Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Assenat
vergangenen tag gehöret/ überdachte. Und in diesen
gedanken begab sie sich zur ruhe. Der schlummer über-
fiel sie: aber das hertz blieb wakker. Die gantze nacht
durch spieleten ihre gedanken. Die einbildung stellete
ihr den schönen Leibeignen bald so/ bald anders vor.
Bald sahe sie die Assenat in seinen armen. Bald er-
blikte sie ihn im Königlichen staht. Eben dasselbe wi-
derfuhr auch der Königlichen Fürstin. Und üm die
morgenstunde hatte eine iede einen sonderlichen traum.

Nitokris treumete: daß sie einen schönen und
jungen Stier zehn tage lang in Potifars hofe
sahe/ und darbei ein junges schneeweisses
Fährsichen; welche sich beide sehr freundlich ge-
gen einander gehabten. Darzu kahm endlich
eine junge Hindin: welche anfangs dem Stie-
re schmeuchelte; aber ihn/ als er ihr nicht auch
schmeuchlen wolte/ zuletzt in ein fünsteres loch
stieß. Darinnen blieb er drei tage lang/ bis ihn
ein Krokodil wieder heraus gezogen: da dan
der Stier eben auch als in einen Krokodil ver-
ändert schien.

Aber Semesse hatte diesen traum. Es kahm ihr
vor/ als wan sie einen fremden Vogel/ nicht wu-
ste sie in was vor einem hause/ gesehen. Dieser
Vogel war überaus schön von farbe/ und sahe
fast aus/ als ein Habicht. In einem bauer saß
ein junges Egiptisches Störchlein; welches er
sehr lieb hatte/ und oft vor den bauer flog/ mit
ihm zu spielen. Aber der bauer war rund umher
zu/ und die tühre so wohl verwahret/ daß er
nicht hinein konte. Auch ward sie einer jungen
Henne gewahr. Diese ging anfänglich von ferne
üm den Habicht herüm. Darnach kahm sie ihm
immer näher und näher. Endlich bewiese sie ihm
etliche liebeszeichen mit pikken. Der Habicht

aber

Der Aſſenat
vergangenen tag gehoͤret/ uͤberdachte. Und in dieſen
gedanken begab ſie ſich zur ruhe. Der ſchlummer uͤber-
fiel ſie: aber das hertz blieb wakker. Die gantze nacht
durch ſpieleten ihre gedanken. Die einbildung ſtellete
ihr den ſchoͤnen Leibeignen bald ſo/ bald anders vor.
Bald ſahe ſie die Aſſenat in ſeinen armen. Bald er-
blikte ſie ihn im Koͤniglichen ſtaht. Eben daſſelbe wi-
derfuhr auch der Koͤniglichen Fuͤrſtin. Und uͤm die
morgenſtunde hatte eine iede einen ſonderlichen traum.

Nitokris treumete: daß ſie einen ſchoͤnen und
jungen Stier zehn tage lang in Potifars hofe
ſahe/ und darbei ein junges ſchneeweiſſes
Faͤhrſichen; welche ſich beide ſehr freundlich ge-
gen einander gehabten. Darzu kahm endlich
eine junge Hindin: welche anfangs dem Stie-
re ſchmeuchelte; aber ihn/ als er ihr nicht auch
ſchmeuchlen wolte/ zuletzt in ein fuͤnſteres loch
ſtieß. Darinnen blieb er drei tage lang/ bis ihn
ein Krokodil wieder heraus gezogen: da dan
der Stier eben auch als in einen Krokodil ver-
aͤndert ſchien.

Aber Semeſſe hatte dieſen traum. Es kahm ihr
vor/ als wan ſie einen fremden Vogel/ nicht wu-
ſte ſie in was vor einem hauſe/ geſehen. Dieſer
Vogel war uͤberaus ſchoͤn von farbe/ und ſahe
faſt aus/ als ein Habicht. In einem bauer ſaß
ein junges Egiptiſches Stoͤrchlein; welches er
ſehr lieb hatte/ und oft vor den bauer flog/ mit
ihm zu ſpielen. Aber der bauer war rund umher
zu/ und die tuͤhre ſo wohl verwahret/ daß er
nicht hinein konte. Auch ward ſie einer jungen
Henne gewahr. Dieſe ging anfaͤnglich von ferne
uͤm den Habicht heruͤm. Darnach kahm ſie ihm
immer naͤher und naͤher. Endlich bewieſe ſie ihm
etliche liebeszeichen mit pikken. Der Habicht

aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0106" n="82"/><fw place="top" type="header">Der A&#x017F;&#x017F;enat</fw><lb/>
vergangenen tag geho&#x0364;ret/ u&#x0364;berdachte. Und in die&#x017F;en<lb/>
gedanken begab &#x017F;ie &#x017F;ich zur ruhe. Der &#x017F;chlummer u&#x0364;ber-<lb/>
fiel &#x017F;ie: aber das hertz blieb wakker. Die gantze nacht<lb/>
durch &#x017F;pieleten ihre gedanken. Die einbildung &#x017F;tellete<lb/>
ihr den &#x017F;cho&#x0364;nen Leibeignen bald &#x017F;o/ bald anders vor.<lb/>
Bald &#x017F;ahe &#x017F;ie die <hi rendition="#fr">A&#x017F;&#x017F;enat</hi> in &#x017F;einen armen. Bald er-<lb/>
blikte &#x017F;ie ihn im Ko&#x0364;niglichen &#x017F;taht. Eben da&#x017F;&#x017F;elbe wi-<lb/>
derfuhr auch der Ko&#x0364;niglichen Fu&#x0364;r&#x017F;tin. Und u&#x0364;m die<lb/>
morgen&#x017F;tunde hatte eine iede einen &#x017F;onderlichen traum.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Nitokris</hi> treumete: <hi rendition="#fr">daß &#x017F;ie einen &#x017F;cho&#x0364;nen und<lb/>
jungen Stier zehn tage lang in Potifars hofe<lb/>
&#x017F;ahe/ und darbei ein junges &#x017F;chneewei&#x017F;&#x017F;es<lb/>
Fa&#x0364;hr&#x017F;ichen; welche &#x017F;ich beide &#x017F;ehr freundlich ge-<lb/>
gen einander gehabten. Darzu kahm endlich<lb/>
eine junge Hindin: welche anfangs dem Stie-<lb/>
re &#x017F;chmeuchelte; aber ihn/ als er ihr nicht auch<lb/>
&#x017F;chmeuchlen wolte/ zuletzt in ein fu&#x0364;n&#x017F;teres loch<lb/>
&#x017F;tieß. Darinnen blieb er drei tage lang/ bis ihn<lb/>
ein Krokodil wieder heraus gezogen: da dan<lb/>
der Stier eben auch als in einen Krokodil ver-<lb/>
a&#x0364;ndert &#x017F;chien.</hi></p><lb/>
        <p>Aber <hi rendition="#fr">Seme&#x017F;&#x017F;e</hi> hatte die&#x017F;en traum. <hi rendition="#fr">Es kahm ihr<lb/>
vor/ als wan &#x017F;ie einen fremden Vogel/ nicht wu-<lb/>
&#x017F;te &#x017F;ie in was vor einem hau&#x017F;e/ ge&#x017F;ehen. Die&#x017F;er<lb/>
Vogel war u&#x0364;beraus &#x017F;cho&#x0364;n von farbe/ und &#x017F;ahe<lb/>
fa&#x017F;t aus/ als ein Habicht. In einem bauer &#x017F;<lb/>
ein junges Egipti&#x017F;ches Sto&#x0364;rchlein; welches er<lb/>
&#x017F;ehr lieb hatte/ und oft vor den bauer flog/ mit<lb/>
ihm zu &#x017F;pielen. Aber der bauer war rund umher<lb/>
zu/ und die tu&#x0364;hre &#x017F;o wohl verwahret/ daß er<lb/>
nicht hinein konte. Auch ward &#x017F;ie einer jungen<lb/>
Henne gewahr. Die&#x017F;e ging anfa&#x0364;nglich von ferne<lb/>
u&#x0364;m den Habicht heru&#x0364;m. Darnach kahm &#x017F;ie ihm<lb/>
immer na&#x0364;her und na&#x0364;her. Endlich bewie&#x017F;e &#x017F;ie ihm<lb/>
etliche liebeszeichen mit pikken. Der Habicht</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">aber</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0106] Der Aſſenat vergangenen tag gehoͤret/ uͤberdachte. Und in dieſen gedanken begab ſie ſich zur ruhe. Der ſchlummer uͤber- fiel ſie: aber das hertz blieb wakker. Die gantze nacht durch ſpieleten ihre gedanken. Die einbildung ſtellete ihr den ſchoͤnen Leibeignen bald ſo/ bald anders vor. Bald ſahe ſie die Aſſenat in ſeinen armen. Bald er- blikte ſie ihn im Koͤniglichen ſtaht. Eben daſſelbe wi- derfuhr auch der Koͤniglichen Fuͤrſtin. Und uͤm die morgenſtunde hatte eine iede einen ſonderlichen traum. Nitokris treumete: daß ſie einen ſchoͤnen und jungen Stier zehn tage lang in Potifars hofe ſahe/ und darbei ein junges ſchneeweiſſes Faͤhrſichen; welche ſich beide ſehr freundlich ge- gen einander gehabten. Darzu kahm endlich eine junge Hindin: welche anfangs dem Stie- re ſchmeuchelte; aber ihn/ als er ihr nicht auch ſchmeuchlen wolte/ zuletzt in ein fuͤnſteres loch ſtieß. Darinnen blieb er drei tage lang/ bis ihn ein Krokodil wieder heraus gezogen: da dan der Stier eben auch als in einen Krokodil ver- aͤndert ſchien. Aber Semeſſe hatte dieſen traum. Es kahm ihr vor/ als wan ſie einen fremden Vogel/ nicht wu- ſte ſie in was vor einem hauſe/ geſehen. Dieſer Vogel war uͤberaus ſchoͤn von farbe/ und ſahe faſt aus/ als ein Habicht. In einem bauer ſaß ein junges Egiptiſches Stoͤrchlein; welches er ſehr lieb hatte/ und oft vor den bauer flog/ mit ihm zu ſpielen. Aber der bauer war rund umher zu/ und die tuͤhre ſo wohl verwahret/ daß er nicht hinein konte. Auch ward ſie einer jungen Henne gewahr. Dieſe ging anfaͤnglich von ferne uͤm den Habicht heruͤm. Darnach kahm ſie ihm immer naͤher und naͤher. Endlich bewieſe ſie ihm etliche liebeszeichen mit pikken. Der Habicht aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/106
Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/106>, abgerufen am 09.11.2024.