem erstens dem Quadrat der relativen Geschwindigkeit und zweitens der Geschwindigkeitsände- rung proportional sind. Dieses Gesetz begreift specielle Fälle unter sich, wo die Ge- schwindigkeitsänderung null wird und andere, wo ausserdem auch die Geschwindigkeit null wird. Der letztere Fall ist derjenige der elektrostatischen Wirkung. Das hier angedeutete allgemeine Gesetz der Elektrodynamik steht jedoch mit den Grundsätzen der Mechanik in ihrer gegenwärtigen Gestalt im Widerspruch. Denn der Umstand, dass sie von der Geschwindigkeit abhängen, unterscheidet die elektrodynamischen Kräfte von allen andern Naturkräften, die wir bis jetzt kennen gelernt haben, und auf deren Wirkungsweise die Lehren der Mechanik gegründet sind. Wenn man einen geschlossenen Leiter, in welchem ein Strom fliesst (wie a b c d Fig. 232), frei beweglich aufhängt, so beobachtet man, dass dieser Leiter, auch ohne dass man einen andern Strom in seine Nähe bringt, eine bestimmte Stellung annimmt. Die Ebene des Leiters stellt sich nämlich so zur Ebene des magnetischen Meridians senk- recht, dass der Strom an der Westseite des Meridianes aufsteigt und an der Ostseite desselben abwärts fliesst. Ein in einem frei beweg- lichen geschlossenen Leiter fliessender Strom verhält sich demnach gerade so, als wenn sich unter ihm ein unbegrenzter geradliniger Strom wie x y (Fig. 232) befände, der von Osten nach Westen ge- richtet wäre. Denken wir uns, x wäre die Richtung des magnetischen Ostens und y diejenige des magnetischen Westens, so würde ein in der Richtung a b c d durchflossener Leiter sich in die Ostwestebene einstellen. Das Verhalten der beweglichen Ströme ist daher ein sol- ches, als wenn die Erde selbst in der magnetischen Ost-Westrichtung von einem Strome umkreist wäre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/538
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/538>, abgerufen am 05.12.2024.