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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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schnittspunkt derselben ist der Schwerpunkt. Man verfährt daher bei
der empirischen Bestimmung des Schwerpunktes so, dass man für
zwei bestimmte Lagen des Körpers diejenigen Stellen desselben auf-
sucht, die unterstützt werden müssen, damit Gleichgewicht vorhanden
sei. Offenbar wendet man hierbei das Princip des Hebels an, denn
der Unterstützungspunkt, um welchen keine Drehung erfolgen kann,
ist derjenige Punkt, in Bezug auf welchen die statischen Momente
der auf entgegengesetzten Seiten wirkenden Kräfte sich das Gleich-
gewicht halten. Ein nach den drei Dimensionen ausgedehnter Körper
bildet, wenn er in dieser Weise unterstützt ist, eigentlich unendlich
viele fest mit einander verbundene Hebel von der Form des früher in
Fig. 4 dargestellten, mit einem allen gemeinsamen Unterstützungs-
punkt, und auf jeden Punkt eines solchen Hebels wirken die lothrechten
Kräfte ein. Für homogene Körper von einfacher geometrischer Form
ergibt sich daher die Lage des Schwerpunktes unmittelbar aus dem
Hebelgesetz. Bei geometrischen Körpern, die um ihren Mittelpunkt
nach je zwei entgegengesetzten Richtungen gleich viel Masse haben,
wie Kreisfläche, Kugel, Würfel, Cylinder u. s. w. ist selbstverständlich
der Mittelpunkt zugleich der Schwerpunkt. Der Schwerpunkt eines
Dreiecks ist der Durchschnittspunkt zweier Linien, die man von zwei
Ecken aus zieht, und deren jede die gegenüberliegende Seite halbirt.
Eine gerade Stange von regelmässigem Querschnitt hat ihren Schwer-
punkt im Mittelpunkt ihres mittleren Querschnitts.

Bei Körpern, die nicht homogen sind oder eine unregelmässige
Gestalt besitzen, muss der Schwerpunkt stets empirisch bestimmt
werden. So hat man gefunden, dass sich der Schwerpunkt des
menschlichen Körpers im Rückenmarkskanal nahe dem obern Rand
des zweiten Kreuzbeinwirbels befindet. Die Schwerpunkte der einzel-
nen Glieder liegen allgemein etwas näher dem oberen als dem unte-
ren Ende derselben.

Empirisch bestimmt man den Schwerpunkt eines Körpers am zweckmässigsten,
indem man den letzteren nach einander an zwei verschiedenen Punkten an einem Fa-
den aufhängt. Die Richtung des Fadens in ihrer Verlängerung durch den Körper
gibt jedesmal eine Schwerlinie, und der Durchschnittspunkt der beiden Schwerlinien
ist der Schwerpunkt. Den Schwerpunkt des menschlichen Körpers hat man dadurch
ermittelt, dass man einen Menschen auf ein Brett legte, welches auf einer scharfen
Kante in's Gleichgewicht gebracht wurde. Die Höhe des Schwerpunktes ergibt sich
leicht, wenn die Kante senkrecht zur Länge des auf dem Rücken liegenden Körpers
gerichtet wird; zur weiteren Ortsbestimmung sind streng genommen noch zwei Aequi-
librirungen nöthig, bei welchen die Richtung der Kante der Länge des Körpers pa-
rallel ist, und bei deren einer der Körper auf den Rücken, bei deren anderer er auf
die Seite gelegt wird. Doch ist, da die Vertheilung der Massen rechts und links
symmetrisch angenommen werden darf, nur die letztere Bestimmung, welche die Tie-
fenlage des Schwerpunktes gibt, nöthig; übrigens erlaubt dieselbe bloss eine annähernde

Von der Schwere.
schnittspunkt derselben ist der Schwerpunkt. Man verfährt daher bei
der empirischen Bestimmung des Schwerpunktes so, dass man für
zwei bestimmte Lagen des Körpers diejenigen Stellen desselben auf-
sucht, die unterstützt werden müssen, damit Gleichgewicht vorhanden
sei. Offenbar wendet man hierbei das Princip des Hebels an, denn
der Unterstützungspunkt, um welchen keine Drehung erfolgen kann,
ist derjenige Punkt, in Bezug auf welchen die statischen Momente
der auf entgegengesetzten Seiten wirkenden Kräfte sich das Gleich-
gewicht halten. Ein nach den drei Dimensionen ausgedehnter Körper
bildet, wenn er in dieser Weise unterstützt ist, eigentlich unendlich
viele fest mit einander verbundene Hebel von der Form des früher in
Fig. 4 dargestellten, mit einem allen gemeinsamen Unterstützungs-
punkt, und auf jeden Punkt eines solchen Hebels wirken die lothrechten
Kräfte ein. Für homogene Körper von einfacher geometrischer Form
ergibt sich daher die Lage des Schwerpunktes unmittelbar aus dem
Hebelgesetz. Bei geometrischen Körpern, die um ihren Mittelpunkt
nach je zwei entgegengesetzten Richtungen gleich viel Masse haben,
wie Kreisfläche, Kugel, Würfel, Cylinder u. s. w. ist selbstverständlich
der Mittelpunkt zugleich der Schwerpunkt. Der Schwerpunkt eines
Dreiecks ist der Durchschnittspunkt zweier Linien, die man von zwei
Ecken aus zieht, und deren jede die gegenüberliegende Seite halbirt.
Eine gerade Stange von regelmässigem Querschnitt hat ihren Schwer-
punkt im Mittelpunkt ihres mittleren Querschnitts.

Bei Körpern, die nicht homogen sind oder eine unregelmässige
Gestalt besitzen, muss der Schwerpunkt stets empirisch bestimmt
werden. So hat man gefunden, dass sich der Schwerpunkt des
menschlichen Körpers im Rückenmarkskanal nahe dem obern Rand
des zweiten Kreuzbeinwirbels befindet. Die Schwerpunkte der einzel-
nen Glieder liegen allgemein etwas näher dem oberen als dem unte-
ren Ende derselben.

Empirisch bestimmt man den Schwerpunkt eines Körpers am zweckmässigsten,
indem man den letzteren nach einander an zwei verschiedenen Punkten an einem Fa-
den aufhängt. Die Richtung des Fadens in ihrer Verlängerung durch den Körper
gibt jedesmal eine Schwerlinie, und der Durchschnittspunkt der beiden Schwerlinien
ist der Schwerpunkt. Den Schwerpunkt des menschlichen Körpers hat man dadurch
ermittelt, dass man einen Menschen auf ein Brett legte, welches auf einer scharfen
Kante in’s Gleichgewicht gebracht wurde. Die Höhe des Schwerpunktes ergibt sich
leicht, wenn die Kante senkrecht zur Länge des auf dem Rücken liegenden Körpers
gerichtet wird; zur weiteren Ortsbestimmung sind streng genommen noch zwei Aequi-
librirungen nöthig, bei welchen die Richtung der Kante der Länge des Körpers pa-
rallel ist, und bei deren einer der Körper auf den Rücken, bei deren anderer er auf
die Seite gelegt wird. Doch ist, da die Vertheilung der Massen rechts und links
symmetrisch angenommen werden darf, nur die letztere Bestimmung, welche die Tie-
fenlage des Schwerpunktes gibt, nöthig; übrigens erlaubt dieselbe bloss eine annähernde

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[68/0090] Von der Schwere. schnittspunkt derselben ist der Schwerpunkt. Man verfährt daher bei der empirischen Bestimmung des Schwerpunktes so, dass man für zwei bestimmte Lagen des Körpers diejenigen Stellen desselben auf- sucht, die unterstützt werden müssen, damit Gleichgewicht vorhanden sei. Offenbar wendet man hierbei das Princip des Hebels an, denn der Unterstützungspunkt, um welchen keine Drehung erfolgen kann, ist derjenige Punkt, in Bezug auf welchen die statischen Momente der auf entgegengesetzten Seiten wirkenden Kräfte sich das Gleich- gewicht halten. Ein nach den drei Dimensionen ausgedehnter Körper bildet, wenn er in dieser Weise unterstützt ist, eigentlich unendlich viele fest mit einander verbundene Hebel von der Form des früher in Fig. 4 dargestellten, mit einem allen gemeinsamen Unterstützungs- punkt, und auf jeden Punkt eines solchen Hebels wirken die lothrechten Kräfte ein. Für homogene Körper von einfacher geometrischer Form ergibt sich daher die Lage des Schwerpunktes unmittelbar aus dem Hebelgesetz. Bei geometrischen Körpern, die um ihren Mittelpunkt nach je zwei entgegengesetzten Richtungen gleich viel Masse haben, wie Kreisfläche, Kugel, Würfel, Cylinder u. s. w. ist selbstverständlich der Mittelpunkt zugleich der Schwerpunkt. Der Schwerpunkt eines Dreiecks ist der Durchschnittspunkt zweier Linien, die man von zwei Ecken aus zieht, und deren jede die gegenüberliegende Seite halbirt. Eine gerade Stange von regelmässigem Querschnitt hat ihren Schwer- punkt im Mittelpunkt ihres mittleren Querschnitts. Bei Körpern, die nicht homogen sind oder eine unregelmässige Gestalt besitzen, muss der Schwerpunkt stets empirisch bestimmt werden. So hat man gefunden, dass sich der Schwerpunkt des menschlichen Körpers im Rückenmarkskanal nahe dem obern Rand des zweiten Kreuzbeinwirbels befindet. Die Schwerpunkte der einzel- nen Glieder liegen allgemein etwas näher dem oberen als dem unte- ren Ende derselben. Empirisch bestimmt man den Schwerpunkt eines Körpers am zweckmässigsten, indem man den letzteren nach einander an zwei verschiedenen Punkten an einem Fa- den aufhängt. Die Richtung des Fadens in ihrer Verlängerung durch den Körper gibt jedesmal eine Schwerlinie, und der Durchschnittspunkt der beiden Schwerlinien ist der Schwerpunkt. Den Schwerpunkt des menschlichen Körpers hat man dadurch ermittelt, dass man einen Menschen auf ein Brett legte, welches auf einer scharfen Kante in’s Gleichgewicht gebracht wurde. Die Höhe des Schwerpunktes ergibt sich leicht, wenn die Kante senkrecht zur Länge des auf dem Rücken liegenden Körpers gerichtet wird; zur weiteren Ortsbestimmung sind streng genommen noch zwei Aequi- librirungen nöthig, bei welchen die Richtung der Kante der Länge des Körpers pa- rallel ist, und bei deren einer der Körper auf den Rücken, bei deren anderer er auf die Seite gelegt wird. Doch ist, da die Vertheilung der Massen rechts und links symmetrisch angenommen werden darf, nur die letztere Bestimmung, welche die Tie- fenlage des Schwerpunktes gibt, nöthig; übrigens erlaubt dieselbe bloss eine annähernde

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/90>, abgerufen am 04.12.2024.